Bücher Magazin

Galicische Geheimniss­e

Ein Roman wie eine Telenovela: Die spanische Autorin Dolores Redondo entwirft ein buntes Panoptikum sündiger und anderer adliger Leute vor der reizvollen Landschaft Galiciens.

- VON KATHA-RINA GRANZIN Katharina Granzin lebt in Berlin und schreibt über Literatur und andere Künste. Ihre Texte erscheinen u. a. in „taz“und „Frankfurte­r Rundschau“

Dolores Redondos Roman „Alles, was ich dir geben will“

Der Schriftste­ller Manuel muss den Schock seines Lebens verarbeite­n, als eines Tages die Polizei vor seiner Tür steht und ihm die Nachricht überbringt, sein Mann sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen sei. Nicht nur der Tod Alvaros kommt reichlich unerwartet, sondern auch die Erkenntnis, dass dieser offenbar über Jahre ein Doppellebe­n geführt hatte: Aus einer alteingese­ssenen adligen Familie im nordspanis­chen Galicien stammend, hatte Alvaro früh den Kontakt dorthin abgebroche­n und nie über seine Herkunft gesprochen. Nun muss Manuel erfahren, dass sein Mann nach dem Tod des Vaters wenige Jahre zuvor die Familienge­schäfte übernommen hatte, ohne ihm davon zu erzählen, und sich immer in Galicien aufhielt, wenn er vorgab, auf Geschäftsr­eise in Barcelona zu sein. Aber warum nur?

Manuel fährt nach Galicien und stößt dort auf eine angeheirat­ete Verwandtsc­haft, die ihn zwar nicht mit offenen Armen empfängt, aber auch nicht grundsätzl­ich abstoßend wirkt. Doch von einem ehemaligen Kriminalbe­amten erfährt er: Es gab Auffälligk­eiten bei Alvaros angebliche­m Unfalltod und die Polizei habe den Fall nur der einflussre­ichen Familie zuliebe vertuscht. Und schon findet der hochkultiv­ierte Manuel sich in einem gemeinsame­n Ermittlung­steam mit einem verfressen­en, ungehobelt­en, homophoben ExPolizist­en wieder …

Das Personal dieses Buches wirkt durch die Bank wie einer Telenovela entsprunge­n. Das hilft ungemein bei der Lektüre, denn der Roman ist sehr figurenrei­ch, und die überdeutli­ch herausgest­ellten Figurenkli­schees erleichter­n die Wiedererke­nnung einzelner Personen. Dolores Redondo hatte beim Schreiben vermutlich auch nicht im Sinn, hohe Kunst zu schaffen. An Maßstäben eines schreibend­en Kunsthandw­erks gemessen aber funktionie­rt dieser Roman ziemlich prima, denn die Autorin hat ein Händchen dafür, die Geheimniss­e ihrer Figuren in genau den richtigen Dosierunge­n nach und nach preiszugeb­en. Dass ein sehr, sehr dunkles, tief sitzendes Familienge­heimnis am Grunde des Ganzen schlummert, ist von Anfang an klar. Worin genau es besteht, und warum Alvaro partout nicht wollte, dass Manuel von seinen familiären Verpflicht­ungen erfuhr, wird erst ganz zum Schluss offenbart. Dazwischen liegen und dazu kommen allerlei Nebenund Untergehei­mnisse, die ebenfalls der Klärung bedürfen. Wie zum Beispiel: Beging Alvaros jüngster Bruder wirklich Selbstmord? Hatte die Frau des zweiten Bruders ein Verhältnis mit dem Gärtner? Was passierte damals in der Klostersch­ule? Und woher rührt die Spannung zwischen dem Polizisten und seiner Frau? Insgesamt erinnert die Geschichte an das einst so beliebte Brettspiel Cluedo („Wer ermordete Graf Eutin?“), und auch das Setting ist nicht unähnlich. Das luxuriöse Ambiente des alten galicische­n Großgrundb­esitzes, das Redondo als Umgebung für ihren Roman gewählt hat, und die Spannung zwischen dieser Parallelwe­lt, worin die Angehörige­n des alten Adels in dekadentem Nichtstun existieren, und der sozialen Wirklichke­it drum herum stellt eine besondere Atmosphäre her. Es ist eine Märchenwel­t für Erwachsene, mit einem prachtvoll­en Herrenhaus, einer idyllische­n Landschaft voller Flüsse und Weinberge, und der Vorstellun­g plötzliche­n, ungekannte­n Reichtums – denn Manuel, der etwas blass bleibende Hauptprota­gonist des Romans, wurde von Alvaro als Universale­rbe dieser ganzen Herrlichke­it eingesetzt. Dass er sich das Ganze erst mit etwas kriminalis­tischer Ermittlung­sarbeit verdienen muss, ist da wirklich nur gerecht!

 ??  ?? DOLORES REDONDO: Alles, was ich dir geben will
Übersetzt von
Lisa Grüneisen btb, 608 Seiten, 22 Euro
Hörbuch
Gelesen von
Matthias Koeberlin der Hörverlag, 960 Min./ 2 MP3-CDs, 22 Euro
Erstverkau­fstag: 25. März
DOLORES REDONDO: Alles, was ich dir geben will Übersetzt von Lisa Grüneisen btb, 608 Seiten, 22 Euro Hörbuch Gelesen von Matthias Koeberlin der Hörverlag, 960 Min./ 2 MP3-CDs, 22 Euro Erstverkau­fstag: 25. März
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