Was wir lesen wollen
Verlage und Buchhandlungen, die weibliche Perspektiven eröffnen
Zeit für einen Neustart wird es 2021 in vielen Bereichen – strukturelle Veränderungen und nachhaltige Lösungen sind auf allen Ebenen gefragt. Auffällig ist in der Buchbranche, dass viele innovative Konzepte und zukunftsweisende Ideen von jungen Frauen stammen. Und dass diese Frauen sich verbünden. Oder wie im Falle des Ecco Verlags, der in diesem Frühling sein erstes Programm herausgibt, sogar ausschließlich mit Frauen zusammenarbeiten. Denn das Konzept von Ecco basiert darauf, dass nur Literatur von Frauen Programm ist. Es gibt auch keine Verleger:in im klassischen Sinne, sondern alles wird zusammen entschieden. „Uns ist der Teamgedanke ausgesprochen wichtig und damit leben wir auch eine neue Art des Arbeitens, denn wir alle fünf sind gleichermaßen in Entscheidungen involviert. Wir begleiten den Prozess der Entstehung eines Buches gemeinsam von der Akquise bis zur Vermarktung und Veröffentlichung“, sagt Heide Kloth, die für das Programm zuständig ist. Bei einem Zoom-Pressetermin, wo die fünf Ecco-Frauen sich und ihre ersten fünf Autorinnen vorstellen, geht es sehr persönlich und
unkompliziert zu – eine österreichische Journalistin sinniert ganz offen, dass sie sich noch nicht ganz entschieden hat, ob sie diese Verlagsgründung anachronistisch oder fantastisch finden soll. Wahrscheinlich beides, lacht sie und alle lachen mit. Denn es stimmt ja, einen Autorinnen-Verlag zu gründen, ist keine neue Idee, im Gegenteil – es erinnert an die 1970er- und 1980er-Jahre, als der Feminismus das letzte Mal so richtig auf die Barrikaden ging. Und man muss noch nicht einmal so weit zurückgehen, denn Frauen wie die Literaturagentin Silke Weniger und die Übersetzerin Karen Nölle haben beispielsweise 2010 mit der edition fünf einen ganz ähnlichen Verlag gegründet, der nur Frauenstimmen veröffentlicht.
Doch erst jetzt scheint der Zeitgeist in Frauenfragen wieder so sehr auf Sturm zu stehen, dass eine neue feministische Welle den Mainstream erreicht. Man mag es verwunderlich finden, dass im Jahr 2021 die Autorenschaft immer noch anders behandelt, gelesen und bezahlt wird, je nachdem, ob sie männlich oder weiblich ist. Doch leider ist das eine Tatsache, die das Forschungsprojekt #frauenzählen 2018 durch die Pilotstudie „Sichtbarkeit von Frauen in Medien und Literaturbetrieb“bestätigte. Für das Pilotprojekt in Kooperation mit dem Institut für Medienforschung der Universität Rostock wurden 2018 im Monat März 2036 Rezensionen und Literaturkritiken in 69 deutschen Medienformaten (Print, Hörfunk, TV) ausgewertet und analysiert. Das Ergebnis: Zwei Drittel aller Rezensionen würdigen die Werke von Autoren, Männer schreiben fast nur über Männer und ihre Kritiken nehmen deutlich größeren Raum ein.
Die Literaturwissenschaftlerin Berit Glanz und Lektorin und Literaturbloggerin Nicole Seifert haben ebenfalls nachgezählt mit ihrem Projekt #vorschauzählen. Sie analysierten 429 Neuerscheinungen der deutschen literarischen sowie renommierten Sachbuchverlage für das Frühjahr 2020. Die Tendenz: Je höher das literarische Prestige eines Verlages, desto mehr scheint es auf Männer im Programm zu setzen.
„Das sind wichtige Initiativen, die gezeigt haben, dass Autorinnen oftmals noch nicht die Bühne gegeben wird, die Autoren seit Jahren bespielen. Und genau darum geht es bei unserem Konzept: Diesen Raum weiter für Autorinnen zu öffnen und den weiblichen Blick mehr in den Fokus zu rücken“, sagt Magdalena Mau, die bei Ecco für die Herstellung zuständig ist. „Wir gehen mit Ecco sozusagen durch eine Tür, die durch verschiedene Initiativen und Aktionen schon weit aufgestoßen wurde und freuen uns, wenn diese Themen dadurch auch weiterhin in der Branche präsent sind.“
Was am Ecco-Verlag beeindruckt, ist die Stringenz, denn nicht nur besteht das Verlagsteam und das Programm aus Frauen – alle an der Herstellung beteiligten kreativen Prozesse von der Übersetzung bis zur Covergestaltung kommen aus Frauenhand. „Es geht uns um Women Empowerment“, so Magdalena Mau.
Im Unterschied zu den programmatisch ähnlich weiblichen Verlagsgründungen der Indiebuch-Szene aus den 1980erund 1990er-Jahren ist der Ecco-Verlag allerdings ein Teil des internationalen Buchkonzerns HaperCollins. Das bietet natürlich einige Vorteile, weil auf vorhandene Strukturen zurückgegriffen werden kann. So sieht das Heide Kloth: „Wir empfinden es als großen Vorteil, ein so renommiertes und traditionelles Verlagshaus im Rücken zu haben, gerade der enge Austausch mit den anderen internationalen HarperCollins Verlagen ist ein großer Gewinn. In der Programmgestaltung des Ecco-Verlags sind wir komplett eigenständig, aber wir freuen uns, zum 50-jährigen Jubiläum unseres Namensgebers Ecco Press mit dem ersten Programm starten zu dürfen, einem der renommiertesten internationalen Literaturverlage, der ebenfalls Teil von HarperCollins ist. Mit Joyce Carol Oates haben wir sogar eine gemeinsame Autorin im Startprogramm, die eine schöne Brücke zu unserem Namensgeber schlägt.“
WARUM NICHT MAL WAS NEUES WAGEN?
Eine weitere junge Verlegerinnen-Truppe, die seit letztem Jahr viele Schlagzeilen macht und die Wildcard und damit einen kostenlosen Stand auf der Frankfurter Buchmesse gewann, ist der Münchner Verlag &Töchter. Auch hier haben sich fünf Frauen zusammengetan, um neue
Wege zu gehen. Allerdings ohne Investor oder Buchkonzern im Rücken, dafür mit jeder Menge kreativer Ideen und Abenteuerlust. „Angefangen hat alles mit unserer Veranstaltungsreihe rauschen&Töchter. Wir wollten uns mit anderen Menschen über Literatur austauschen – in einer lockeren Atmosphäre, in die sich auch Nicht-Leserinnen trauen. Also haben wir kurze Lesungen von jungen Autor:innen mit Live-Musik und einer außergewöhnlichen Location verbunden. Das hat super funktioniert und uns dazu motiviert, die ersten Buchprojekte zu entwickeln“, erzählt &Töchter-Lektorin Laura Nerbel.
Den fünf Verlegerinnen ist in ihrer Programmarbeit neben Entertainment auf allen multimedialen Kanälen vor allem der Nachhaltigkeitsaspekt der Buchproduktion wichtig. Und auch inhaltlich setzen sie auf diese wichtigste aller Zukunftsfragen. Als ersten Roman haben sie im Herbst 2020 die Klima-Dystopie „Glashauseffekt“von Alexander Sperling herausgebracht. In diesem Frühjahr erscheint im März das Sachbuch „Great Green Thinking“der Autorinnen Jennifer Hauwehde und Milena Zwerenz (siehe S. 73). Und am 31. Mai erscheint das autobiografische Sachbuch „About Shame“von Laura Späth. „Wir sehen uns als Verlag in der Verantwortung, so ökologisch wie möglich zu handeln und auch an die kommenden Generationen zu denken. Wir haben beschlossen, von Anfang an klimapositiv, nach dem Cradleto-Cradle-Verfahren drucken zu lassen. Damit sind wir in der Branche (noch) ziemlich alleine“, sagt Elena Straßl, die sich um Vertrieb und Veranstaltungen kümmert. Und auch in der Frauenfrage beziehen sie klar Stellung: „Wir glauben, dass es endlich an der Zeit ist, patriarchale Strukturen aufzubrechen und zu überwinden und wir versuchen, diesem Anspruch einerseits innerhalb unseres Verlags gerecht zu werden, andererseits aber auch immer wieder mit den Inhalten unserer Bücher zum Ausdruck zu bringen“, sagt Lektorin und Herstellerin Sarah Zechel. „In unserem Netzwerk gibt es viele Frauen, die ähnliche Ziele verfolgen und es ist schön, aber auch wichtig, sich gegenseitig bei Projekten zu unterstützen und die Arbeit von Frauen und marginalisierten Gruppen sichtbarer zu machen.“
WER, WENN NICHT WIR?!
Ein Netzwerk, das sich schon seit 30 Jahren für die Frauen in der Buchbranche stark macht, sind die BücherFrauen. 1990 gegründet nach dem Vorbild der englischen Women in Publishing (WiP), bündelt der Verein die Interessen von 900 deutschen Verlagsfrauen, Buchhändlerinnen, Übersetzerinnen, Agentinnen und allen anderen Frauen, die rund ums Buch tätig sind. Passend zu den Entwicklungen die
ser frauenbewegten neuen Zeiten wird 2021 auch erstmals im November der mit 10 000 Euro dotierte BücherFrauenLiteraturpreis für Autorinnen vergeben.
Eine der „Erfinderinnen“des Preises ist die Verlegerin Sandra Thoms. Sie ist Geschäftsführerin des Bedey und Thoms Verlags, der zwölf kleine Belletristikverlage unter einem Dach vereint. Thoms selbst hat erst im Herbst 2020 den Plan9 Verlag gegründet, der sich ausschließlich dem Genre Science-Fiction widmet. Auch sie sucht explizit nach weiblichen Autorinnen. Denn in diesem Genre gäbe es zwar viele Autorinnen, doch diese werden von den etablierten Science-Fiction-Verlagen viel zu oft abgewiesen, weil Lektoren aufgrund ihrer männlichen Leserschaft oft nur nach Autoren suchen. Sie arbeite daran, die GenderSchranken von zwei Seiten zu durchbrechen, denn es geht ihr ebenfalls darum, mehr Leserinnen für Science-Fiction zu begeistern und mit dem männlich geprägten Tech-NerdKlischees aufzuräumen.
„Der BücherFrauen-Literaturpreis war eine spontane Idee auf der letzten Tagung der Bücherfrauen 2019, die noch live stattfinden konnte“, erinnert sich Sandra Thoms. „Wir saßen in einer kleinen Runde und fragten uns, warum es in Deutschland immer noch keinen Literaturpreis für Frauen gibt.“Wer, wenn nicht wir?! – Dieser Gedanke wurde dann auf der digitalen Jahrestagung im Herbst 2020 thematisiert und der Literaturpreis mit großer Mehrheit beschlossen. Alle zwei Jahre wird nun die Arbeit von Autorinnen ausgezeichnet, die mit ihrem Schreiben zur Gleichstellung der Geschlechter und zur Stärkung von Frauen und Mädchen beitragen. Die 15 Regionalgruppen der BücherFrauen wählen eine Longlist aus deutschsprachigen und ins Deutsche übersetzten Werken der Belletristik, aus der dann eine unabhängige dreiköpfige Expertinnen-Jury die Preisträgerin kürt. „Die Namensgeberin der mit dem Preis verbundenen Statuette sollte ein Frau sein, die für Literatur steht, die Frauen weiterbringt und eine Klassikerin, um aufzuzeigen, dass Literatur von Frauen eine lange Geschichte hat“, sagt Sandra Thoms. Es ist die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Christine de Pizan (1364 bis ca. 1429) geworden.
Sie war die erste Autorin der französischen Literatur, die von ihren Werken leben konnte. Ihr heute bekanntestes Werk ist „Das Buch von der Stadt der Frauen“, es war eines der ersten feministischen Werke Europas.
WANDEL WIRD SICHTBAR
Fast 600 Jahre nach Christine tritt eine neue Generation Feministinnen an, die Literaturwelt nach ihren Visionen zu gestalten. „Die Debatte über die (Un-)Sichtbarkeit von Frauen ist ja kein exklusives Problem der Buchbranche, umso wichtiger ist es, dass durch Initiativen wie #frauenzählen darauf aufmerksam gemacht wird. Auch wenn die Bestsellerlisten und Führungspositionen meist noch sehr männlich geprägt sind, ist doch ein Wandel sichtbar“, findet Jessica Taso, die für Rechte, Finanzen und Social Media im &Töchter-Verlag zuständig ist. „Wir sind froh und stolz, fünf Frauen und gleichzeitig Verlegerinnen zu sein, ohne Mann an der Spitze. Erfolgreiche Neugründungen wie z. B. die Buchhandlung She Said zeigen, dass das Bedürfnis nach einem Wandel – auch in der Öffentlichkeit – wächst und freuen uns, ein kleiner Teil davon sein zu können.“
Die queer-feministische Buchhandlung She Said eröffnete im Dezember 2020 in Berlin. Auch hier sind die Feministinnen der vorherigen Generationen eine wichtige Inspiration – doch das junge Team aus Frauen und queeren Aktivst:innen hat sich sogar entschieden, noch einen Schritt weiter zu gehen als die ersten Frauenbuchläden der 1970er-Jahre. Auch das She Said-Team verkauft nur, was sie selbst lesen wollen. Und das ist ausschließlich Literatur von Frauen und queeren Autor:innen.
Frauen verlegen Bücher von Frauen, zusammen mit Frauen, verkaufen sie in Autor:innen-Buchläden und zeichnen sie mit Literaturpreisen für Frauen aus – doch am Ende dieser neuen Frauenbewegung sind die Männer wieder willkommen, sogar höchstwillkommen! Alle hier vorgestellten Projekte freuen sich ausdrücklich über männliche Leser – denn Ziel ist es ja nicht, Männer auszuschließen, sondern Frauenstimmen Gehör und Raum zu verschaffen. Und es ist sehr wünschenswert, dass dies gelingt – denn wenn männliche Leser sich auf weibliche Perspektiven einlassen, ist das ein wichtiger Schritt, die strukturellen und jahrhundertealten Schranken im Kopf zu überwinden.