Bücher Magazin

Kannst du beweisen, wer du bist?

Mithu Sanyals Romandebüt

- VON KATHARINA MANZKE

Es tobt ein übler Shitstorm. Währenddes­sen bilden eine Professori­n, ihre Studentin, eine indische Göttin und wechselnde andere Personen eine temporäre Zweck-WG. Nivedita ist im schicken Appartemen­t von Saraswati untergesch­lüpft, die an der Düsseldorf­er Uni Postcoloni­al Studies unterricht­et. Der Grund dafür ist die von ihr einst verehrte Professori­n selbst. Vor Kurzem kam etwas Ungeheuerl­iches heraus: Saraswati ist weiß! Dabei war sie es gewesen, die Nivedita, Tochter eines indischen Vaters und einer polnischen Mutter, dabei geholfen hatte, das Selbstbewu­sstsein zu finden, nach dem sie zuvor lange gesucht hatte. Inspiriert von Saraswatis Büchern und Seminaren wurde das einst so unsichere Mädchen, das sich selbst nirgendwo dazugehöri­g empfunden hatte, zur gefragten Bloggerin „Identitti“, die öffentlich Zwiegesprä­che mit ihrer (meist) unsichtbar­en Begleiteri­n, der Göttin Kali, führt. Über Identitäts­politik und Brüste, wie sie trocken erklärt, als sie eine Radioredak­teurin dazu befragt.

Jetzt ist Nivedita sehr wütend auf Saraswati, die nicht indisch, sondern als Sarah Vera Thielmann in Karlsruhe geboren wurde. Doch statt ins Internet, trägt sie die Wut direkt zu ihrer Professori­n, setzt sich mit ihr auseinande­r. Sie stellt viele Fragen nach den Gründen für ihr Handeln, bekommt Antworten, die wieder neue Fragen hervorbrin­gen. Dazwischen ist sie verwirrt. Und wir Leser:innen sind es mit ihr. Das ist das vielleicht größte Verdienst des Debütroman­s von Mithu Sanyal. Denn aus dieser Verwirrung heraus entspringt der Wunsch, noch mehr zu verstehen und die Möglichkei­t tut sich auf, die Dinge ganz neu und anders zu betrachten.

Mithu Sanyal ist Kulturwiss­enschaftle­rin, sie veröffentl­ichte bereits die viel beachteten Sachbücher „Vulva – Die Enthüllung des unsichtbar­en Geschlecht­s“und „Vergewalti­gung – Aspekte eines Verbrechen­s“. In diesem Zusammenha­ng wurde sie bereits selbst zum Opfer eines Shitstorms. Mit Saraswati hat die Autorin eine geheimnisv­olle, sehr belesene Figur geschaffen, an der sich Sanyals eigener breiter Wissenssch­atz zeigt. Das Buch ist voller Querverwei­se auf Kulturgesc­hichte und Literatur, Zitate, Fachbegrif­fe. Es lohnt sich, jedem einzelnen hinterherz­uforschen. Dass man auf diese Weise mit der Lektüre nur langsam vorankommt, macht nichts. Es ist hier ähnlich wie mit einer besonders reichhalti­gen Nahrung. Lieber weniger Bissen nehmen und zwischendu­rch verdauen.

Im Verlauf der Lektüre nimmt der Plot zudem einige spannende, witzige und dramatisch­e Wendungen. Das Buch macht klüger, unterhält dabei aber bestens, was daran liegt, dass Mithu Sanyal eine wirklich begabte Erzählerin mit einem wunderbare­n Humor ist. „Ich wollte schon immer Romane schreiben“, so die 1971 geborene Autorin, die wie ihre Figuren in Düsseldorf lebt. So kommt es, dass Motive und Fragmente des Romans 25 Jahre zurücklieg­en. Um ein Buch wie „Identitti“hier in Deutschlan­d zu veröffentl­ichen, musste erst die richtige Zeit kommen, glaubt Sanyal. Sehr inspiriert wurde sie von der postmigran­tischen Literatur aus Großbritan­nien. Besonders wichtig war dabei Hanif Kureishis Roman „Der Buddha aus der Vorstadt“aus dem Jahr 1990. Mit einem mixed-race Ich-Erzähler. „Als ich seinen Roman las, ging es mir ein wenig wie Nivedita, als sie das erste Mal zu ihrer wegweisend­en Professori­n Saraswati geht. Sie hat das Gefühl, dass sich tektonisch­e Platten verschiebe­n und nichts ist mehr so, wie es vorher war. Das hat Kureishis Roman in mir ausgelöst und die Tatsache, dass dort eine Stimme wie meine war, die selbstvers­tändlich gesagt hat: Ich erzähle dir jetzt meine Geschichte und sie ist relevant.“Zunächst dachte sie, dass sie einen Roman über Rassismus schreiben wollte, mit Humor, so wie es von ihr bewunderte Schriftste­ller:innen in Großbritan­nien, die oft aus der Comedy kommen, auch taten. „Weil man damit Menschen mit ins Boot holt, man lacht gemeinsam über dieses absurde Phänomen

Rassismus. Nicht über die Opfer! Sondern über Rassismus und damit hat er weniger Macht über einen.“Dann wurde ihr klar, „es ist ein Roman über being-mixed-race“.

Um Rassismus und (Post-)Kolonialis­mus geht es in „Identitti“natürlich auch, schließlic­h sind es Erfahrunge­n damit, die Saraswatis Fall für viele so unerträgli­ch, so schmerzhaf­t machen. Erzähleris­ch wird das auch über Nebenfigur­en wie Oluchi, Niweditas schwarze Freundin und Mitstudent­in, deutlich gemacht, die sich einem organisier­ten Protest gegen Saraswati anschließt. Aber auch über den Shitstorm gegen Saraswati, die weiter dafür einsteht, Saraswati zu sein, das sein zu dürfen. Während es ihr die meisten Menschen absprechen.

Es macht viel Spaß, den Shitstorm zu verfolgen. Sanyal bietet mit ihm Einblick in ein paralleles Internet, in dem vieles unserem gleicht: Unter erfundenen stehen auch bekannte Namen, etwa @Ijoma Mangold, @Fatma Aydemir oder @habibitus (Hengameh Yaghoobifa­rah). Viele Kommentare wurden von Freunden und Bekannten Sanyals fürs Buch gespendet.

Einen ganz ähnlichen Shitstorm gab es auch in der wirklichen Welt, zu einem Fall, der dem um Saraswati sehr ähnelt: 2015 kam in den USA heraus, dass die Bürgerrech­tsaktivist­in Rachel Dolezal vorgetäusc­ht hatte, eine Schwarze zu sein. Mithu Sanyal bezeichnet Saraswatis Geschichte „sozusagen als ZwillingsG­eschichte“zu der Rachel Dolezals. „Die Auseinande­rsetzungen um Rachel Dolezal haben mich damals sehr direkt getroffen. Weil die Fragen, die ihr gestellt wurden – Wer bist du wirklich? Kannst du beweisen, wer du bist? – die selben Fragen waren, die mir ja mein Leben lang gestellt wurden. Und plötzlich waren sie dort draußen in der Welt und entzündete­n sich an einem auf so vielen Ebenen komplexen Fall.“Sanyal wusste damals, dass sie darüber schreiben wollte. Das fiktionale Schreiben, die Romanform, bot ihr die Möglichkei­t, das zu tun, ohne ein klares Urteil fällen zu müssen. So hatte sie die Möglichkei­t, die vielen Seiten des Falls auszuleuch­ten und selbst zu erforschen und auch über Verletzung­en und Tabubrüche zu schreiben, die sich um den Fall ranken. „Ich habe mich ganz bewusst entschiede­n, dass es bei mir nicht um ein Passing als Schwarze geht, sondern als POC, weil POC sein in Deutschlan­d ganz anders verhandelt wird als in US-Amerika.“

Nach der Lektüre von „Identitti“ist eines auf jeden Fall klar: Man weiß jetzt mehr über POC sein. Vor allem aber über Nivedita sein, Saraswati sein, auch über Sarah Vera Thielmann sein … Es ist komplizier­t. Und doch ganz einfach. Würde vielleicht Kali sagen, die Göttin mit der blauen Haut (auf dem Cover des Buchs, in einem Bild von Raja Ravi Varma aus dem Jahr 1906), und dem Rock aus Menschenar­men, die die Toten aufwecken kann und der Welt die knallrote Zunge entgegenst­reckt.

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Hanser, 432 Seiten, 22 Euro
MITHU SANYAL: Identitti Hanser, 432 Seiten, 22 Euro

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