Auf Lesetour: Michael Robotham
Als Moderatorin ist Margarete von Schwarzkopf unterwegs im Namen der Literatur. In dieser Kolumne schreibt sie über ihre Begegnungen mit den begehrtesten Stars und den aufregendsten Newcomern der großen weiten Bücherwelt.
In Avalon bei Sydney ist strahlender Morgen. Im Hintergrund ertönt der Gesang von Kookaburras, den australischen Vettern des Eisvogels. Michael Robotham sitzt im Loft seines Hauses und erzählt, dass seine Frau ihn am Vortag früh geweckt habe mit dem Schreckensruf, sein Zoom-Interview starte in wenigen Minuten. Es war ein Fehlalarm. Denn durch die Zeitverschiebung stand dieser Termin erst für einen Tag später auf dem Programm – wenn es in Deutschland 20 Uhr ist, dann ist es in Sydney sechs Uhr morgens am nächsten Tag.
Seit einem Jahr hat der viel gereiste Autor sein Land nicht mehr verlassen. Doch sieht er die Corona-Krise eher gelassen: „Seit 27 Jahren lebe ich als Autor ohnehin in einer Art Quarantäne. Schreiben ist für mich so wichtig wie Atmen. Kein Tag ohne Schreiben. Deshalb leide ich persönlich nicht so sehr unter den derzeitigen Bedingungen. Ohnehin geht es uns in Australien nicht schlecht. Wir hatten einen harten Lockdown mit der Folge, dass wir inzwischen wieder in Restaurants dürfen und ohne Maske draußen sein können.“Noch immer wird Robotham auf seinen Profiler Joe O’Loughlin angesprochen, doch er hat eine neue männliche Hauptfigur, den Psychologen Cyrus Haven. „Ich habe viele Jahre mit Joe zusammengelebt. Als ich den ersten Thriller über ihn schrieb, dachte ich nicht an eine Serie. Vor allem, weil Joe ja an Parkinson leidet, einer Krankheit, die nicht verschwindet. Aber da meine Leser diese Figur lieben, ist er sehr lange geblieben. Jetzt hat er eine Pause, was aber nicht heißt, dass er nicht vielleicht eines Tages wieder auftauchen wird.“
Cyrus Haven, sein neuer Protagonist in „Schweige still“und „Fürchte die Schatten“, ist erst Anfang 30 und stark traumatisiert. Als Kind musste er die Ermordung seiner ganzen Familie miterleben. „Mich hat schon immer die Frage fasziniert“, erklärt Robotham, „wie jemand mit dem Leben fertig wird, der als einziger eine Katastrophe überlebt, egal, ob Auto- oder Flugzugunfall, oder wie im Fall von Cyrus den grausamen Tod der Familie. Cyrus wird Psychologe, um zu lernen, mit seinen Albträumen umzugehen. Und dann trifft er Evie, ein junges Mädchen, dem als Kind furchtbare Dinge angetan wurden. Im ersten Band erfahren wir wenig darüber. Cyrus versucht, die Wahrheit über das Mädchen mit dem falschen Namen und der erfundenen Identität herauszubekommen. Doch Evie, die jede Lüge durchschaut, aber nur durch Lügen überlebt hat, verweigert sich. Sie misstraut jedem. Im zweiten Band aber nähern sich Cyrus und sie an.“Mehr noch als die eigentliche Krimihandlung interessiert Robotham die Beziehung zwischen seinen Figuren und die Entwicklung der Charaktere. „Ich plane nie einen Plot und lasse mich durch die Ereignisse selbst überraschen. Ich weiß nur ungefähr, was passieren wird. Im zweiten Band gibt es eine Menge von Lösungsansätzen, aber es bleiben genauso viele Fragen übrig.“
Es wird mit der Geschichte von Cyrus und Evie weitergehen. Aber nicht sofort, lenkt Robotham ein. „Ich gönne mir jetzt eine Pause von diesen beiden sehr fordernden Figuren. Mein nächstes Buch ist ein Stand Alone, die Geschichte einer jungen Londoner Polizistin, die auf einen Fall von häuslicher Gewalt stößt. Der Täter ist ein hoher Polizeibeamter, was für die junge Ermittlerin zu einem beruflichen und privaten Albtraum wird.“Wieder spielt die Handlung in England, obgleich Robotham am 9. November 1960 in Australien geboren wurde und 1996 nach zehn Jahren in England dorthin wieder zurückkehrte, „um meinen drei Töchtern ein sicheres Umfeld zu geben“. Aber noch immer ist England, vor allem London, wichtigster Schauplatz seiner Thriller. „Als ich während meiner Arbeit als Journalist und Ghostwriter für Stars mein erstes Buch schrieb, wollte niemand Australien als Schauplatz haben. Also nahm ich England. Inzwischen hat sich das geändert, und einer meiner nächsten Romane wird in meiner Heimat spielen.“
Während unseres Gesprächs hat die Sonne das Loft erreicht und scheint direkt in Michael Robothams Gesicht. Seufzend meint er: „So sehr ich dies alles hier liebe, so sehr sehne ich mich nach Europa. Mein größter Wunsch: Bald wieder dorthin reisen zu können und vor allem meine deutschen Leser wiedersehen“.