Bücher Magazin

Spürhund der menschlich­en Seele

- VON STEFAN VOLK

Die Edition Simenon lässt Maigret lebendig werden

Die „Edition Simenon“aus dem DAV-Verlag würdigt den belgischen Schriftste­ller Georges Simenon. Walter Kreye leiht seinem berühmtest­en Kommissar Maigret seine raue Stimme und es gibt auch Nicht-Maigret-Romane zu entdecken.

Pfeife im Mund, Melone auf dem Kopf, Samtkragen am Mantel, gestatten: Maigret. Der gediegene Kommissar aus Paris ist eine Ikone der Kriminalli­teratur. Getrost darf man ihn mit Sherlock Holmes oder Hercule Poirot in einem Atemzug nennen. Von diesen drei Genre-Größen war Maigret der mit Abstand umtriebigs­te Kriminalis­t. Keiner der anderen hat annähernd so viele Fälle gelöst. Der Reputation seines Schöpfers aber hat das nur wenig genutzt.

Der belgische Schriftste­ller Georges Simenon, der zu Beginn seiner Laufbahn unter Pseudonym unzählige Groschenro­mane veröffentl­ichte, stand zeit seines Lebens im Ruf, ein Vielschrei­ber zu sein. Überborden­d kreativ, Dutzende Romane pro Jahr, besessen, aber eben auch oberflächl­ich, unliterari­sch, mit schlichtem Satzbau und sparsamem Wortschatz. Fast so, als habe er den Rat der französisc­hen Schriftste­llerin Colette überbeherz­igt, die ihm als Redakteuri­n von „Le Matin“in den 1920er-Jahren dazu geraten haben soll, „alles Literarisc­he“zu streichen.

Die zwischen 1931 und 1972 veröffentl­ichten „Maigret“-Romane dienten Simenon zunächst als Brücke von der Kolportage zur anspruchsv­ollen Literatur, die ihm jedoch nie den ersehnten Nobelpreis einbrachte. Was als Übergang geplant war, wuchs sich zur Herzkammer seines Schaffens aus. Simenon, das ist bis heute nicht nur, aber vor allem Maigret.

Mit der „Edition Simenon“setzt der DAV-Verlag einem Schriftste­ller ein akustische­s Denkmal, der vielen noch immer als ein Rätsel und Sonderfall der Literatur gilt. Alle 75 „Maigret“Romane und ausgewählt­e „Maigret“-Erzählunge­n werden – leider nicht in chronologi­scher Folge – bis Herbst 2020 nach und nach als Hörbücher veröffentl­icht. Der krimierpro­bte Fernsehsch­auspieler Walter Kreye (u. a. „Der Alte“) leiht Maigret in den ungekürzte­n Lesungen seine raue, brausende Stimme. Dabei klingt er so nachdenkli­ch knisternd, wie man sich das für einen passionier­ten Pfeifenrau­cher wünscht.

Überhaupt dominiert das nostalgisc­he Flair diese einzigarti­ge Reihe. Die Bilder zu Kreyes kraftvoll soignierte­m Vortrag malt man sich fast zwangsläuf­ig in jenem grobkörnig­en SchwarzWei­ß, in dem auch die liebevoll gestaltete­n, allerdings nur sparsam ausgestatt­eten Hörbücher gehalten sind.

Das leicht antiquiert­e Auftreten Maigrets garniert seinen legendären Instinkt. Die Lösung sucht er meist in der Psyche der Täter, ihrem Motiv. „Ich frage mich, wie alles angefangen hat. Warum hat er am 2. Februar plötzlich aufgehört, ein harmloser Bürger zu sein, um ein gefährlich­er Verbrecher zu werden?“, rätselt der Kommissar in „Maigret stellt eine Falle“über einen Serienkill­er.

Als Spürhund der menschlich­en Seele ist Maigret ein Geistesver­wandter seines Schöpfers. Das zeigt sich auch in den Nicht-MaigretRom­anen, die die Simenon-Edition ergänzen. So etwa in den von Christian Berkel mit kühler Brillanz vorgetrage­nen frühen Fällen des Inspektors G7, die erstmals in deutscher Sprache vorliegen. Oder im 2014 von Mathieu Amalric verfilmten Erotikkrim­i „Das blaue Zimmer“, in dem Simenon den Versuch, eine Affäre ohne Fragen zu führen, mörderisch scheitern lässt. Und nicht zuletzt im autobiogra­fischen „Brief an meine Mutter“.

Darin erinnert sich der Autor, wie seine Mutter ihn an ihrem Sterbebett begrüßte: „Warum bist du gekommen, Georges?“Die unerbittli­chen Antworten, die er anschließe­nd an seine verstorben­e Mutter richtet, liest Ulrich Noethen mit einer melancholi­schen Eindringli­chkeit, die schmerzlic­h unter die Haut geht: „Wir haben uns zu deinen Lebzeiten nie gemocht. Das weißt du. Wir beide haben nur so getan als ob.“

 ??  ?? Stefan Volk lebt in Freiburg im Breisgau. Er hat über Literaturv­erfilmunge­n promoviert und arbeitet als freier Autor, Film- und Literaturk­ritiker in Deutschlan­d und der Schweiz
Stefan Volk lebt in Freiburg im Breisgau. Er hat über Literaturv­erfilmunge­n promoviert und arbeitet als freier Autor, Film- und Literaturk­ritiker in Deutschlan­d und der Schweiz

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