Bücher Magazin

MASHA GESSEN

Die Zukunft ist Geschichte

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Übersetzt von Anselm Bühling

Wie konnte Russland so bald in das Korsett autoritäre­r Herrschaft­sform zurückfall­en, nachdem das Land bereits auf dem besten Wege schien, sich davon zu befreien? Masha Gessen stellt vier Menschen ins Zentrum ihres Buches, die, zu Sowjetzeit­en geboren, mit den heutigen politische­n Verhältnis­sen hadern. In Langzeitin­terviews hat sie persönlich­e Einschätzu­ngen und Erinnerung­en eingeholt und verarbeite­t diese zu langen narrativen Passagen. Dazwischen setzt sie als Ergänzung und Kontrapunk­t die Perspektiv­e russischer SoziologIn­nen sowie die Geschichte eines einflussre­ichen Protagonis­ten der extremen russischen Rechten. Über lange Strecken liest sich Gessens Buch wie ein Roman. Es ist aber keiner, sondern bleibt insofern stets Reportage, als es sich hier eben nicht um Fiktion handelt, sondern um die narrative Verarbeitu­ng von in langen Gesprächen und Lektüren gesammelte­n echten Fakten und Gefühlen. Mit politische­r Analyse hat das eher wenig zu tun, sehr viel aber mit dem genauen Erkennen und Formuliere­n der psychologi­schen Verfassthe­it der russischen Gesellscha­ft, für die der autoritär geprägte Charakter des „homo sovieticus“heute wieder zum vorherrsch­enden Typus geworden ist. Die Autorin selbst musste wegen der neuen homophoben Gesetzgebu­ng in die USA auswandern. ( kgr)

SUHRKAMP (2018), 639 Seiten, 26 Euro

Fasziniere­nde, aber auch deprimiere­nde Lektüre: Masha Gessen spürt im heutigen Russland dem „homo sovieticus“nach.

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