Verleger Daniel Kampa im Interview
Daniel Kampa bringt in seinem neu gegründeten Kampa Verlag das Gesamtwerk von Georges Simenon neu heraus. Ein Gespräch mit dem Verleger aus Leidenschaft über kreative Konzepte für die Wiederbelebung von Klassikern.
Es gehört schon Mut dazu, in Zeiten rückläufiger Buchverkäufe einen Verlag zu gründen. Genau dies hat Daniel Kampa, zur Überraschung der gesamten Branche, getan: Im letzten Herbst ist sein Kampa Verlag mit 40 Buchtiteln an den Start gegangen. Als Ort für unser Interview hat der 47-jährige Verleger den AngloGerman Club gewählt. Der liegt an der Alster direkt gegenüber dem Hamburger Hoffmann & Campe Verlag. Dort hat Kampa vier Jahre lang als verlegerischer Geschäftsführer das Programm gestaltet. Für seine Aufgabe brachte er die richtigen Voraussetzungen mit; nach seinem Studium der Wirtschaft und Publizistik arbeitete er bei Verlagen und Literaturagenturen in London und New York. Ein einjähriges Volontariat bei Diogenes war der Einstieg in seine 20-jährige Karriere beim renommierten Züricher Verlag, wo er den legendären
Verleger Daniel Keel bei der Programmgestaltung und der Entdeckung neuer Autoren unterstützte. Während unseres Gesprächs zeigt sich Kampa als ein zupackender und leidenschaftlicher Verleger, sein Enthusiasmus für Autoren so ist mitreißend, dass man ihm stundenlang zuhören könnte.
In Zeiten der heißdiskutierten Krise des Buchmarktes gründen Sie einen Verlag. Eine verrückte Idee?
Alle sagen, ich sei verrückt. Für unser Interview bin ich nur für zwei Stunden aus der Anstalt entlassen worden. Nein, im Ernst, ich glaube, man darf sich einfach nicht entmutigen lassen von Zahlen. Man muss ans Buch glauben! Ich persönlich kann auch nichts anderes machen, ich arbeite seit 25 Jahren im Ver
lagswesen. Das ist mein Traumberuf. Ich kann jetzt nicht auf einmal anfangen, Versicherungen zu verkaufen oder Busfahrer zu werden.
Aber Sie hatten ja einen Topjob und waren sehr erfolgreich bei Hoffmann und Campe.
Ich hatte einen Traumjob bei Hoffmann und Campe. Er ist einer der ältesten Verlage Deutschlands mit einem tollen Renommee. Ein Verlag, der Heinrich Heine, Siegfried Lenz und sehr viele bekannte Sachbuchautoren verlegt und hinter dem kein Konzern, sondern ein Mensch steht, Thomas Ganske, der als Eigentümer diesen Verlag fördert, und mir als Verleger komplett freie Hand gelassen und den Rücken freigehalten hat. Für die Gründung meines Verlags waren persönliche Gründe ausschlaggebend: Ich bin Vater geworden. Vier Jahre lang bin ich zwischen Hamburg und Zürich gependelt, da meine Frau dort als Juristin für Asyl- und Strafrecht arbeitet. Als unsere Tochter auf die Welt kam, war klar: Ich kann kein Pendel-Papa sein, der nur am Wochenende einfliegt. So kam mir die Idee: Dann gründe ich halt einen eigenen Verlag!
Ihr literarischer Verlag veröffentlicht neben neu entdeckten Autoren den belgischen Schriftsteller und Maigret-Erfinder Georges Simenon. Sie haben die Rechte an seinem Gesamtwerk erworben. Wie ist Ihnen dieser Coup gelungen?
Das war eine glückliche Fügung. John Simenon, der sich um das Werk seines Vaters kümmert und dessen Rechte verwaltet, kam auf mich zu und bat mich, ein Konzept zu machen für die Vermarktung des Werks seines Vaters in den nächsten zehn bis 15 Jahren. Es ging nicht um Geld, sondern um Ideen. Ein Autor, der toll ist, aber nicht mehr lebt, ist schwierig zu verlegen. Die Bücher verschwinden sehr schnell vom Markt und aus den Buchhandlungen. Es ist die Kür für einen Verleger, ein Werk am Leben zu erhalten.
Und eine Mammut-Aufgabe: Simenons Werk sprengt vom reinen Umfang her jeden Rahmen. Es umfasst ja nicht nur die berühmten Kriminalromane und Erzählungen, in denen der Kommissar Maigret die Hauptrolle spielt – schon das allein sind 75 Romane –, sondern 117 weitere Romane, 28 Erzählungen und Reisereportagen. Wie werden Sie das stemmen? Wir arbeiten unter Hochdruck daran, alle „Maigrets“in den nächsten zwei Jahren herauszubringen. Und in jedem Programm werden wir mindestens eine Überraschung haben, also etwas wirklich Neues von Simenon. In unserem Herbstprogramm waren das zum Beispiel erstmals ins Deutsche übertragene Krimi-Erzählungen um den Kommissar G7, der schon in denselben Gegenden ermittelt wie später der Pfeife rauchende Maigret. Die „Maigret“-Atmosphäre ist hier schon zu spüren. Mein Anspruch ist, dass ich in jeder Saison etwas mache, das es auf Deutsch noch nie gab. Und die großen psychologischen Romane von Simenon bringen wir nicht als Taschenbuch, sondern als gebundene Ausgabe heraus. Das wird eine gewaltige Edition, die wir zusammen mit Hoffmann und Campe stemmen.
Wie wollen Sie neben Simenon-Fans auch ein neues Publikum gewinnen?
Wir haben bekannte Autoren und Simenon-Fans gefragt, ein Nachwort zu schreiben. Die haben wir auch schnell gefunden, wie Julian Barnes, John Banville, Paul Theroux oder Daniel Kehlmann.
Daniel Kehlmann ist erst durch Sie auf Simenon gestoßen.
Kehlmann kannte Simenon, hatte sich aber noch nie näher mit ihm beschäftigt. Er nahm meine Bitte für ein Nachwort „Der Schnee war schmutzig“zum Anlass, den Roman zu lesen, ein Buch, das laut dem „New Yorker“zu den besten Romanen des 20. Jahrhunderts zählt und seit Jahrzehnten nicht mehr lieferbar war. Kehlmann war begeistert und schrieb ein tolles Nachwort. Das Buch ist im Herbst bei uns erschienen und wir haben es gerade nachgedruckt, weil es sich so gut verkauft hat.
Was besticht an Maigret? Warum sollen ihn junge Leute heute lesen?
Mit Maigret hat Simenon den Kriminalroman in den 30er-Jahren neu erfunden. Alle Krimis, die man heute liest, sind eigentlich halbwegs Imitationen von Maigret.
Inwiefern?
Vor Maigret gab es Sherlock Holmes und Agatha Christie, bei ihnen spielen Indizien und Action die Hauptrolle. Simenon hat bei den „Maigrets“Action durch Psychologie ersetzt und Indizien durch Atmosphäre. Bei Agatha Christies Krimis, die auch im Englischen „Whodunit“heißen – Wer hat’s getan? –, sind die letzten zehn Seiten wichtig, auf denen der Mörder demaskiert und entdeckt wird. Bei Simenon sind die Seiten bis auf die letzten zehn Seiten die wichtigsten, denn es geht nicht um die Frage: Wer war’s?, sondern: Warum ist jemand zum Mörder geworden?
Alle Psychothriller ticken so.
Simenon hat dabei die Gratwanderung geschafft zwischen Literatur und Spannung. Auch in seinen sogenannten „Non-Maigrets“war er immer, wie er selbst sagte, auf der Suche nach dem „L’Homme Nu“, dem nackten Menschen. John Banville vergleicht Simenon zu Recht mit Kafka, wenn er schreibt: „Beide zwingen uns dazu, uns die Nase am Fenster der Welt platt zu drücken und mit weit aufgerissenen Augen auf Dinge zu starren, die wir, das spüren wir, besser nicht sehen sollten, und dennoch können wir den Blick nicht abwenden.“
Neben Simenon verlegen Sie auch andere Autoren, wie die vor 30 Jahren verstorbene New Yorker Schriftstellerin Kathleen Collins. Wie haben Sie Ihre Storys, die Sie unter dem Titel „Nur einmal“veröffentlichen, entdeckt? Ich habe ein Buch von ihr im Schaufenster einer Londoner Buchhandlung gesehen. Schon als ich die erste Erzählung, sie ist wunderschön, gelesen hatte, dachte ich: Das muss ich unbedingt machen! Collins war Afroamerikanerin, Filmemacherin und eine starke Frau. Sie schrieb sehr persönlich über sich und ihre Zeit, die Zeit der Bürgerrechtsbewegung, in der sich die große Frage stellte: Gibt es eigentlich eine Liebe – kann auch Liebe farbenblind sein? Kann es Beziehungen geben zwischen Weißen und Schwarzen? Es ist die Zeit, wo es zum ersten Mal im studentischen Milieu solche Beziehungen gab. Mit allen Problemen. Aber im Endeffekt sind die Erzählungen einfach grandiose Liebesgeschichten, dies ist ja der große Test von Literatur. Auch wenn Collins in den Sechziger- und Siebzigerjahren geschrieben hat, ist man auch heute ergriffen von der Qualität und Aktualität ihrer Texte.
Als Verleger, das war das Motto von Daniel Keel, dem inzwischen verstorbenen Gründer des Diogenes Verlages, müsse man der eigenen Nase folgen und nicht irgendwelchen Trends hinterherhecheln. Sie haben den legendären Verleger mit 17 Jahren kennengelernt.
Ich war noch Schüler, lebte mit meiner Familie in Luxemburg und war ein großer Fan der DiogenesBücher. In den Ferien bin ich mit einem InterrailTicket in die Schweiz gefahren, habe in Zürich in einer Jugendherberge übernachtet und den Verlag besucht. Alle Mitarbeiter waren nett und sympathisch. Ich durfte hinter die Kulissen schauen, habe ganz viele Bücher geschenkt bekommen und durfte auch kurz mit Daniel Keel plaudern. Nach meinem Besuch wusste ich: In diesem Verlag möchte ich unbedingt arbeiten.
Vor Ihrem Volontariat bei Diogenes haben Sie allerdings erst in Sankt Gallen und Fribourg studiert. Sie wurden Assistent und ein enger Vertrauter des Verlegers.
Daniel Keel hat mir wahnsinnig viel bedeutet. Ich habe alles bei ihm gelernt, er war für mich eine Vaterfigur. Er hat diesen grandiosen Verlag aus dem Nichts erschaffen. Ich finde bis heute, dass er die größte Verlegerpersönlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist. Er hat keine hochgestochene, elitäre Nabelschauliteratur gemocht, sondern einfach gut erzählte Bücher geliebt. Er hat mir immer wieder gesagt: „Die Regel Nummer eins ist, mache das, was du wirklich machen möchtest. Du musst begeistert sein von dem, was du tust, du musst die Bücher lieben.“
So sehr, dass Sie selbst sogar bereit waren, für das Startkapital Ihres Verlages eine Hypothek auf Ihr Privathaus in Zürich aufzunehmen.
Sie haben Mut zum Risiko.
Man muss etwas wagen im Leben. Und ehrlich gesagt, wenn es nicht funktionieren sollte, was ich natürlich nicht hoffe, dann bleiben mir am Ende trotzdem noch ein paar schöne Bücher.
Sie sind ein leidenschaftlicher Büchermensch. Was bestärkt Sie, an die Zukunft des Buches zu glauben, trotz einer schwindenden Leserschaft?
Darauf hat schon Daniel Keel die schönste Antwort gegeben, indem er Federico Fellini zitierte: „Die Menschen werden immer Lust haben, eine Geschichte zu erzählen und eine Geschichte anzuhören. Es geht ja nicht um Bücher, es geht um Geschichten. Wir brauchen Geschichten zum Leben. Das wird nie aufhören, solange es Menschen gibt.“