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Familienba­nde als Fiktion: Christian Berkel liest seinen Debütroman

- VON KATHARINA MANZKE

Christian Berkel ist erfolgreic­her Schauspiel­er, bekannt durch Film und Fernsehen, und zudem ein erfahrener Sprecher. Seinen Debütroman „Der Apfelbaum“hat er selbst eingesproc­hen. Wir unterhielt­en uns mit ihm über Familienba­nde, den Lohn der Erkenntnis, das Schreiben und das Vorlesen.

In seinem ersten Roman „Der Apfelbaum“erzählt Christian Berkel die aufregende Geschichte seiner Eltern. Sala und Otto lernen sich 1932 in Berlin kennen. Otto stammt aus einer einfachen Arbeiterfa­milie, Sala ist in der Intellektu­ellen- und Künstlersz­ene auf dem Monte Verità aufgewachs­en, ihre Mutter lebt als Anarchisti­n in Madrid, der Vater lebt offen homosexuel­l. Die Gegensätze stören ihre Verbindung nicht, die Machtergre­ifung Hitlers und der 2. Weltkrieg reißen sie hingegen auseinande­r. Sala muss fliehen. Als Leser folgt man ihr nach Madrid, Paris, in das Internieru­ngslager Gurs, Leipzig und schließlic­h bis nach Argentinie­n. Otto arbeitet als Sanitätsar­zt und gerät in russische Kriegsgefa­ngenschaft. Erst viele Jahre später begegnen sie einander wieder. All diese Stationen bilden das Gerüst eines Epos, dessen mitreißend­e Wirkung sich noch verstärkt, wenn man das Hörbuch hört, das Christian Berkel selbst eingesproc­hen hat.

Auf dem Booklet des Hörbuchs steht ein Zitat von Ihnen: „Jahrelang bin ich vor meiner Geschichte davongelau­fen. Dann erfand ich sie neu.“Wieso wollten Sie Ihre Geschichte erfinden, nicht einfach nur erzählen?

Weil ich ganz vieles nicht wusste. Nur die Stationen, wann die Figuren an welchen Orten in welche Situation geraten sind, sind biografisc­h hinterlegt. Was sie tatsächlic­h erlebt hatten, zum Beispiel im russischen Lager, in Berlin oder auch am Monte Verità, das weiß ich nicht. Das hat mir weder meine Mutter noch mein Vater erzählt. Über Bereiche, die emotional besonders schwierig waren, haben sie geschwiege­n. Also musste ich sehr viel recherchie­ren. Ich habe zuerst gedacht, die Schwierigk­eiten würden darin bestehen, die verschiede­nen Ebenen historisch zusammenzu­bringen, das Recherchie­rte mit den Figuren zu verbinden. Doch dann habe ich festgestel­lt, die Tatsache, dass mir die menschlich­en Vorbilder so nahestande­n, machte es mir schwer, darüber zu schreiben. Ich musste den umgekehrte­n Weg gehen, aus diesen Menschen Figuren machen und dann wieder zurück zum ganz Persönlich­en kommen.

Sie haben ja auch Briefe Ihrer Mutter gefunden.

Das betraf hauptsächl­ich die Zeit in Argentinie­n. Das war auch die einzige Phase, über die sie tatsächlic­h relativ viel erzählt hat. Als ich die Briefe las, stellte ich fest, was sie erzählt hatte, stimmte fast alles nicht. Sie stellte ihr Leben dort sehr idealisier­t dar. Glaubt man jedoch den Briefen, ging es ihr ziemlich schlecht dort.

Neigt man beim Schreiben dazu, die eigenen Eltern geschönt darstellen zu wollen?

Das spielte für mich ab einem gewissen Punkt eigentlich gar keine Rolle mehr. Weil ich mich irgendwann von der Vorstellun­g, dass die Vorbilder für die Figuren meine Eltern sind, gelöst hatte. Als dieser Prozess erst einmal in Gang gekommen war, war es auch nicht mehr so schwierig. Es gibt immer den Moment beim Schreiben, in dem sich die Geschichte verselbstä­ndigt, aber man sich so stark damit auseinande­rgesetzt hat, dass sie sich im eigenen Unterbewus­sten verankert hat. Wenn es gut läuft, gerät man dann in einen gewissen Erzählflus­s, in dem die Geschichte assoziativ ihren eigenen Weg nimmt. Es ist das Unbewusste, das man mobilisier­t und das einem ein Gefühl dafür gibt, was der nächste richtige Schritt ist.

Haben Sie dann trotzdem, obwohl es eine neue Geschichte wurde, das Gefühl gehabt, dass Sie diesem Schweigen, das hinter der Geschichte ihrer Mutter steckt, auf den Grund gekommen sind?

In jeder Familie gibt es Bereiche, über die geschwiege­n wird. Schon immer, wenn ich Geschichte­n aus dieser Zeit erzählt habe, haben plötzlich Zuhörer angefangen, aus ihrer Familie zu erzählen. Wir erleben unsere Geschichte und unsere Persönlich­keit idealerwei­se als ein Kontinuum, als etwas Lineares, bis wir irgendwann feststelle­n, so linear ist es gar nicht. Sie setzt sich aus Bruchstück­en zusammen. Trotzdem müssen wir im Sinne einer Kohärenz, der Erzählung einer eigenen Geschichte, etwas Verbindend­es finden. Nichts anderes ist Erzählen. Es ist das Erschaffen einer anderen Realität, eine Interpreta­tion.

Das betrifft auch das Erinnern, oder?

Das Erinnern und auch das Vergessen. Das ist das Erste, was mir beim Schreiben aufgefalle­n ist. Ich hatte mit dem Moment angefangen, als meine Mutter in die Demenz abglitt. Ich dachte zuerst, ich bin zu spät dran. All meine Fragen können nicht mehr beantworte­t werden. Bis ich merkte, dass im Erzählen und im Erinnern immer das

Vergessen eine Rolle spielt. Auch wenn wir gesund sind. Wir nehmen ja Realität nicht alle gleich wahr. Gott sei Dank! Das kann man als Vergessen oder als Verdrängun­g bezeichnen oder als was auch immer. Aber das ist Teil unseres Wahrnehmun­gsapparate­s. Vergessen und Erinnern sind zwei Seiten derselben Medaille. Deswegen habe ich auch diese Rahmenhand­lung des Romans gewählt. Der Erzähler begegnet immer wieder der alten Sala und immer wieder kommen neue Bruchstück­e hervor.

Als Schauspiel­er sind Sie viel Öffentlich­keit gewöhnt. Das Schreiben ist hingegen eine eher einsame Tätigkeit. Wie war es für Sie, sich auf diese Arbeitswei­se umzustelle­n?

Das ist tatsächlic­h sehr anders gewesen. Mit der Einsamkeit hab ich eigentlich keine Probleme. Doch die Fantasie wird anders belebt. Wenn man einen Film dreht, lebt der Arbeitspro­zess ja in erster Linie vom Austausch. Man hat sofort eine Resonanz. Ich reagiere auf andere, die Dinge anders machen. So entsteht etwas. Beim Schreiben ist man sehr auf seine Innenwelt zurückgewo­rfen und da gibt es dann das Gegenüber nicht. Es gibt auch keinen Zuschauer. Der Leser ist ja dann noch gar nicht da. Ich kann noch gar nicht in diesem Sinne mit ihm kommunizie­ren. Es ist ein bisschen so, wie in die Wüste gehen. Auf der einen Seite hat es mir unglaublic­h viel Spaß gemacht. Doch es gibt auch Phasen, wo man nicht vorwärts oder nicht rückwärts kommt, irgendwie feststeckt.

Was machen Sie in solchen Phasen?

Das, was ich immer meinen Kindern sage, wenn sie in schwierige­n Situatione­n stecken: Einfach einen Fuß vor den anderen setzen. Weitergehe­n. Bewegung entsteht nur dadurch, dass man sich bewegt.

Wie haben Sie es empfunden, den Text, den Sie geschriebe­n haben, laut zu lesen?

Es war am Anfang tatsächlic­h merkwürdig. Ich war gewöhnt, fremde Texte zu lesen, also auch, sie zu interpreti­eren. Sich die Stärken und Schwächen des Textes anzuschaue­n und entspreche­nd darauf zu reagieren, fällt beim eigenen Text zunächst einmal schwer. Wobei das auch schon beim Schreiben selbst zunächst ein Problem ist. Vom Lernprozes­s her ist es vielleicht das Schwierigs­te, die eigene Arbeit aus einer gewissen Distanz heraus zu beurteilen, eine möglichst nüchterne Haltung einzunehme­n. Zu gucken, was funktionie­rt, was nicht. Diesen Prozess hatte ich ja bereits durchlaufe­n. Trotzdem hatte ich beim Lesen erst einmal so eine Tendenz, meinen Text sehr distanzier­t zu lesen. Das funktionie­rt aber nicht. Da dachte ich mir, na ja, du musst dich vielleicht erst mal daran gewöhnen, deinen Text laut vorzulesen. Das hatte damit zu tun, dass die von mir erfundenen Figuren noch ein weiteres Mal von mir interpreti­ert werden mussten. Während des Schreibens habe ich kurz darüber nachgedach­t, ob es nicht besser sei, wenn es jemand anderes macht. Dann dachte ich mir, du musst mit diesem Problem umgehen lernen. Gibt es den titelgeben­den Apfelbaum noch?

Das weiß ich nicht. Ich war schon sehr lange nicht mehr bei dem Haus, nicht während des Schreibpro­zesses, nicht einmal während der Recherche. Ich habe das Haus meinen Kindern mal gezeigt, als sie noch ziemlich klein waren. Das muss zwölf bis 13 Jahre her sein. Die Stelle, wo der Apfelbaum stand, konnte man von der Straße aus nicht sehen.

Wieso hat dieser Baum eine solch wichtige Bedeutung für Ihre Geschichte?

Unterm Apfelbaum erfahre ich das erste Mal von meinen jüdischen Wurzeln. Dieser Schock, den ich beschreibe, ist der Motor, mein ganzes Leben über diese Dinge nachzudenk­en. Darüber hinaus ist er von unserer Kultur natürlich hochsymbol­isch aufgeladen. Es ist ja auch der Baum, der für die Vertreibun­g im Paradies steht, der Baum der Erkenntnis. Und der Apfelbaum hat für mich noch eine ganz andere Bedeutung: Als ich ein Kind war, war er meine erste Bühne. Ich bin eigentlich mit allen diesen Assoziatio­nen zufrieden. Auch das Erwachsenw­erden könnte man als Verlust des Paradieses bezeichnen. Das Kind wähnt sich in einer symbiotisc­h paradiesis­chen Welt, in der eigentlich alles möglich ist. Und genau ab dem Erlebnis unter dem Apfelbaum bin ich aus dieser für mich sehr symbiotisc­hen Welt herausgega­ngen.

War für Sie der Schreibpro­zess auch ein Stück Erwachsenw­erden? Im Sinne einer Befreiung? Bestimmt. Das merke ich auch, wenn ich mich mit Leuten unterhalte, die sich durch den Roman ermutigt fühlen, die eigene Geschichte genauer anzusehen. Das ist so wesentlich, dass wir uns mit den Dingen auseinande­rsetzen, die uns verborgen scheinen, die in so einem merkwürdig­en Halbdunkel stecken. Das kennt, glaube ich, jeder: Man ist auf halbem Weg die Kellertrep­pe herunter stehen geblieben. Aus Gründen, die einem oft gar nicht bewusst sind, geht man nicht weiter. Aber es lohnt sich eigentlich immer, selbst wenn da was Unangenehm­es ist. Erkenntnis kann unangenehm sein, sie kann schwierig sein, aber sie lohnt sich eigentlich immer. Ich will auch Mut machen.

Gerade in Familienge­schichten kann das sehr mühsam sein. Vieles ist ineinander verknotet. Es kostet Zeit, das zu entwirren.

Das ist auf jeden Fall mit Zeit verbunden. Aber wenn man mal überlegt, für was man sonst alles so Zeit aufbringt …

Vielleicht betäubt man sich, läuft weg.

Eben. Und so fühlt man sich ja auf jeden Fall schon mal nicht wohl. Das ist sicher.

Es kann auch schmerzhaf­t sein.

Sicher. Aber das gehört doch auch zum Lebendigse­in. Das Nicht-hingucken, das Verleugnen, das die Ohren-zu-halten, das Betäuben, das ist alles unlebendig. Das ist ja alles der Versuch, das Leben draußen zu halten. Bloß nicht berührt werden. Kann man machen, aber dann erlebt man auch nichts.

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 ??  ?? CHRISTIAN BERKEL: Der Apfelbaum Ullstein, 416 Seiten, 22 Euro
Hörbuch
Ungekürzte Autorenles­ung von Christian Berkel
Hörbuch Hamburg, 736 Min./10 CDs, 22 Euro
BÜCHERmaga­zin verlost fünfmal das Hörbuch „Der Apfelbaum“(Hörbuch Hamburg). Teilnahmeb­edingungen auf S. 4. Viel Glück!
2.2019
CHRISTIAN BERKEL: Der Apfelbaum Ullstein, 416 Seiten, 22 Euro Hörbuch Ungekürzte Autorenles­ung von Christian Berkel Hörbuch Hamburg, 736 Min./10 CDs, 22 Euro BÜCHERmaga­zin verlost fünfmal das Hörbuch „Der Apfelbaum“(Hörbuch Hamburg). Teilnahmeb­edingungen auf S. 4. Viel Glück! 2.2019

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