Schnörkel und Melancholie
In Österreich wurde Barbara Zeman bereits mehrfach für ihre Kurzgeschichten ausgezeichnet. Jetzt legt sie mit „Immerjahn“ihr Romandebüt vor. Eine fabulierfreudige Geschichte über das übervolle und zugleich sehr leere Leben eines alternden Kunstsammlers.
Barbara Zemans Debütroman
Den Debütroman von Barbara Zeman zu lesen ist vergleichbar mit einem ausgedehnten Rundgang in einem riesigen, mehrgeschossigen und labyrinthischen Antiquitätenkaufhaus, in dem es jede Menge Kunst und ein wenig Kitsch zu kaufen gibt. Weniger mit einem Museum, obwohl er sich um eines dreht: Gotthold Immerjahn, der unfassbar reiche Erbe einer Zementfabrik, möchte die gewaltige Kunstsammlung in seinem von Mies van der Rohe mitgestalteten Haus auf dem Hagebuttenberg zu einem Museum machen. Während er die Bestände Stück für Stück sichtet, taucht man als Leser in sein Leben ein, denn jedes Bild, jedes Kunst- oder Designobjekt, jedes ausgefallene Kleidungsstück, jedes extravagante Möbel ist mit Erinnerungen verknüpft. „Es war ihm klar, dass sein Haus eher einer Wunderkammer denn einem Museum glich, sein Haus, dachte Immerjahn, hätte Rudolph II. gefallen“, heißt es gleich zu Beginn der Geschichte. Für ein Museum wurden die Objekte, die ausgestellt werden sollen, zu sehr durcheinandergewürfelt: Ikonen aus dem Mittelalter treffen auf Bilder von van Gogh und Malewitsch, eine Sammlung von Riesenkäfern, französische Federhüte und ein ausgestopftes Gnu.
Alles ist eng verknüpft mit Immerjahns Leben. Während er Stück für Stück sichtet, für sich selbst zu ordnen versucht, erfährt man auch von seiner einsamen Kindheit, den Eskapaden seiner exzentrischen Eltern, der Freundschaft mit dem jungen Künstler Fritzwalter, der später in Mexiko große Erfolge feiert. Man liest von eigenen künstlerischen Ambitionen, einem Talent zum Zeichnen und wie dieses im Laufe der Jahre verloren ging. Bald betritt Katka den Schauplatz, die Frau, die Immerjahn mit 24 Jahren heiratete und die dem „Selbstbildnis mit angewinkelter Hand“von Paula Becker Modersohn erstaunlich ähnlich sieht. So kommt man zwischen all den vielen Bildern, den Anekdoten und Anspielungen auf Kunst- und Kulturgeschichte der Hauptfigur des Romans langsam näher.
Immerjahns Pate war, so die Autorin, der Schöpfer des „Münchhausen“Karl Leberecht Immermann, ein „großer Flunkerer und Fabulierer“. Tatsächlich hat Immerjahn viele unglaubliche Anekdoten zu erzählen. Doch es ist vor allem Barbara Zeman selbst, die ein großes Talent zum Fabulieren beweist. Die in Wien lebende Autorin, die 1981 im Burgenland geboren wurde, erzählt ihre Geschichte in langen Sätzen, ausschweifend und voller Schnörkel, mit einer großen Begeisterung für Details. Dafür muss man beim Lesen teilweise etwas Geduld aufwenden, doch wenn man sich darauf einlässt, wird die Lektüre sehr unterhaltsam. Man
erfreut sich an den skurrilen, teilweise absurden Bildern. Der Sinnlichkeit des Erzählten, den vielen Farben, Formen. Interessant ist auch der Einblick in eine vollkommen überdrehte, künstliche Welt der Überreichen. Was die Lektüre aber besonders schön macht, ist das, was man beim Lesen nicht direkt „sieht“, sondern spürt: Aus all diesem Überbordenden dringt ganz leise auch Immerjahns Melancholie, eine einsame Traurigkeit und eine Leidenschaft, die eher ein Nachhall von etwas ist, das längst vorbei ist.
Die anderen Figuren im Roman scheinen sich manchmal fast geisterhaft zwischen den Dingen zu bewegen. So wie Immerjahns Frau Katka, die oft tagelang verschwunden ist. Während sie vor ihrer Hochzeit mit Immerjahn zu einem beinahe asketischen Lebensstil neigte, hat sie sich inzwischen das Einkaufen zum Lebensinhalt gemacht: Sie ersteht schicke elfenbeinfarbene Kleider in sämtlichen Varianten und Dinge wie Bucheinbände in Edelsteinverkleidung. Weil „die großen Männer des Romans in Wirklichkeit nichts anderes als ihre Trabanten sind“, mag Barbara Zeman sie von all ihren erfundenen Figuren am liebsten. Und die Haushälterin Frau Manzur, „wegen ihres seltsamen Glamours und ihrer Vorliebe für Glitzer, ihrer ruppigen Fürsorglichkeit.“
Ebenfalls nur blitzlichtartig taucht Katkas und Immerjahns gemeinsamer Sohn in der Geschichte auf. Ganz der Kunstleidenschaft der Eltern entsprechend wurde er Raffael genannt. Als Teenager zelebriert er die Farbe Schwarz und alles Düstere und versucht, sich im Reflexionsbecken auf dem Familiengelände zu ertränken. Später trainiert er in eben diesem Schwimmbecken für Olympia. Das Reflexionsbecken wirkt wie ein Zentrum des Hauses. Von den anderen Figuren wird es immer wieder genutzt, allein oder gemeinsam, als Treffpunkt oder als Ort, um zur Ruhe zu kommen. Es ist auch Ausgangspunkt für den Roman, an dem Barbara Zeman vier Jahre lang schrieb. Auf der Biennale 2009 sah die kunstbegeisterte Autorin, die in Österreich auch als Journalistin arbeitet, die Installation „Der tote Sammler im Pool“von Michael Elmgreen und Ingar Dragset: Ein Mann treibt, den Kopf nach unten mit Hemd und Hose in einem Schwimmbecken, seine Schuhe hat er vorher ausgezogen und ordentlich an den Rand des Beckens gestellt. „Ich habe mich gefragt, wie er dort hineingekommen ist“, erzählt Zeman. Ob Immerjahn sich am Ende des Romans auch für den Freitod entscheidet, soll hier nicht verraten werden. Doch vielleicht ist sein Entschluss, das eigene Haus und damit auch sein Leben der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, bereits mit einem vergleichbar.