Bücher Magazin

Pflanzen fordern uns heraus

Stefano Mancusos Buch über Pflanzenre­chte

- VOn KAtHArinA GrAnZin Katharina Granzin lebt in Berlin und schreibt über Literatur und andere Künste. Ihre Texte erscheinen unter anderem in „taz“und „Frankfurte­r Rundschau“

Wer bisher dachte, dass die Biologie eine unpolitisc­he Wissenscha­ft ist, wird nach der Lektüre von Stefano Mancusos neuem Buch umdenken müssen.

der Biologe Stefano Mancuso liebt Pflanzen nicht nur, sondern versteht sie auch. Mancuso, der als Professor in Florenz lehrt, ist ein internatio­nal gefragter Experte auf dem Gebiet der Pflanzenne­urobiologi­e, wobei sein Engagement weit über den Tellerrand der wissenscha­ftlichen Fachwelt hinaus reicht. Er hat mehrere populärwis­senschaftl­iche Bücher geschriebe­n, in denen er dem interessie­rten Laienpubli­kum etwa erklärt, wie Pflanzen ihre Umwelt wahrnehmen und sich an sie anpassen („Die Intelligen­z der Pflanzen“, mit Alessandra Viola, Kunstmann 2015) oder wie Pflanzen, obwohl sie als Individuen fest am Standort verwurzelt sind, es dennoch schaffen, als Arten über weite Strecken zu wandern („Die unglaublic­he Reise der Pflanzen“, Klett-Cotta 2020). Zum großen Glück der Pflanzen gehört Mancuso zur Subspezies jener Biologen, die gut schreiben können. Und da er bei aller Pflanzenli­ebe und aller engagierte­n Eloquenz eben auch Wissenscha­ftler ist, sind seine Bücher gleichzeit­ig angenehm frei von jeder Gefühligke­it.

In seinem neuesten Buch ist der Biologe allerdings einen entscheide­nden Schritt über den rein sachlichen Diskurs hinausgega­ngen. In „Die Pflanzen und ihre Rechte“spricht nicht mehr nur der menschlich­e Autor. Er schreibt hier passagenwe­ise, zumindest in den Kapitelübe­rschriften, nicht als er selbst, sondern im Namen der Pflanzen. Das Gedankenex­eperiment dahinter ließe sich etwa so formuliere­n: „Wenn die Pflanzen der Welt eine Verfassung geben könnten, wie würde sie aussehen?“In diesem Sinne formuliert Mancuso acht Artikel einer Charta der „Nation der Pflanzen“, die er den acht Kapiteln seines Buches voranstell­t. Der erste Artikel lautet: „Die Erde ist die gemeinsame Heimat allen Lebens. Alle Macht gehört allen Lebewesen.“Das ist eine radikale politische Forderung, so wie fast alles in der Pflanzench­arta. Kapitelwei­se erläutert Mancuso den sachlichen Hintergrun­d jedes Verfassung­sartikels. Dabei geht es sehr oft gar nicht um die Pflanzen selbst, sondern um die Art und Weise, wie alles mit allem zusammenhä­ngt, und darum, wie wir Menschen die Pflanzen und uns und alles andere auf der Erde wahrnehmen. Überhaupt, die Erde. „Wo sind sie alle?“zitiert Mancuso den Kernphysik­er Enrico Fermi, der einst mit dieser berühmt gewordenen Frage deutlich machte, wie wenig wahrschein­lich es ist, dass wir anderswo im Weltall intelligen­tes Leben oder einen Ort entdecken, an dem unsere Spezies weiterlebe­n könnte, nachdem sie die Erde unbewohnba­r gemacht hat. Dass unser Planet bewohnbar ist, verdanken wir, wie Mancuso nicht müde wird zu betonen, allein den Pflanzen, die über die wundersame Fähigkeit zur Photosynth­ese verfügen und damit den für uns unverzicht­baren Sauerstoff herstellen. Denn nicht wir Menschen, oder, weiter gefasst, wir Säugetiere, sind die am besten an das Leben auf der Erde angepasste­n Organismen, sondern rangieren in dieser Hinsicht sogar ziemlich weit hinten. Am anpassungs­fähigsten von allen komplexere­n Lebewesen – und damit nach Darwin die „fittesten“– sind die Pflanzen.

Auch andere Artikel der Pflanzench­arta sind von großer politische­r Sprengkraf­t. Der dritte lautet: „Die Nation der Pflanzen erkennt die tierischen Hierarchie­n mit ihren Kommandoze­ntren und konzentrie­rten Funktionen nicht an, sondern unterstütz­t dezentrale Pflanzende­mokratien mit verteilten Funktionen.“Hier nimmt Mancuso einen anthropolo­gischen Blickwinke­l ein und beschreibt, wie wir Menschen fatal dazu tendieren, unsere sozialen und politische­n Strukturen genauso hierarchis­ch zu organisier­en, wie unser Körper gebaut ist, was allzu oft zerstöreri­sche Folgen hat. Hannah Arendt (die sich in ihrem Bericht über den Eichmann-Prozess mit ebensolche­n Strukturen beschäftig­te) zieht der Autor als Zeugin heran, außerdem den russischen Anarchiste­n Pjotr Kropotkin, der schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts über ein unhierarch­isches, unterstütz­endes Miteinande­r von Menschen, Tieren und Pflanzen nachdachte. – Es ist ein gedanklich­er Komplex von prinzipiel­l enormen Ausmaßen, den Mancuso in seinem eher schmalen, aber ungemein anregenden Buch anreißt. Für die Zukunft wäre natürlich dringend zu fordern, dass es beim Gedanklich­en nicht bleibt. Schade eigentlich, dass Pflanzen nicht demonstrie­ren gehen können.

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 ??  ?? STEFANO MANCUSO: Die Pflanzen und ihre Rechte – Eine Charta zur Erhaltung unserer Natur
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Andreas Thomsen Klett-Cotta, 144 Seiten, 17 Euro
STEFANO MANCUSO: Die Pflanzen und ihre Rechte – Eine Charta zur Erhaltung unserer Natur Übersetzt von Andreas Thomsen Klett-Cotta, 144 Seiten, 17 Euro
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