Die Magie des Schreibens
Titelinterview mit T. C. Boyle
Wenn T. C. Boyles Roman „Outside Looking In“im April in seinem Heimatland Premiere feiert, führt die deutsche Übersetzung schon seit zwei Monaten die Bestsellerlisten an. Mit der Story um einen Jünger des LSD-Papsts Leary greift Boyle mal wieder ein Thema auf, das den Zeitgeist trifft, da die Psychedelika-Forschung derzeit eine Renaissance erlebt.
Der große Sendesaal des RBB in Berlin hat 1500 Plätze und ist ausverkauft. Als T. C. Boyle in schwarzer Jeans und Pepita-Jackett auf der Bühne erscheint, applaudiert das Publikum stürmisch. Der Rockstar der amerikanischen Literatur hat in Deutschland eine große Fangemeinde, in Berlin findet die Weltpremiere seines Romans „Das Licht“statt. In seinem Buch kehrt er zurück zu den Anfängen der Hippie-Zeit in den frühen 1960er-Jahren. Der Harvard-Doktorand Fitzhugh Loney schließt sich als wissenschaftlicher Assistent dem Kreis um den Psychologieprofessor und Rauschgift-Guru Timothy Leary an. Der forscht zur Bewusstseinserweiterung mithilfe von LSD. Doch was mit wissenschaftlichem Forschungsdrang beginnt, wird zu einem zerstörerischen Selbstfindungstrip.
Tom Coraghessan Boyle, geboren 1948 in Peekskill, N. Y., als Thomas John Boyle, und Sohn irischer Einwanderer, dessen Eltern am Alkoholismus zugrunde gingen, hat mit seiner Karriere den amerikanischen Traum verwirklicht. Er selbst trieb sich als Gelegenheitsfixer und Punk herum, bevor er mit dem Schreiben begann. Einer seiner Lehrer am renommierten Writers’ Workshop in Iowa war John Irving. Den Studiengang schloss Boyle mit einer Promotion ab. Als Schriftsteller gelang ihm der Durchbruch mit „World’s End“, einem drei Jahrhunderte umfassenden Panorama amerikanischer Geschichte; sieben Jahre später verfilmte Hollywood seinen fünften Roman „Willkommen in Wellville“über den Cornflakes-Pionier Kellogg; für die Filmrechte kaufte er sein 1909 von Frank Lloyd Wright erbautes Prachthaus an der kalifornischen Küste in Montecito.
Als Romanautor ist T. C. Boyle bekannt für seinen schwarzen Humor, mit dem er genüsslich unausweichliche Katastrophen beschreibt. Dabei ist er oft nah an der Zukunft dran, wenn er düstere Szenarien entwickelt, wie in seinem Buch „Ein Freund der Erde“, in dem der Treibhauseffekt im Jahr 2025 zuschlägt. In seinem Roman „América“schrieb er über eine Mauer zwischen Mexiko und den USA, lange bevor der amerikanische Präsident den Bau einer Mauer verfolgte. Auf seiner Lesetour in Deutschland begleitet ihn seine Tochter Kerrie. Als unser Interview beginnt, erzählt ein gut gelaunter T. C. Boyle, dass seine Tochter Deutsch spräche, da sie die deutsche Schule besucht habe, seine Söhne Milo und Spencer allerdings nicht. Seine Frau Karen hat eine deutsche Mutter.
Sie haben Ihre Frau auf dem College kennengelernt.
Ich war 21, sie 20. Wir waren Studenten an der State University of New York, in Potsdam N. Y., nahe der kanadischen Grenze. Ich studierte zunächst Musik, ich spielte Saxofon und Klarinette, aber ich bin beim Vorspielen durchgefallen. Ich hatte kein Rhythmusgefühl für Klassik, die Musik, die ich spielen sollte. Ich war mehr ein Jazz- und Rock’n’Roll-Typ. Aber auf diesem wunderbaren Liberal Arts College entdeckte ich Geschichte und Amerikanische Literatur und habe dann beide Fächer studiert. Ich landete dann in einer Creative-Writing-Klasse. Die Erfahrung zu schreiben, veränderte mein Leben.
Einer Ihrer Lehrer war John Irving.
Das war an der Universität in Iowa, beim Iowa Writers’ Workshop, eines der weltweit renommiertesten Studiengänge für Schriftsteller. Ich hatte das Glück, dort angenommen zu werden, nachdem ich meine in der North American Review veröffentlichte Kurzgeschichte „The OD and Hepatitis Railroad or Bust“eingereicht hatte. John Irving hatte selbst dort studiert und unterrichtete inzwischen. Ich traf ihn, weil wir denselben Mentor, den Schriftsteller Vance Bourjaily, hatten. Im nächsten Semester war John Cheever mein Lehrer, in meinem letzten Semester studierte ich dann bei Irving.
Was haben Sie von Ihren Mentoren gelernt?
Ich habe von ihnen Wohlwollen und Ermutigung bekommen. Sie sagten mir im Wesentlichen, was ich hören musste: „Du hast Talent, du bist auf dem richtigen Weg, mach weiter.“Iowa ist wie ein Konservatorium – für Schriftsteller statt für Musiker. Du musst schon begabt sein, um dort angenommen zu werden, niemand sagt dir, was du tun musst. Jeder muss seinen eigenen Weg finden. Den entdeckt man, indem man das Werk anderer Schriftsteller liest. So bin ich auch mit meinen Studenten verfahren an der University of Southern California, wo ich 35 Jahre unterrichtet habe. In meinen Workshops haben wir Short Storys und Romane gelesen, die Schüler haben sie interpretiert und wir haben die Struktur, den Plot und die Charaktere diskutiert. Doch ich habe keine Anleitungen zum Schreiben gegeben. Um ein Künstler zu werden, musst du nicht studieren. Aber es hilft, wenn man sich in der Gemeinschaft von Gleichgesinnten befindet, die das Gleiche versuchen. Das ist stimulierend.
In Ihrem Roman „Das Licht“beschreiben Sie den Kult um Timothy Leary, Psychologe und Harvard-Professor, der an Studenten die Wirkung von LSD testete und später zum Guru der Hippie-Bewegung in den 1960er Jahren wurde. Warum kehren Sie nach „Drop City“, Ihrem 2003 erschienenen Roman über eine Hippie-Kommune, zu den Anfängen der Hippie-Zeit zurück?
„Drop City“spielt in den späten 1960er-Jahren und ist ein Roman über die Zurück-zur-Natur-Bewegung, Aussteiger, die versuchen, sich der Konsumgesellschaft zu entziehen. Diese Geschichte über die Rock’n’RollZeit und Drogen kennt jeder, ebenso wie wir heute alles über Jimmie Hendrix und die Beatles wissen. Das habe ich ausgelassen. Mich hat interessiert, wie alles begann, insbesondere da LSD mittlerweile in den USA nicht mehr komplett verboten ist.
Der US-Autor Michael Pollan, Professor für Journalistik an der University of California in Berkeley, berichtet in seinem kürzlich erschienenen Buch „Verändere Dein Bewusstsein“über die Renaissance psychodelischer Stoffe in der Medizin und Forschung.
Ja, ich kenne Michael persönlich seit den 1980er-Jahren. Ich wusste nicht, dass er dieses Buch schreibt, doch ich denke, dass wir beide unsere grundsätzlichen Informationen über das Thema aus denselben Quellen bekommen haben. Vor fünf Jahren las ich mehrere Artikel, in denen berichtet wurde, dass Wissenschaftler seit einigen Jahren wieder den Einsatz von Drogen als Therapiemöglichkeit erforschen. Auch LSD wird angewandt, bei Patienten mit extremen Schmerzen oder im Endstadium tödlicher Erkrankungen, um bestimmte Gehirnareale zu aktivieren und sie gewissermaßen wieder mit ihrer Natur in Berührung zu bringen. Das hat mich interessiert und so kehrte ich zu den Anfängen zurück, als LSD in der Psychiatrie erstmals eingesetzt wurde und dann unter dem Einfluss von Leuten wie Timothy Leary seinen Weg in die Gesellschaft fand und zur Droge der Hippie-Generation wurde.
Sie erzählen den Roman aus der Sicht des Studenten Fitzhugh Loney.
Über Leary ist schon unendlich viel geschrieben worden. Mich haben seine Anhänger interessiert. Deshalb erzähle ich die Geschichte aus der Perspektive von Fitz, einem Studenten, der sehr geradlinig ist, der an seiner Dissertation arbeitet und seinen Studienabschluss und Karriere machen will. Ich erzähle, wie sein Vorhaben gekapert wird von der Verführung dieser Droge LSD.
Fitz’ Vorhaben wird aber auch gekapert von der Verführungskraft des charismatischen Gurus Leary. Sie haben schon mehrfach in Ihren Romanen über Führer geschrieben und wie Menschen die Kontrolle über ihre Gedanken verlieren. Was interessiert Sie an diesem Thema?
Ich bin in New York in einer sehr radikalen, linksorientierten Community mit klugen Kids aufgewachsen. Wir waren Punks, antiautoritär und kritisch gegenüber Leuten, die uns erzählen wollten, wie die Dinge zu laufen haben. Das wollten wir selbst rausfinden. Deshalb hat mich immer erstaunt, dass es Sekten gab, oder Gurus, über die ich dann geschrieben habe, wie Dr. Kellog in seinem Sanatorium, oder McKinsey in „Dr. Sex“, oder über Frank Lloyd Wright in „Die Frauen“. Alle waren mächtige, charismatische Personen, die das Leben anderer kontrollierten. Meine Faszination für diese Menschen kommt daher, dass ich mir niemals vorstellen kann, von jemandem beherrscht zu werden. Für mich ist diese Kontrolle schwachsinnig und falsch, weil sie deine eigene Individualität zerstört. Sie haben selbst Drogen genommen, auch LSD. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Ich war ein junger Mann, sehr energiegeladen, aber ohne ein Ziel vor Augen, wie viele von uns Hippies. Ich habe jede vorstellbare Droge ausprobiert, Mescalin und LSD eingeschlossen. Aber ich habe keine gute Erfahrung damit gemacht. Am Anfang dieser Trips haben wir gelacht, es war eine große Party, wir waren high und ausgelassen, haben dem Feuer zugeschaut, Musik gehört, wir hatten Sex. Aber dann stürzten wir ab, und ich hatte einige üble Trips.
In Ihrem Roman gibt ein Hippie-Paar sogar seinen Kindern Drogen.
Viele Hippies, die ich kannte, sahen die Droge als ein Sakrament, das dein Bewusstsein erweitert und dich klüger macht und dass man sie auch Kindern nicht vorenthalten sollte. Das ist natürlich furchtbar.
Haben Sie mit Ihren Kindern über Drogen gesprochen?
Als sie jünger waren, habe ich ziemlich offen mit ihnen über Drogen gesprochen. Aber auch in allen Schulen, die meine Kinder besucht haben, gab es ein Anti-Drogen-Programm, genannt D.A.R.E. In meinem Buch „Back in the Eocen“habe ich eine Kurzgeschichte darüber geschrieben aus der Sicht des Vaters, der seine Tochter zu den Lektionen begleitet, und sich fragt, ob Aufklärung und ein „Nein“die Antwort auf die verführerische Frage ist: „Let’s do it?“Nicht immer, so wie es der Vater in meiner Geschichte beschreibt.
Hat Ihnen das Schreiben das Leben gerettet?
Ja, denn es gab mir ein Ziel und einen Sinn im Leben. Beim Schreiben passiert etwas Magisches. Ich bin in einer anderen Welt.
In Ihrem Roman „Ein Freund der Erde“, der vor 19 Jahren erschien, beschreiben Sie, wie die globale Erwärmung die Natur im Jahr
2025 zerstört hat. Fühlen Sie sich als Kassandra?
Es erschreckt mich, dass sich meine Vision aus meinem Roman so schnell bewahrheitet hat. Ich habe die Klimakatastrophe für das Jahr 2026 datiert, jetzt haben wir sie heute schon.
In Kalifornien hat es im letzten Jahr monatelang gebrannt, die verheerenden Waldbrände waren die schlimmsten in der Geschichte. Es folgten Regenfälle, Erdrutsche und Schlammlawinen. Nun hat Amerika einen Präsidenten, der den Klimawandel leugnet.
Die absichtliche Zerstörung der Natur dieser rechtsgerichteten Regierung wird uns 100 Jahre zurückwerfen. Was ich dazu sage? Ich bin das Problem. Ich habe keinen gemeinsamen Nenner mit den Rechten. Woran glaubt Trump? Daran, sich selbst zu bereichern
mithilfe von Putin. Woran glauben die Linken? Wir glauben an Menschenrechte, an Bildung, an Umweltschutz, an die Gleichberechtigung, an ein öffentliches Gesundheitssystem und an eine multikulturelle Gesellschaft. Das ist das Gegenteil dessen, woran Trump und diese Regierung glauben.
Können Sie verstehen, was die Trump-Unterstützer antreibt?
Ich komme selbst aus einer Arbeiterfamilie. Ich habe den amerikanischen Traum erfüllt, ich bin in eine andere Klasse aufgestiegen durch Bildung, die ich an öffentlichen Schulen genossen habe. Ich verbringe viel Zeit in den Bergen der Sierra Nevada und habe dort Freunde. Jeder von ihnen bezeichnet sich selbst als „Redneck“, sie haben alle Bush und nun Trump gewählt. Trotzdem mag ich sie. Sie sind gute Menschen. Wir mögen uns, respektieren uns. Unsere politischen Ansichten sind völlig verschieden, das macht es schwieriger. Diese Leute sind nicht in fremde Länder gereist, sie wissen nicht viel über die Welt, sie lesen keine Zeitung oder Bücher, sie sind isoliert, sie sehen nur Fox News, sie werden von Propaganda kontrolliert. Nachdem die Frau meines besten Freundes gestorben war, luden wir ihn zum Abendessen ein. Das war ein paar Monate vor der Wahl und er erzählte uns, er würde Trump unterstützen.
Wie haben Sie reagiert?
Der Abend endete damit, dass wir uns gegenseitig angeschrien haben ( lacht). Ist das nicht schrecklich? Er fährt einen Truck mit einem Trump-Sticker. Aber wir sind immer noch Freunde. Ich kann nur hoffen, dass Trumps Wähler bald merken, dass er nichts für sie tut, sondern nur sich und milliardenschweren Konzernen nützt.