Trotzdem Leberwurst kaufen
Sarah Kuttner im Titelinterview
Ihre Fans lieben sie für ihre direkte, schnoddrige Art und ihre unerschöpf liche Energie. Ihren neuen Roman hat Sarah Kuttner in nur fünf Monaten geschrieben. Es ist eine warmherzige Geschichte über Liebe, Trauer und einen kleinen Jungen geworden, der viel zu kurz lebt. Wir trafen Sarah Kuttner nach einem Videodreh beim Argon Verlag in ihrer Heimatstadt Berlin und sprachen mit ihr über Trauer- und Gartenarbeit.
In Ihrem neuen Roman geht es um eine Patchworkfamilie, bestehend aus Vater und Sohn, beide heißen Kurt, und Lena, die Freundin des Vaters. Die Familie ist gerade in ein Haus in Brandenburg gezogen, als der kleine Kurt plötzlich stirbt. Was hat Sie an dieser Thematik interessiert?
Zunächst hat mich das Thema Patchworkfamilie interessiert. Weil ich selber keine Kinder habe und auch nicht vorhabe, welche zu bekommen, habe ich mich gefragt, was wäre denn, wenn man dennoch eines hat, ohne das gewollt zu haben? Und ich hatte in den letzten Jahren viel mit Sterbefällen und Trauerbewältigung zu tun. Ich fand es interessant, dass eine junge Frau versucht, eine Art Mutter zu sein und noch bevor es ihr so richtig gelingt, wird ihr diese Rolle gleich wieder weggenommen. Wie geht sie damit um, wenn das weg ist? Darf sie trauern? Wie sehr darf sie trauern? Muss sie sich nicht um den Partner kümmern, der mehr trauert? Das fand ich eine gute und auch realistische Problematik.
Was mögen Sie am kleinen Kurt?
Der ist mit seinen fünf Jahren genau in dem Alter, in dem Kinder noch nicht so darauf achten, wie ihre Außenwirkung ist. Er ist noch ganz pur mit seinen Ängsten und mit Sachen, die ihn ärgern. Das finde ich ganz zauberhaft. Was den kleinen Kurt zum Beispiel sehr beschäftigt, ist, dass ihm jemand im Kindergarten erzählt hat, dass keine neuen Zähne mehr nachkommen, wenn die Milchzähne ausgefallen sind. Obwohl sein Vater und Lena versuchen, ihm klarzumachen, dass das nicht passieren wird, bleibt trotzdem eine latente Angst zurück, dass es vielleicht doch stimmen könnte. Klar mag ich ihn, ich habe ihn hergestellt. Ich hatte auch einfach Lust, eine Kinderfigur zu erfinden.
Waren Sie selbst traurig darüber, als der kleine Kurt in der Geschichte gestorben ist?
Als es so weit war, ihn sterben lassen zu müssen, tat es mir schon leid. Das ist schon komisch. Ich habe das dann ganz leise und still gemacht, weil ich nicht wollte, dass man so sensationsgeil wird beim Lesen.
Sie haben Sterbefälle im näheren Umfeld erwähnt. Im Roman schreiben Sie viel über Trauer. Haben
Sie selbst ähnliche Erfahrungen gemacht wie Ihre Figuren?
In den letzten Jahren sind ein paar Menschen gestorben, die mir nahestanden. Also kein Kind von einem Freund oder so. Aber ich kann schon nachvollziehen, was Lena und Kurt empfinden. Und ich habe viel schlechten Umgang mit Trauer erlebt. Darum geht es in dem Buch ja auch ein bisschen. Wie die Leute versuchen, den großen Kurt zu trösten. Und wie das alle falsch machen, weil die Angst vorm Sterben und vor dem fremden Leid so groß ist. Eine Freundin hat vier Monate bei mir gewohnt, nachdem ihr Freund gestorben ist. Da habe ich zu ihr gesagt: Du musst raus aus eurer Wohnung, pack deinen Koffer, ich nehm dich bei der Hand. In meiner Wohnung hab ich ihr erst einmal Spaghetti bolognese gekocht und dann haben wir dort vier Monate Trauerbewältigung gemacht. Ich finde, wir waren ziem
„ICH WOLLTE DIE GESCHICHTE AUFS LAND VERLEGEN, WEIL ICH ES LIEBER MAG, WENN ALLES EIN BISSCHEN UNMODERN UND OLL IST.“
lich cool. Wir haben uns Zeit genommen zum Weinen, ich habe nicht getröstet und nicht bewertet. Gleichzeitig habe ich sie gezwungen, einmal am Tag mit meinem Hund rauszugehen, damit sie regelmäßig vor die Tür kommt. In dieser Zeit habe ich viel darüber gelernt, auf welche Art Leute traurig sind und was man dagegen machen kann und was besser nicht. Das war sehr interessant.
Was kann man dagegen machen?
Wirklich dagegen machen kann man nichts. Man kann nur versuchen, anwesend zu sein. Zeit für Trauer zu lassen. Bei uns war die erste Sache morgens der Spaziergang mit dem Hund. Da war ich auch ganz dankbar, dann konnte ich ausschlafen. Und es war vollkommen klar, wenn sie mit dem Hund wiederkam, dass ihr das Rausgehen guttut. Danach hat sie eine Stunde geweint. Einmal am Tag haben wir versucht, was Schönes zusammen zu machen. Nur was Kleines, es gehen tatsächlich oft nur kurze Schritte. Es darf alles stattfinden, weinen und essen und trinken und wieder weinen und mit dem Hund raus und noch mal weinen und Bücher über Trauerbewältigung lesen und, was immer wichtig erscheint und gut tut. Humor funktioniert, selbst bei Menschen, die gerade jemanden verloren haben. Wir waren zusammen Schuhe für die Beerdigung kaufen und wir haben es geschafft, einen Witz darüber zu machen, dass wir jetzt im Schuhladen stehen und feine schicke Schuhe für eine Beerdigung kaufen müssen. Ich glaube, wenig Leute trauen sich, lustig zu sein mit Leuten, die trauern, aber das brauchen die auch. Es ist nicht einfach. Aber man kommt damit klar, wenn man es so normal wie möglich behandelt und nicht so tut, als wenn es nicht da ist. Sondern, ja hier ist ein Kind gestorben, wir müssen trotzdem Leberwurst kaufen.
Wie war es denn für Sie, den Roman als Hörbuch einzusprechen?
Sprechen ist ja quasi mein eigentlicher Beruf und zum Moderieren gehört es auch, Texte einzusprechen und dafür zu sorgen, dass es nicht so gelesen klingt. Das macht mir Spaß. Wir brauchen immer nur zwei Tage dafür. Es ist immer schön, wenn man das Buch noch mal am Stück liest und sich dann selbst denkt: Oh ja, das ist gut geworden! Da ist man sich vorher manchmal gar nicht so sicher. Ganz automatisch lektoriere ich dabei auch ein bisschen und denke mir manchmal: Da hätte ich auch noch mal ein anderes Wort benutzen können und das hätte noch kürzer gekonnt …
Kommt es vor, dass Sie beim Vorlesen noch etwas an den Texten verändern?
Um ehrlich zu sein, lese ich nie einfach nur den Text vor, der vor mir liegt. Ich darf das ja, weil ich es geschrieben habe. Das Hörbuch ist tatsächlich immer ein kleines bisschen anders als das Buch – vielleicht macht es das auch spezieller. Ich benutze mehr Füllwörter (fürchte ich), damit es wirklich wie erzählt klingt und nicht wie vorgelesen.
Lena und der große Kurt ziehen aus Berlin aufs Land, sie wollen dem kleinen Kurt nahe sein, der mit seiner leiblichen Mutter Jana in Oranienburg lebt. Mal abgesehen davon, dass es einfach gut in die Geschichte passt, wieso haben Sie dieses Setting auf dem Land gewählt?
Ich habe eine große Liebe zu Brandenburg, wo ich einen Teil meiner Kindheit verbracht habe. Meine Oma hatte ein Grundstück in der Schorfheide, da waren wir fast jedes Wochenende. Ich bin mit meinem Opa mit dem Rad durch den Wald gefahren. All diese Erinnerungen stehen auch im Buch. Vor fünf Jahren hab ich mir selbst mein eigenes kleines Wochenendhäuschen gekauft, tatsächlich auch in der Nähe von Oranienburg. Ich mag, dass es sehr nahe an Berlin ist. Man fährt 30 Minuten und dann ist man da. Ich mag auch dieses Unprätentiöse, das ich auch im Roman beschreibe. Tolle Natur und dabei ein bisschen rumpelig – das ist genau meins. Ich wollte die Geschichte aufs Land verlegen, weil ich es lieber mag, wenn alles ein bisschen unmodern und oll ist. Lena und Kurt können sich auch ein Haus in einer Zwangsversteigerung leisten: Enge Treppen aus Fichtenholz und Vinyltapeten an den Wänden, statt Fischgrätparkett und Schiefer. Ich finde das viel realistischer.
Sieht Ihr Häuschen in Brandenburg denn so aus, wie das Haus, das Sie im Buch beschreiben?
Nein, die wohnen in einem richtigen Einfamilienhaus. Ich habe nur so ein winziges, eingeschossiges Wochenendhäuschen. Es ist zwar schon aus Stein, aber nur 45 Quadratmeter groß. Ich habe es in erster Linie wegen dem tollen, großen Garten gekauft. Inzwischen hab ich ganz viel Google-Wissen zum Gärtnern. Total viel Ahnung von Rosen und Rhododendron, oder vom Vertikutieren eines Rasens.
Was gefällt Ihnen daran?
Ich mag daran, dass es etwas Handwerkliches ist, dass ich es mir selbst beigebracht habe, dass es draußen ist, dass ich mich bewege, auch etwas sehe. Ich mach in meinem Garten immer etwas, liege nie einfach rum.