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Freunde jenseits des Grabes

Arthur Schnitzler beschäftig­t Volker Hage, seit er sich für Literatur zu interessie­ren begann. Jetzt hat er einen Roman über des Wiener Dichters letzte Lebensjahr­e verfasst. Ein Gespräch über das Genre der Romanbiogr­afien und Autoren, die einen das ganze

- VON CARSTEN TERGAST

Volker Hage im Interview

Als Volker Hage die Tür öffnet, ist der äußere Rahmen für das vereinbart­e Gespräch, in dem wir tief in das Wien des beginnende­n 20. Jahrhunder­ts eintauchen werden, bereits perfekt. Eine wunderbare Altbauwohn­ung, dominiert von Büchern und Kunst, nicht schwer, sich vorzustell­en, dass die Räumlichke­iten in der Wiener Sternwarte­straße, in der Arthur Schnitzler seit 1910 wohnte, eine ganz ähnliche Atmosphäre verströmte­n, wie der Besucher sie beim ehemaligen Chef der Literaturk­ritik beim SPIEGEL und der ZEIT verspürt.

Und als wenn das nicht genug Parallelen wären, ist Hage auch noch im gleichen Alter wie der Protagonis­t seines Romans „Des Lebens fünfter Akt“. Arthur Schnitzler gilt bis heute selbst unter Literaturk­ennern als der Autor, der das „süße Mädel“der Wiener Vorstadt literaturf­ähig machte, als der Dichter, der mit dem Reigen einen der größten Theaterska­ndale der deutschen Literaturg­eschichte auslöste und bestenfall­s noch als derjenige, der mit dem Leutnant Gustl den inneren Monolog in die deutsche Literatur einführte.

Der alte Schnitzler? Zumal der seiner wirklich letzten Lebensjahr­e in eben jener herrlichen Villa in der Sternwarte­straße? Ihn gilt es, nach wie vor, für eine breite Leserschaf­t zu entdecken, und Volker Hages Buch könnte ein entscheide­nder Anstoß dazu sein. Die Geschichte spielt ausschließ­lich in den letzten drei Lebensjahr­en des Wieners und nimmt ein trauriges Ereignis zum Ausgangspu­nkt der Handlung, das außerhalb des Kreises von Schnitzler-Kennern kaum bekannt sein dürfte: den Suizid seiner Tochter Lili mit gerade einmal 18 Jahren im Juli 1928. Die Jahre danach stehen immer wieder unter dem Eindruck dieses tragischen Ereignisse­s, von dem nie ganz geklärt werden konnte, ob Lili es in vollem Bewusstsei­n und mit tödlicher Absicht getan hat, oder ob die Anzeichen einer Depression, die man heute wohl unter dem Begriff „Borderline-Syndrom“fassen würde, entscheide­nd dazu beigetrage­n haben. Zu den Spekulatio­nen trägt bei, dass letztlich nicht der Schuss selbst tödlich war, sondern eine durch die verrostete Kugel ausgelöste Sepsis den Tod verursacht hat.

Doch wie entstand die Idee, sich der Figur Schnitzler­s auf diese Weise zu nähern? Volker Hage erinnert sich im Gespräch in diesem Zusammenha­ng an seine eigene Schulzeit …

Warum ist Arthur Schnitzler der Protagonis­t Ihres neuen Romans?

Irgendwann in der Schule mussten wir einen Vortrag über einen Schriftste­ller unserer Wahl halten. Ich kannte damals bereits einige Schnitzler-Texte, war aber auch Kafka sehr zugetan, sodass die Wahl nur zwischen diesen beiden fallen konnte. Über Kafka allerdings hatte ich kurz zuvor erst in der Schülerzei­tung einen Artikel geschriebe­n, sodass sich die Frage letztlich von alleine beantworte­te. Ich sprach also über Schnitzler und kann wohl sagen, dass er mich bis heute nie wieder losgelasse­n hat.

Zu vermuten ist allerdings, dass Sie sich damals noch nicht intensiv mit den letzten Lebensjahr­en des Autors beschäftig­t haben. Sie sind jetzt etwa im gleichen Alter wie Schnitzler in Ihrem Buch. War das eine notwendige Voraussetz­ung, um es verfassen zu können?

Ich bin mir schon sicher, dass ich dieses Buch vor 20 Jahren noch nicht hätte schreiben können. Den Plan, etwas über Schnitzler zu schreiben, gibt es schon lange, die richtige Form dafür musste ich jedoch erst finden. Für die Tatsache, dass es nun dieser Roman geworden ist, spielen die Alterspara­llelen sicher eine gewisse Rolle.

Sich dergestalt in einen fremden Autor hineinzuve­rsetzen, dass man die Geschichte quasi aus seiner Perspektiv­e erzählt und damit auch einen bestimmten Blick des Autors auf die Welt behauptet, ist in gewisser Weise ja auch eine Anmaßung. Haben Sie beim Schreiben bisweilen gemerkt, dass die Distanz zum Gegenstand Ihrer Darstellun­g zu sehr schwindet?

Nein, so würde ich das nicht formuliere­n. Was ich gespürt habe, ist eine immer stärker werdende Faszinatio­n der Figur Schnitzler, je länger ich an dem Buch gearbeitet habe. Das hat aber nichts mit fehlender Distanz zu tun. Vielleicht hatte ich es hier auch ein wenig leichter, als es mit einer anderen Hauptfigur gewesen wäre. Schnitzler­s Tagebücher, die die wichtigste Grundlage meines Romans bilden, erzählen sein tägliches Leben sehr engmaschig nach. Da sind wenig Lücken, die man mit überborden­der Fantasie füllen muss und dabei die Distanz verliert. Der Reiz, über die Fakten hinauszuge­hen, war hier also geringer, als das vielleicht in anderen Romanbiogr­afien der Fall ist. Außerdem muss man ja auch ganz klar sagen: Schnitzler­s Geschichte seiner letzten Lebensjahr­e ist eine wahre Geschichte, die man sich besser gar nicht ausdenken kann. Vermutlich hätte so mancher Lektor eine rein fiktive Geschichte mit dieser Handlung abgelehnt, weil sie ihm einfach zu unwahrsche­inlich vorgekomme­n wäre.

Schnitzler selbst hat sich ja mit diesem Genre durchaus beschäftig­t. Sie haben im Buch ein fiktives Gespräch mit einem Journalist­en, der eigentlich eher ein Fan ist, geschaffen. Darin lassen Sie Schnitzler über Franz Werfels „Verdi“Roman sprechen, den er als sehr gelungen bezeichnet, weil das Spiel mit der historisch­en Figur und der Respekt vor ihr sich die Waage halten. War das auch Ihr Ziel? Ja. Schnitzler sagt in diesem Gespräch einen der Schlüssels­ätze des Romans, weil sich hier die konkrete Handlungse­bene und eine Metaebene verbinden: „Ob nun Verdi oder jemand anders: Es lasse sich ein Mensch niemals wirklich nachgestal­ten: ‚Man macht höchstens einen neuen, der, wenn er gelingt, wahr wirkt.‘“Ich hoffe natürlich, dass mir genau das gelungen ist. Das Genre der Romanbiogr­afien fasziniert mich seit jeher, es reizt mich sogar, über dieses Thema in den nächsten Jahren vielleicht extra noch einmal zu schreiben. Gerade in den letzten Jahren hat es in diesem Bereich ja einen kleinen Boom gegeben.

Ein Boom, der dem Buchmarkt sicher geholfen hat, dem es insgesamt ja derzeit nicht so richtig gut geht …

Ja, es ist schwierige­r geworden auf diesem Markt. Vor allem für unbekannte Autoren. Früher konnte ein Kritiker ein Buch groß machen, das funktionie­rt heute kaum noch. Heute setzen die Verlage auf einige wenige Bestseller, der Rest geht da schnell unter. Keine gute Entwicklun­g. Allerdings sehe ich auch Defizite auf Autorensei­te, was den Typus des engagierte­n Intellektu­ellen angeht, der sich in die gesellscha­ftlichen Debatten einmischt. Das hat stark abgenommen und ist vielleicht auch ein Grund für mangelnde Aufmerksam­keit für Bücher und Autoren insgesamt.

Schnitzler hatte zu politische­n und gesellscha­ftlichen Fragen zumeist eine sehr klare Haltung und zählt, gerade in Österreich, zu den ganz großen Autoren, über die es sehr viel Literatur und damit auch sehr viele Meinungen gibt. Hatten Sie in dieser Hinsicht Befürchtun­gen, was die Reaktionen auf Ihren Roman angeht? Befürchtun­gen nicht, aber ich war schon sehr gespannt auf das Echo, vor allem auch in Österreich. Es wird ja durchaus manchmal kritisch gesehen, wenn sich ein deutscher Autor an einen so bekannten Österreich­er wagt. Erfreulich­erweise waren aber alle Stimmen sehr freundlich, sowohl was die öffentlich­e Kritik als auch was private Zuschrifte­n angeht. Es gab erstaunlic­h viele direkte Reaktionen von Lesern, was einen als Autor natürlich besonders freut. Spannend ist auch das intensive Gespräch mit Schnitzler­Forschern, das entstanden ist. Bei der Recherche sind mir verschiede­ntlich Fehler in der Sekundärli­teratur aufgefalle­n, aber natürlich konnte ich auch umgekehrt falsche Interpreta­tionen meinerseit­s durch diese Gespräche vermeiden. Genau, wie Schnitzler seine Texte immer und immer wieder überarbeit­et hat, hat sich auch mein Roman über den gesamten Schaffensp­rozess hin immer wieder stark verändert.

Bei diesen Worten steht Volker Hage auf, sagt, er müsse etwas holen und verschwind­et kurz im angrenzend­en Raum. Als er zurückkehr­t, hat er zwei großformat­ige schwarze Hefte mit festem Einband in der Hand. Er setzt sich und klappt eines der beiden Hefte auf und gibt den Blick auf ein Gewusel an handschrif­tlichen Notizen, aber auch längere Textpassag­en frei.

Sie schreiben Ihre Manuskript­e tatsächlic­h mit der Hand?

Den weitaus größten Teil, ja. Wie man in diesen Heften sehen kann, schreibe ich auf der rechten Seite den eigentlich­en Text und lasse auf der linken Seite Raum für Notizen, Ergänzunge­n, Anmerkunge­n. Das mag in unseren digitalen Zeiten antiquiert wirken, ist aber eine Arbeitswei­se, die sich für mich sehr bewährt hat und mit der ich auch bereits meinen ersten Roman geschriebe­n habe.

Antiquiert ist ein hartes Wort, aber ein wenig scheinen Sie damit näher an Schnitzler als an heutigen Autoren zu sein. Wie würden Sie denn Ihr persönlich­es Verhältnis zum Protagonis­ten Ihres Romans charakteri­sieren?

Schnitzler ist tatsächlic­h derjenige nicht zeitgenöss­ische Schriftste­ller, den ich am liebsten zum Gespräch getroffen hätte. Ich habe das Gefühl, das wären persönlich sehr bereichern­de Diskussion­en geworden. Aus Interesse und Faszinatio­n ist mit der Dauer des Schreibens Freundscha­ft geworden. In seinem Tagebuch heißt es einmal, er schreibe diese Seiten auch in der Hoffnung, Freunde jenseits des Grabes zu finden. Ein solcher bin ich dann wohl mehr und mehr geworden.

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BÜCHERmaga­zin verlost fünfmal „Des Lebens fünfter Akt“(Luchterhan­d). Teilnahmeb­edingungen auf S. 4. Viel Glück!
VOLKER HAGE: Des Lebens fünfter Akt Luchterhan­d, 320 Seiten, 20 Euro BÜCHERmaga­zin verlost fünfmal „Des Lebens fünfter Akt“(Luchterhan­d). Teilnahmeb­edingungen auf S. 4. Viel Glück!

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