DAS IST MEIN ERSTER RUHESTAND, ICH ÜBE NOCH
„Der Körper resigniert schneller als die Seele. Die Zeit zerfurcht, verletzt, demütigt, schwächt und karikiert ihn, bringt Krampfadern, Wechseljahre … Der tapfere Körper nimmt es hin.“Nach dem Tod ihrer Mutter fällt es Mediterranee schwer zu akzeptieren, dass sie jetzt die Älteste in ihrer Familie ist. Als junge Frau war sie Aktmodell, jetzt sieht sie im Spiegel die Hexe aus Disneys „Schneewittchen“. Ulysses ist 59, als er entlassen wird. Er war Möbelpacker, sein ganzes Leben lang. Seine Frau ist vor Jahren gestorben. Im Wohnzimmer steht ein Rudergerät, das er nicht benutzt, im Regal eine ungelesene Ausgabe von Homers „Odyssee“, ein Hochzeitsgeschenk. Seiner Einsamkeit entkommt er im Supermarkt, wo er sich mit voller Absicht in die längste Schlange stellt, und im sanften Lächeln der jungen Frau, bei der er gelegentlich einen Blowjob kauft. Ulysses und Mediterranee verlieben sich ineinander. Und Aimée de Jongh zeigt das auf die denkbar treffendste Weise. Sie gewährt diesen alten Körpern eine Schönheit, die wir (als Gesellschaft) ihnen nicht zugestehen, und zwar ohne Weichzeichner, ohne Beauty-Filter. Enttäuschend ist hingegen die letzte Wendung in der Handlung dieses Comics: Mediterranee wird ungeplant schwanger, mit 62 – ein medizinisches Wunder. Das wirkt, als sei Zidrou und de Jongh kein anderes glückliches Ende für eine Liebesgeschichte eingefallen als ein Baby. Der gut gelaunte Realismus der Zeichnungen wird durch dieses Ende unglaubwürdig, und das ist schade.
ZIDROU, AIMÉE DE JONGH: das unabwendbare altern der gefühle Übersetzt von Tanja Krämling Splitter, 144 Seiten, 19,80 Euro