ÜBERSETZUNGSLUST
In den Billy-Regalen im neuen IKEA-Katalog stehen keine Bücher mehr. Das ist symptomatisch. Andererseits wird übersetzt, was das Zeug hält. Und irgendwie passt das alles zusammen.
Seit ein paar Jahren wird über die Krise des Buches debattiert, die die gesamte Buchbranche erfasst. Wir Übersetzerinnen merken es auch: Durch die neue Urheberrechtsregelung schickt uns die VG Wort mehr Geld aufs Konto, aber das fehlt dann bei den Verlagen, und so bleiben die Verträge eng, und die Lebenskosten steigen, aber die Honorare nicht. Manche Verlage sollen aus Kostengründen jetzt sogar deutschsprachige Originale bevorzugen.
In Literaturhäusern, auf Literaturfestivals, Lesefesten und bei Lesungen wird das Buch zelebriert, aber wird noch gelesen? Wird nach dem Verschwinden des Leselands DDR jetzt auch noch das vereinigte Land der Dichter und Denker (in dem das Übersetzen eine lange Tradition hat) zum Land der Texter und Blogger?
Nö, scheint die größte Übersetzernation der Welt zu sagen. Nachdem es in den 1980er-Jahren hieß, wir würden alle durch Maschinen ersetzt, gibt es uns immer noch, und ein Trend zeichnet sich ab: Unser Berufsstand wird zaghaft aufgewertet. Inzwischen werden wir beim Namen genannt, ganz selten sogar auf dem Buchtitel. Neue Preise werden ausgelobt, z. B. der mit zwei Millionen Dollar dotierte Scheich-Hamad-Preis jetzt auch für das Sprachenpaar Arabisch-Deutsch. Seit 2007 lehrt jedes Jahr ein verdienter Kollege im Rahmen der August-Wilhelm-Schlegel-Gastprofessur für Poetik der Übersetzung an der FU Berlin, derzeit die Russisch-Übersetzerin Gabriele Leupold.
Wir tun was, um immer besser zu werden: Bei manchen der Übersetzerstammtische in vielen Städten sitzen wir bei kollegialer Textarbeit zusammen. Der Deutsche Übersetzerfonds (DÜF) vergibt Stipendien oder wir fahren zu Seminaren, darunter die beliebten zweisprachigen Vice-Versa-Werkstätten, jetzt sogar für Georgisch! 2017 feierte der DÜF sein 20-jähriges Jubiläum mit einem Übersetzungswettbewerb zu dem Text Great Jones Street von Don DeLillo. Aus 400 Einsendungen wurde die Übersetzerin Pociao zur Siegerin gekürt, mit 2000 Euro Preisgeld.
Im Januar 2018 startete die Robert-Bosch-Stiftung das Programm TOLEDO – Übersetzer im Austausch mit einem Mobilitätsfonds, der Reisen ins Land der Ausgangssprache fördert, und mit Cities of Translators, Expeditionen in die Übersetzerszenen der Welt – die erste ins indische Kolkata. Benannt ist es übrigens nach der „Übersetzerschule“im mittelalterlichen Toledo, wo nach dem Brand der Bibliothek von Alexandria nur noch auf Arabisch erhaltene antike
griechische Texte übersetzt wurden. Ansonsten wären da noch die Übersetzerzentren auf den beiden Buchmessen, innovative Veranstaltungsformate der Weltlesebühne, wie ein Translation Slam, und regelmäßige Buchveröffentlichungen, wie Zaitenklänge zur Geschichte der Übersetzung.
Da Übersetzungen in den Feuilletons, wenn überhaupt, oft nur mit einem „kongenial“bedacht werden, betreibt man im Netz selbst Übersetzungskritik: in ReLü, der Rezensionszeitschrift zur Literaturübersetzung des Studiengangs der Uni Düsseldorf, in Tell. Magazin für Literatur und Zeitgenossenschaft und auf TraLaLit. Plattform für übersetzte Literatur.
Vieles davon wird aus öffentlichen Mitteln gefördert. Wie passt das zur Panik um das Buch? Es mag paradox erscheinen, aber all das geschieht nicht in einem Vakuum. Als wir vom Übersetzerstudio am Samstag vor dem Hieronymustag 2018 zu sechst aus ganz verschiedenen Übersetzungen lesen und über unsere Arbeit erzählen, ist der Laden voll, und nicht nur mit Freunden und Kolleginnen.
Ich erkläre mir das so: Es ist eine Form der Selbstvergewisserung mit Außenwirkung. In unserer polyglotten Welt, in der viele Leute mehrere Sprachen sprechen, sind fremde Welten und Geschichten nach wie vor interessant und das Feilen an der Sprache, die Pflege der Sprache, bleibt eine Faszination, denn Sprache ist etwas sehr Persönliches. Durch das Klappern mit und die Arbeit am Handwerkszeug erobert sich das Übersetzen einen Platz neben den anderen Künsten, kristallisiert sich aus dem Dichten als etwas Eigenständiges heraus. Es entsteht ein Meta-Diskurs, den wir untereinander führen und auf dem wir weiter aufbauen, wie auch die anderen literarischen Disziplinen. Vielleicht werkeln wir nur in einer Nische, aber einer sehr lebendigen.
Bringen Übersetzungslust und Übersetzungswut Bücherglück und Leselust hervor?* Bei unserer Lesung an einem Samstag im September hatte ich den Eindruck, dass es funktioniert.
* Alles Wörter aus dem Grimmschen Wörterbuch, eines der vielen, mit denen wir arbeiten.