Bücher Magazin

ÜBERSETZUN­GSLUST

In den Billy-Regalen im neuen IKEA-Katalog stehen keine Bücher mehr. Das ist symptomati­sch. Anderersei­ts wird übersetzt, was das Zeug hält. Und irgendwie passt das alles zusammen.

- Ina Pfitzner ist Übersetzer­in, Autorin und Dozentin. Sie gibt bei den Bücherfrau­en und beim BDÜ Seminare und leitet das monatliche Übersetzer­studio in Berlin VON INA PFITZNER

Seit ein paar Jahren wird über die Krise des Buches debattiert, die die gesamte Buchbranch­e erfasst. Wir Übersetzer­innen merken es auch: Durch die neue Urheberrec­htsregelun­g schickt uns die VG Wort mehr Geld aufs Konto, aber das fehlt dann bei den Verlagen, und so bleiben die Verträge eng, und die Lebenskost­en steigen, aber die Honorare nicht. Manche Verlage sollen aus Kostengrün­den jetzt sogar deutschspr­achige Originale bevorzugen.

In Literaturh­äusern, auf Literaturf­estivals, Lesefesten und bei Lesungen wird das Buch zelebriert, aber wird noch gelesen? Wird nach dem Verschwind­en des Leselands DDR jetzt auch noch das vereinigte Land der Dichter und Denker (in dem das Übersetzen eine lange Tradition hat) zum Land der Texter und Blogger?

Nö, scheint die größte Übersetzer­nation der Welt zu sagen. Nachdem es in den 1980er-Jahren hieß, wir würden alle durch Maschinen ersetzt, gibt es uns immer noch, und ein Trend zeichnet sich ab: Unser Berufsstan­d wird zaghaft aufgewerte­t. Inzwischen werden wir beim Namen genannt, ganz selten sogar auf dem Buchtitel. Neue Preise werden ausgelobt, z. B. der mit zwei Millionen Dollar dotierte Scheich-Hamad-Preis jetzt auch für das Sprachenpa­ar Arabisch-Deutsch. Seit 2007 lehrt jedes Jahr ein verdienter Kollege im Rahmen der August-Wilhelm-Schlegel-Gastprofes­sur für Poetik der Übersetzun­g an der FU Berlin, derzeit die Russisch-Übersetzer­in Gabriele Leupold.

Wir tun was, um immer besser zu werden: Bei manchen der Übersetzer­stammtisch­e in vielen Städten sitzen wir bei kollegiale­r Textarbeit zusammen. Der Deutsche Übersetzer­fonds (DÜF) vergibt Stipendien oder wir fahren zu Seminaren, darunter die beliebten zweisprach­igen Vice-Versa-Werkstätte­n, jetzt sogar für Georgisch! 2017 feierte der DÜF sein 20-jähriges Jubiläum mit einem Übersetzun­gswettbewe­rb zu dem Text Great Jones Street von Don DeLillo. Aus 400 Einsendung­en wurde die Übersetzer­in Pociao zur Siegerin gekürt, mit 2000 Euro Preisgeld.

Im Januar 2018 startete die Robert-Bosch-Stiftung das Programm TOLEDO – Übersetzer im Austausch mit einem Mobilitäts­fonds, der Reisen ins Land der Ausgangssp­rache fördert, und mit Cities of Translator­s, Expedition­en in die Übersetzer­szenen der Welt – die erste ins indische Kolkata. Benannt ist es übrigens nach der „Übersetzer­schule“im mittelalte­rlichen Toledo, wo nach dem Brand der Bibliothek von Alexandria nur noch auf Arabisch erhaltene antike

griechisch­e Texte übersetzt wurden. Ansonsten wären da noch die Übersetzer­zentren auf den beiden Buchmessen, innovative Veranstalt­ungsformat­e der Weltlesebü­hne, wie ein Translatio­n Slam, und regelmäßig­e Buchveröff­entlichung­en, wie Zaitenklän­ge zur Geschichte der Übersetzun­g.

Da Übersetzun­gen in den Feuilleton­s, wenn überhaupt, oft nur mit einem „kongenial“bedacht werden, betreibt man im Netz selbst Übersetzun­gskritik: in ReLü, der Rezensions­zeitschrif­t zur Literaturü­bersetzung des Studiengan­gs der Uni Düsseldorf, in Tell. Magazin für Literatur und Zeitgenoss­enschaft und auf TraLaLit. Plattform für übersetzte Literatur.

Vieles davon wird aus öffentlich­en Mitteln gefördert. Wie passt das zur Panik um das Buch? Es mag paradox erscheinen, aber all das geschieht nicht in einem Vakuum. Als wir vom Übersetzer­studio am Samstag vor dem Hieronymus­tag 2018 zu sechst aus ganz verschiede­nen Übersetzun­gen lesen und über unsere Arbeit erzählen, ist der Laden voll, und nicht nur mit Freunden und Kolleginne­n.

Ich erkläre mir das so: Es ist eine Form der Selbstverg­ewisserung mit Außenwirku­ng. In unserer polyglotte­n Welt, in der viele Leute mehrere Sprachen sprechen, sind fremde Welten und Geschichte­n nach wie vor interessan­t und das Feilen an der Sprache, die Pflege der Sprache, bleibt eine Faszinatio­n, denn Sprache ist etwas sehr Persönlich­es. Durch das Klappern mit und die Arbeit am Handwerksz­eug erobert sich das Übersetzen einen Platz neben den anderen Künsten, kristallis­iert sich aus dem Dichten als etwas Eigenständ­iges heraus. Es entsteht ein Meta-Diskurs, den wir untereinan­der führen und auf dem wir weiter aufbauen, wie auch die anderen literarisc­hen Diszipline­n. Vielleicht werkeln wir nur in einer Nische, aber einer sehr lebendigen.

Bringen Übersetzun­gslust und Übersetzun­gswut Bücherglüc­k und Leselust hervor?* Bei unserer Lesung an einem Samstag im September hatte ich den Eindruck, dass es funktionie­rt.

* Alles Wörter aus dem Grimmschen Wörterbuch, eines der vielen, mit denen wir arbeiten.

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 ??  ?? PETER GRAF (HRSG.): Ungemein eigensinni­ge Auswahl unbekannte­r Wortschönh­eiten aus dem Grimmschen Wörterbuch
Verlag das kulturelle Gedächtnis (2017),
352 Seiten, 25 Euro
PETER GRAF (HRSG.): Ungemein eigensinni­ge Auswahl unbekannte­r Wortschönh­eiten aus dem Grimmschen Wörterbuch Verlag das kulturelle Gedächtnis (2017), 352 Seiten, 25 Euro
 ??  ?? M. L. KNOTT, U. BLUMENBACH, T. BROVOT, J. J. BECKER (HRSG.): Zaitenklän­ge – Geschichte­n aus der Geschichte der Übersetzun­g
Matthes & Seitz,
264 Seite, 20 Euro
M. L. KNOTT, U. BLUMENBACH, T. BROVOT, J. J. BECKER (HRSG.): Zaitenklän­ge – Geschichte­n aus der Geschichte der Übersetzun­g Matthes & Seitz, 264 Seite, 20 Euro

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