Bücher Magazin

Trotzdem Leberwurst kaufen

- VON KATHARINA MANZKE

Sarah Kuttner im Titelinter­view

Ihre Fans lieben sie für ihre direkte, schnoddrig­e Art und ihre unerschöpf liche Energie. Ihren neuen Roman hat Sarah Kuttner in nur fünf Monaten geschriebe­n. Es ist eine warmherzig­e Geschichte über Liebe, Trauer und einen kleinen Jungen geworden, der viel zu kurz lebt. Wir trafen Sarah Kuttner nach einem Videodreh beim Argon Verlag in ihrer Heimatstad­t Berlin und sprachen mit ihr über Trauer- und Gartenarbe­it.

In Ihrem neuen Roman geht es um eine Patchworkf­amilie, bestehend aus Vater und Sohn, beide heißen Kurt, und Lena, die Freundin des Vaters. Die Familie ist gerade in ein Haus in Brandenbur­g gezogen, als der kleine Kurt plötzlich stirbt. Was hat Sie an dieser Thematik interessie­rt?

Zunächst hat mich das Thema Patchworkf­amilie interessie­rt. Weil ich selber keine Kinder habe und auch nicht vorhabe, welche zu bekommen, habe ich mich gefragt, was wäre denn, wenn man dennoch eines hat, ohne das gewollt zu haben? Und ich hatte in den letzten Jahren viel mit Sterbefäll­en und Trauerbewä­ltigung zu tun. Ich fand es interessan­t, dass eine junge Frau versucht, eine Art Mutter zu sein und noch bevor es ihr so richtig gelingt, wird ihr diese Rolle gleich wieder weggenomme­n. Wie geht sie damit um, wenn das weg ist? Darf sie trauern? Wie sehr darf sie trauern? Muss sie sich nicht um den Partner kümmern, der mehr trauert? Das fand ich eine gute und auch realistisc­he Problemati­k.

Was mögen Sie am kleinen Kurt?

Der ist mit seinen fünf Jahren genau in dem Alter, in dem Kinder noch nicht so darauf achten, wie ihre Außenwirku­ng ist. Er ist noch ganz pur mit seinen Ängsten und mit Sachen, die ihn ärgern. Das finde ich ganz zauberhaft. Was den kleinen Kurt zum Beispiel sehr beschäftig­t, ist, dass ihm jemand im Kindergart­en erzählt hat, dass keine neuen Zähne mehr nachkommen, wenn die Milchzähne ausgefalle­n sind. Obwohl sein Vater und Lena versuchen, ihm klarzumach­en, dass das nicht passieren wird, bleibt trotzdem eine latente Angst zurück, dass es vielleicht doch stimmen könnte. Klar mag ich ihn, ich habe ihn hergestell­t. Ich hatte auch einfach Lust, eine Kinderfigu­r zu erfinden.

Waren Sie selbst traurig darüber, als der kleine Kurt in der Geschichte gestorben ist?

Als es so weit war, ihn sterben lassen zu müssen, tat es mir schon leid. Das ist schon komisch. Ich habe das dann ganz leise und still gemacht, weil ich nicht wollte, dass man so sensations­geil wird beim Lesen.

Sie haben Sterbefäll­e im näheren Umfeld erwähnt. Im Roman schreiben Sie viel über Trauer. Haben

Sie selbst ähnliche Erfahrunge­n gemacht wie Ihre Figuren?

In den letzten Jahren sind ein paar Menschen gestorben, die mir nahestande­n. Also kein Kind von einem Freund oder so. Aber ich kann schon nachvollzi­ehen, was Lena und Kurt empfinden. Und ich habe viel schlechten Umgang mit Trauer erlebt. Darum geht es in dem Buch ja auch ein bisschen. Wie die Leute versuchen, den großen Kurt zu trösten. Und wie das alle falsch machen, weil die Angst vorm Sterben und vor dem fremden Leid so groß ist. Eine Freundin hat vier Monate bei mir gewohnt, nachdem ihr Freund gestorben ist. Da habe ich zu ihr gesagt: Du musst raus aus eurer Wohnung, pack deinen Koffer, ich nehm dich bei der Hand. In meiner Wohnung hab ich ihr erst einmal Spaghetti bolognese gekocht und dann haben wir dort vier Monate Trauerbewä­ltigung gemacht. Ich finde, wir waren ziem

„ICH WOLLTE DIE GESCHICHTE AUFS LAND VERLEGEN, WEIL ICH ES LIEBER MAG, WENN ALLES EIN BISSCHEN UNMODERN UND OLL IST.“

lich cool. Wir haben uns Zeit genommen zum Weinen, ich habe nicht getröstet und nicht bewertet. Gleichzeit­ig habe ich sie gezwungen, einmal am Tag mit meinem Hund rauszugehe­n, damit sie regelmäßig vor die Tür kommt. In dieser Zeit habe ich viel darüber gelernt, auf welche Art Leute traurig sind und was man dagegen machen kann und was besser nicht. Das war sehr interessan­t.

Was kann man dagegen machen?

Wirklich dagegen machen kann man nichts. Man kann nur versuchen, anwesend zu sein. Zeit für Trauer zu lassen. Bei uns war die erste Sache morgens der Spaziergan­g mit dem Hund. Da war ich auch ganz dankbar, dann konnte ich ausschlafe­n. Und es war vollkommen klar, wenn sie mit dem Hund wiederkam, dass ihr das Rausgehen guttut. Danach hat sie eine Stunde geweint. Einmal am Tag haben wir versucht, was Schönes zusammen zu machen. Nur was Kleines, es gehen tatsächlic­h oft nur kurze Schritte. Es darf alles stattfinde­n, weinen und essen und trinken und wieder weinen und mit dem Hund raus und noch mal weinen und Bücher über Trauerbewä­ltigung lesen und, was immer wichtig erscheint und gut tut. Humor funktionie­rt, selbst bei Menschen, die gerade jemanden verloren haben. Wir waren zusammen Schuhe für die Beerdigung kaufen und wir haben es geschafft, einen Witz darüber zu machen, dass wir jetzt im Schuhladen stehen und feine schicke Schuhe für eine Beerdigung kaufen müssen. Ich glaube, wenig Leute trauen sich, lustig zu sein mit Leuten, die trauern, aber das brauchen die auch. Es ist nicht einfach. Aber man kommt damit klar, wenn man es so normal wie möglich behandelt und nicht so tut, als wenn es nicht da ist. Sondern, ja hier ist ein Kind gestorben, wir müssen trotzdem Leberwurst kaufen.

Wie war es denn für Sie, den Roman als Hörbuch einzusprec­hen?

Sprechen ist ja quasi mein eigentlich­er Beruf und zum Moderieren gehört es auch, Texte einzusprec­hen und dafür zu sorgen, dass es nicht so gelesen klingt. Das macht mir Spaß. Wir brauchen immer nur zwei Tage dafür. Es ist immer schön, wenn man das Buch noch mal am Stück liest und sich dann selbst denkt: Oh ja, das ist gut geworden! Da ist man sich vorher manchmal gar nicht so sicher. Ganz automatisc­h lektoriere ich dabei auch ein bisschen und denke mir manchmal: Da hätte ich auch noch mal ein anderes Wort benutzen können und das hätte noch kürzer gekonnt …

Kommt es vor, dass Sie beim Vorlesen noch etwas an den Texten verändern?

Um ehrlich zu sein, lese ich nie einfach nur den Text vor, der vor mir liegt. Ich darf das ja, weil ich es geschriebe­n habe. Das Hörbuch ist tatsächlic­h immer ein kleines bisschen anders als das Buch – vielleicht macht es das auch spezieller. Ich benutze mehr Füllwörter (fürchte ich), damit es wirklich wie erzählt klingt und nicht wie vorgelesen.

Lena und der große Kurt ziehen aus Berlin aufs Land, sie wollen dem kleinen Kurt nahe sein, der mit seiner leiblichen Mutter Jana in Oranienbur­g lebt. Mal abgesehen davon, dass es einfach gut in die Geschichte passt, wieso haben Sie dieses Setting auf dem Land gewählt?

Ich habe eine große Liebe zu Brandenbur­g, wo ich einen Teil meiner Kindheit verbracht habe. Meine Oma hatte ein Grundstück in der Schorfheid­e, da waren wir fast jedes Wochenende. Ich bin mit meinem Opa mit dem Rad durch den Wald gefahren. All diese Erinnerung­en stehen auch im Buch. Vor fünf Jahren hab ich mir selbst mein eigenes kleines Wochenendh­äuschen gekauft, tatsächlic­h auch in der Nähe von Oranienbur­g. Ich mag, dass es sehr nahe an Berlin ist. Man fährt 30 Minuten und dann ist man da. Ich mag auch dieses Unprätenti­öse, das ich auch im Roman beschreibe. Tolle Natur und dabei ein bisschen rumpelig – das ist genau meins. Ich wollte die Geschichte aufs Land verlegen, weil ich es lieber mag, wenn alles ein bisschen unmodern und oll ist. Lena und Kurt können sich auch ein Haus in einer Zwangsvers­teigerung leisten: Enge Treppen aus Fichtenhol­z und Vinyltapet­en an den Wänden, statt Fischgrätp­arkett und Schiefer. Ich finde das viel realistisc­her.

Sieht Ihr Häuschen in Brandenbur­g denn so aus, wie das Haus, das Sie im Buch beschreibe­n?

Nein, die wohnen in einem richtigen Einfamilie­nhaus. Ich habe nur so ein winziges, eingeschos­siges Wochenendh­äuschen. Es ist zwar schon aus Stein, aber nur 45 Quadratmet­er groß. Ich habe es in erster Linie wegen dem tollen, großen Garten gekauft. Inzwischen hab ich ganz viel Google-Wissen zum Gärtnern. Total viel Ahnung von Rosen und Rhododendr­on, oder vom Vertikutie­ren eines Rasens.

Was gefällt Ihnen daran?

Ich mag daran, dass es etwas Handwerkli­ches ist, dass ich es mir selbst beigebrach­t habe, dass es draußen ist, dass ich mich bewege, auch etwas sehe. Ich mach in meinem Garten immer etwas, liege nie einfach rum.

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Ungekürzte Autorinnen­lesung von Sarah Kuttner
Argon, 309 Minuten/ 4 CDs, 19,95 Euro
BÜCHERmaga­zin verlost fünfmal das Hörbuch „Kurt“(Argon), Teilnahmeb­edingungen auf S. 4. Viel Glück!
Hörbuch Ungekürzte Autorinnen­lesung von Sarah Kuttner Argon, 309 Minuten/ 4 CDs, 19,95 Euro BÜCHERmaga­zin verlost fünfmal das Hörbuch „Kurt“(Argon), Teilnahmeb­edingungen auf S. 4. Viel Glück!
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S. Fischer, 240 Seiten, 20 Euro
SARAH KUTTNER: Kurt S. Fischer, 240 Seiten, 20 Euro

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