Partisanenkämpfe & Personenkult
Biografien und Romane erzählen von Titos Jugoslawien
Jugoslawien und dessen Präsident Tito entziehen sich gewohnten politischen Kategorien. International war er als Kopf der Blockfreien anerkannt, im sozialistischen Vielvölkerstaat dominierte sein Personenkult. Kürzlich erschienene Erzählungen und Biografien aber haben mehr zu berichten.
Die Anfänge Jugoslawiens beleuchtet Drago Jan ar in seinem Roman Wenn die Liebe ruht aus Maribor im heutigen Slowenien. Die schonungslose Brutalität des Krieges wird deutlich an den Schicksalen sehr unterschiedlicher Protagonisten, die miteinander zusammenhängen: Sie, die sich einem anderen für ihren Freund hin- und damit ihr bisheriges Leben aufgibt; der Freund, der ihr das nicht verzeiht und „in den Wald“geht, um sich den Partisanen anzuschließen; der Peiniger, der den Freund zwar gehen lässt, aber genug Schuld auf sich lädt, später flieht und im Lager landet. Die Partisanenkämpfe sind ein zentrales Gründungsthema Jugoslawiens, überlagern aber in der Erinnerungskultur andere Erfahrungen aus den Weltkriegsjahren, die auch von Jan ar aufgegriffen werden, indem er von der Zwangsprostitution seiner Protagonistin als Lagerinsassin in Frontnähe erzählt. In diesem Sinne leistet ebenso die Geschichte von Diana Budisavljevi einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur: Erst durch Veröffentlichung ihrer Tagebücher wurde bekannt, dass sie Tausende Kinder aus Lagern vor den Ustaša gerettet hatte. Auf deren Basis erschien bereits 2017 ein biografischer Roman (Wilhelm Kuehs: Dianas Liste, Tyrolia Verlag).
Auch der Roman Die Marschallin von Zora del Buono beginnt bei Kämpfen im malerischen slowenischen So a-Tal. Die Großmutter der Verfasserin aber baut sich ein nobles Leben in Italien auf, wo sie den Kommunismus an der Seite ihres Mannes, eines erfolgreichen Arztes, vorantreiben will. In ihrer Familie übernimmt sie das Regiment, duldet keine meinungsstarken Schwiegertöchter oder gar deren Mütter als Einmischung. Der Luxus, dem sie sich als Familie in ihrem eigens entworfenen Wohnhaus inklusive Klinik hingeben, steht für sie in keinem Widerspruch:
Als glühende Tito-Anhängerin vertritt sie die Forderung nach Luxus für alle.
„Tatsächlich entsprach es Titos kommunistischer Ideologie, dass die Mittelschicht sich etwa zweimal im Jahr einen Urlaub leisten konnte“, so Dr. Dragana Grbi , Dozentin des Slawischen Instituts der Universität zu Köln. Sie ist in Jugoslawien aufgewachsen und kennt entsprechende Narrative nicht nur aus Wissenschaftsperspektive, sondern auch aus dem eigenen Umfeld. „Auch wenn sich Erinnerungen von Familie zu Familie teils erheblich unterscheiden, gibt es gerade unter denjenigen, die schöne Erinnerungen an diese Zeit haben, oft das Credo, früher war alles besser. Allerdings hat man traumatische Erfahrungen aus dem Weltkrieg zugunsten der Ideologie von Einheit und Brüderlichkeit unterdrückt und nie aufgearbeitet.“
TABU-THEMA GOLI OTOK
Tito ist in allen hier vorgestellten Romanen präsent und wer die Gebiete des ehemaligen Jugoslawiens bereist, kann noch den einen oder anderen in massive Felsen gehauenen TITO-Schriftzug in den gebirgigen Landschaften entdecken. In den letzten Jahren sind zwei Biografien auf Deutsch erschienen, die sich dieser Persönlichkeit annehmen: Marie-Janine Calic verortet ihn in Tito – Der ewige Partisan in seiner Zeit, geprägt von politischen und gesellschaftlichen Extrema und nimmt nicht zuletzt das Verhältnis zu Deutschland in den Blick. Während sie seine Lebensgeschichte eher chronologisch mit der Zeitgeschichte verbindet, gliedert Jože Pirjevec seine Biografie Tito thematischer und berichtet etwa über dessen Ehefrauen, gesammelt in einem „Exkurs“. Beide Biografien berichten aus umfangreichen, teils erstmals zugänglichen Quellen aus dem Leben des jugoslawischen Staatspräsidenten und verdeutlichen den Personenkult rund um seine Figur. Auch heute noch ist dieser Kult und die Jugoslawien-Nostalgie für jeden sichtbar, der an Souvenirständen in den südosteuropäischen Städten die Augen nach Jugoslawien- und Tito-Magneten offenhält.
Auf der anderen Seite zeugen gleich mehrere Bücher von der Lager-Insel Goli Otok, ehemals ein TabuThema in Jugoslawien. Einfühlsam zeichnet etwa David Grossman nach, welches Trauma die Inhaftierung von Großmutter Vera für ihre Nachkommen bedeutet. Was Nina wusste ist die Geschichte hinter einer Reise der Familie nach Goli Otok. Vera kehrt an ihrem Lebensabend auf die Insel zurück, für ihre Tochter und Enkelin hingegen fühlt es sich an wie ein Nachhausekommen an einen Ort, der sie noch nie losgelassen hat.
Auf der kahlen Mittelmeerinsel wurden ab 1949 über 15 000 Menschen inhaftiert – von überzeugten Stalinisten über Menschen, die sich einer ironischen Bemerkung über Tito schuldig gemacht hatten, bis hin zu Unschuldigen, so Tito-Biograf Pirjevec. Die Ironie daran: Die Insel wurde als Inhaftierungsort ihm zufolge ausgerechnet bei einer Suche nach hochwertigem Marmor für Bildhauerarbeiten ausfindig gemacht, Tito saß im selben Jahr Modell. Beide Biografien sowie mehr und mehr literarische Erzählungen berichten über katastrophale Haftbedingungen.
Goli Otok und Verbrechen aus dieser Zeit sind auch Thema in Heute ist Mittwoch, einer Erzählung von David Albahari über unzählige Spaziergänge durch Belgrad, die ein Sohn mit seinem an Parkinson erkrankten Vater unternimmt. In Erwartung beginnender Demenz müssen Vater und Sohn einen Umgang mit den umfassenden Lebenserzählungen des Vaters bei diesen Spaziergängen finden, nach denen er nicht länger als unschuldig gelten kann und der Sohn sich mit der Frage nach Vergebung herumtragen muss.
„Goli Otok existierte im Bewusstsein der Leute, aber erst jetzt fangen sie an zu sprechen. Der Tod naht und sie haben nichts mehr zu verlieren“, stellt auch Dr. Grbi fest. So ist es kaum ein Zufall, dass die Motive Erinnerungsverlust und Demenz mehrfach auftauchen: Ob in „Die Marschallin“, „Was Nina wusste“oder „Heute ist Mittwoch“– was verdrängt und nie ausgesprochen wurde, droht am Ende tatsächlich in Vergessenheit zu geraten.
Weit entfernt, aber dennoch unter Einfluss von Goli Otok wächst Alem Grabovac als Das achte Kind in einer deutschen Pflegefamilie auf. Erst als Erwachsener erfährt er von der Vergangenheit seines leiblichen Vaters, der ebenfalls Strafgefangener auf Goli Otok war. In dieser Erzählung aus dem Gastarbeiter-Milieu in der BRD gerät der Protagonist zwischen ideologische Fronten, hat er doch einen Partisanen-Veteran zum Großvater und einen nationalistisch eingestellten Pflegevater. Während diese Gegensätze offensichtlich sind, war Goli Otok im deutschen Kulturraum lange nicht präsent. „Es braucht zuerst Begleittexte, damit solche Themen auch in anderen Kulturräumen begreiflicher werden“, so Dr. Grbi . „Das Vorwort von dem Übersetzter Robert Hodel zu ‚Wie ein Fleck zurückblieb‘ von Dragoslav Mihailovi (Leipziger Literaturverlag) ist ein Beispiel dafür. Hodel beschreibt den direkten Konflikt des Autors mit Tito und ordnet sein fünfbändiges Werk über die Lagerinsel ein.“
Auch wenn nicht immer ein so umfangreiches Vorwort verfügbar ist und eine Rückschau nicht so einfach gelingt wie in Jan ars Romaneröffnung, in der die Cover-Fotografie zum Leben erwacht: All diese Erzählungen machen Jugoslawien jenseits bislang dominierender Themen begreiflicher, insbesondere wenn sie in Kombination mit einer der Tito-Biografien gelesen werden.