Die schönsten Liebesromane
Eigentlich hilft Johanna Adorján als SZMagazin-Journalistin ihren Lesern aus den Zwickmühlen des Alltags. Unter der Rubrik „Gewissensfragen“beantwortet sie geistreich Fragen wie: Muss man dem Chef sagen, wenn man sich am Arbeitsplatz verliebt hat? Oder: Darf man in den SpanienUrlaub fliegen, wenn man auf der Fridaysfor-Future-Bewegung war?
In ihrem Debüt „Eine exklusive Liebe“richtet die dänisch-deutsche Kulturjournalistin nun Fragen an sich selbst und arbeitet die Schicksalsgeschichte ihrer eigenen Familie auf. Am 13. Oktober 1991 nahmen sich ihre Großeltern in einem präzise geplanten Doppelselbstmord das Leben.
In der Todesanzeige stand unter dem identischen Sterbedatum: „Ihre große Liebe ist die Antwort“. Adorján hatte Sehnsucht nach tieferem Verstehen. Wie fühlen sich zwei Menschen an ihrem letzten Tag? Ist es nicht viel mehr Angst, die die Großmutter dazu verleitet haben mag als Liebe? Weshalb wurde nie über die Vergangenheit gesprochen?
Als sie ihre Spurensuche beginnt, ist die Journalistin Mitte 30 und arbeitet bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Sie besucht Originalschauplätze in Dänemark und New York, trifft Weggefährten, liest die sieben eng beschriebenen Seiten, die der Großvater über sein Leben verfasst hat. Die Journalistin in ihr reicht der Romancière die Hand und es entsteht eine Melange aus Rekonstruktion von Gewissheiten, Kindheitserinnerungen und präzi
Vor 29 Jahren begingen Johanna Adorjáns Großeltern Doppelselbstmord. Sie waren glamourös in ihrem Auftreten, doch verschlossen in ihrem Sein, zwei ungarische Juden, Holocaust-Überlebende,
Gef lohene, Liebende. Die Enkelin lässt ihre Liebesgeschichte in einer Art Romanbiografie wiederauferstehen.
ser Imagination, aber auch eine leise Selbstbeobachtung. Die Recherche ermöglicht es Adorján, ihr eigenes Jüdischsein, ihre ungarischen Wurzeln, intensiver zu begreifen.
Die Polizei fand das Paar 1991 einander an den Händen haltend in ihrem Ehebett – Hände, die sich 50 Jahre lang berührt hatten. „Wir haben zusammen gelebt, wir sterben zusammen. Wir haben euch sehr geliebt, Mami“. Das waren die letzten Worte von Vera an ihre Kinder, ihre Enkel und Freunde. Sie hatte diese Worte auf Ungarisch auf ein Post-it geschrieben, an der Tür hing ein weiterer Zettel: „Bitte keine Wiederbelebungsversuche“.
Vera war damals 70 Jahre alt und gesund, eine extravagante, erhabene Frau, eine Kette rauchende Operngängerin, die keinen Widerspruch duldete. Wohl auch nicht von ihrem Mann István, Pista genannt. Er war 81 Jahre alt und schwerkrank. Ohne ihn wollte sie nicht weiterleben. Jedes Aufbegehren Istváns gegen ihren gemeinsam geplanten Freitod parierte Vera. Am Plan wird festgehalten. Basta.
Die Großeltern siezten sich Zeit ihres Lebens. Ein Ausdruck ihrer Eleganz, aber auch eine Form von Distanz, die sie auch ihren Kindern und Enkeln gegenüber aufrechterhielten. Über den Holocaust wird nicht gesprochen. Über Gefühle ebenso wenig. Als Adorján klein war, hüpfte sie nicht auf dem Schoß ihrer Oma herum, sondern wurde gefragt, ob sie Ballett möge oder sich für die Oper interessiere.
Das Siezen habe aber auch Vorteile, mutmaßte Adorjàn einst: Es zanke sich so viel umständlicher. Der Tonfall zwischen Vera und Pista, den Adorján in fiktiven Dialogen heraufbeschwört, ist von loriotscher Komik. Adorjáns Stil ist prägnant und ruhig, sie interpretiert wenig, zeigt eher, was sie gefunden hat, und geht liebevoll und diskret mit ihren „Protagonisten“um. Das Schreiben an diesem Roman habe sie endlich zur Ruhe kommen lassen, bekennt sie in einem Interview.
Adorjáns Vater, der Sohn der Verstorbenen, war ihr erster Leser. Und ihm folgten viele nach, das Buch wurde in 18 Sprachen übersetzt und Elke Heidenreich forderte in ihrer Sendung „Lesen!“, diese Liebesgeschichte müsse ein Bestseller werden. Heute wissen wir: Das ist ihr glücklicherweise mit 70.000 verkauften Exemplaren nahezu gelungen.