Die Stimme der Gespenster
Wie füreinander geschaffen scheinen Sandra Hüllers Stimme und Mariana Lekys Erzählstoffe zu sein.
Sandra Hüller liest Mariana Leky
Sanft und behutsam führt uns Sandra Hüller in eine wundersame, versponnene Welt, in der ein Opaki den Tod ankündigt, ein Toter mit einer Trauernden Schwangerschaftkleider kauft und vor einem Kleintierladen der Kampf gegen eine Verrücktheit ausgefochten wird. Die in Leipzig lebende Schauspielerin liest die Bücher von Mariana Leky. Nachdem bereits 2017 das Hörbuch des Bestsellers „Was man von hier aus sehen kann“erschienen ist, hat sie nun auch Lekys Romane „Erste Hilfe“aus dem Jahr 2004 und „Die Herrenausstatterin“aus dem Jahr 2010 eingesprochen. Hüller, die als Sprecherin und Sängerin an der als „Bestes Hörbuch 2018“ausgezeichneten Soundcollage „Bilder deiner großen Liebe“von Wolfgang Herrndorf mit gewirkt
hat, liebt, nach eigenen Aussagen, Lekys Romane. Sie habe sofort eine Verbindung zu den Stoffen gespürt. Beim Zuhören merkt man das, denn es sind die feinen Nuancen, die die Lesung besonders machen. Sandra Hüller liest leise und jedes Wort hat Gewicht. In der Ruhe liegt die Kraft. Das passt wunderbar zu Lekys Romanen, in denen anhand kleiner, aus dem Alltag gegriffener Geschichten Großes erzählt wird.
In „Erste Hilfe“kämpfen drei ungleiche Freunde gegen den Albtraum des Verrücktwerdens. In „Die Herrenausstatterin“und in „Was man von hier aus sehen kann“geht es um die Liebe und den Tod. Darum, wie auch die größten Hindernisse überwunden werden können, wenn man zusammenhält. In „Die Herrenausstatterin“verliert die Übersetzerin Katja Wilsberg ihren geliebten Mann Jakob, durch die Begegnung mit dem ihr unbekannten und verstorbenen Nachbarn Blank und einem ominösen Feuerwehrmann mit einer Leidenschaft für Karatevideos findet sie wieder zurück ins Leben. In „Was man von hier aus sehen kann“geht es um die Bewohner eines ganzes Dorfes, die sich ihren größten Ängsten und unerfüllten Sehnsüchten stellen, als sich der Tod ankündigt. Denn die alte Selma, die Rudi Carrell verblüffend ähnlich sieht, hat von einem Opaki geträumt. Jedermann im Dorf weiß, wenn das passiert, muss jemand sterben.
Mariana Lekys Erzählwelt ist von vielen Figuren bevölkert. Die meisten von ihnen gibt es wirklich, andere scheinen ein Spuk zu sein. Doch auch Gespenster wie der freundliche Altphilologe Herr Blank wollen leben. Hüller gibt ihnen eine Stimme. Blanks sanfte Traurigkeit kommt zum Klingen, ebenso wie die raue Herzlichkeit des Feuerwehrmanns Armin, von dem Katja Wilsberg in „Die Herrenausstatterin“zum Ende hin überraschenderweise ein Kind erwartet. Die zu Beginn des Romans eher angepasste, stets kontrollierte Katja Wilsberg wiederum klingt zurückhaltend und scheu, hört man genau hin, nimmt man ihre unterdrückte Kraft wahr. Sandra Hüller, die für ihre Rolle in „Toni Erdmann“mit dem Oscar nominiert wurde und dieses Jahr Berlinale-Jurymitglied ist, zeigt ein großes Talent, auch verschrobenen und verschlossenen Charakteren Tiefgang und Glaubwürdigkeit zu verleihen. Auf die Frage, wie sie sich den Figuren angenähert hat, erzählt Hüller: „Ich bin den Bewegungen der Autorin gefolgt. Und das Schöne ist, dass alle nachvollziehbar sind. Jede Figur ist so geschrieben, dass ich am Ende des Buches denke, ich kenne sie und sie lebt irgendwo.“So fühlt es sich auch an, wenn man diesen Lesungen lauscht. Deswegen ist es sehr zu empfehlen, sich die, übrigens auch äußerst hübsch gestalteten Hörbücher, ins Haus zu holen. Am besten alle drei auf einmal, als perfektes Gegenmittel gegen Mutlosigkeit, Langeweile und Einsamkeitsgefühle.