Bücher Magazin

Keine Schonung in Kunst und Leben

Interview mit Dagmar Manzel über Tove Ditlevsen

- VON KAThArINA MANZKe

Dagmar Manzel liest Tove Ditlevsen – ein beglückend­es Sprecherin­nen-Autorinnen­duo, wie sich beim Zuhören schnell herausstel­lt. Kein Wunder, dass die Hörbücher der „Kopenhagen­Trilogie“so gelungen sind, denn die vielseitig­e, mit vielen Preisen geehrte Schauspiel­erin konnte sich wochenlang in Ditlevsens Texte vertiefen.

Tove Ditlevsens „Kopenhagen-Trilogie“„Kindheit“, „Jugend“und „Abhängigke­it“wurde in Dänemark Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre veröffentl­icht. Jetzt sind die autofiktio­nalen Romane auch auf Deutsch erschienen. „Kindheit“hat gleich die Bestseller­listen erobert, die Bücher werden hier als literarisc­he Entdeckung gefeiert. War es das auch für Sie?

Ich kannte die Schriftste­llerin Tove Ditlevsen vorher nicht, aber mit Beginn des ersten Satzes aus „Kindheit“– „Am Morgen war die Hoffnung da.“– war ich wie gebannt und habe die drei Bücher verschlung­en. Ich bin sehr froh darüber, dass endlich die deutsche Übersetzun­g da ist und ich die Hörbücher lesen konnte. Für mich ist sie eine große Entdeckung.

Was hat Sie an den Romanen so fasziniert? Radikal beutet Tove Ditlevsen ihr eigenes Leben beim Schreiben aus. Mit einer solchen Kraft und Klarheit, nach Liebe suchend, verarbeite­t sie die seelischen Konflikte ihrer Kindheit, u. a. die Hassliebe zur Mutter. Ihr starker Wille, unbedingt Schreiben zu müssen, weist ihr den Weg zur Selbstbest­immung.

Es gab einen Bruch in ihrem Leben, ab dem Moment, als sie nach einer Abtreibung eine Spritze mit Pethidin bekommt, ein morphinähn­liches Schmerzmit­tel. Sie ist sofort süchtig. Nur, um weiterhin Zugang zu diesem

Mittel zu bekommen, verlässt sie ihren Mann Ebbe, um den behandelnd­en Arzt Karl, zu heiraten. Sie begibt sich in ein totales Abhängigke­itsverhält­nis, das sie fast umbringt.

Ja, beim Lesen ging mir das wirklich unter die Haut, mit welcher selbstzers­törerische­n Kraft und sezierende­n Genauigkei­t sie diesen Prozess beschreibt.

Das ist Ihnen auch als Sprecherin gelungen. Ich bin Ihnen sehr gerne gefolgt, hatte immer das Gefühl, ganz dicht dran zu sein und doch war da genug Distanz. Raum für den Text, um sich zu entfalten.

Ja, da musste ich mich einarbeite­n. Ohne Corona hätte ich mich wahrschein­lich nicht mit solcher Intensität und vor allen Dingen mit so viel Zeit damit auseinande­rsetzen können. Ich habe die Bücher mehrmals gelesen, ehe ich ins Studio gegangen bin. Mich so konzentrie­rt mit der Trilogie von Tove Ditlevsen zu beschäftig­en, hat mir gutgetan.

Das klingt, als ob Sie eine enge Beziehung zu Tove Ditlevsen entwickelt hätten. Und dann sind das ja auch noch autofiktio­nale Texte, beim Lesen ist einem bewusst: So ungefähr muss es tatsächlic­h passiert sein …

Ihre Texte sind beim Lesen manchmal schwer auszuhalte­n. Tove Ditlevsen hat das Leben nicht mehr ausgehalte­n und starb an einer Überdosis mit 59 Jahren.

Das hat mich erstaunt. Ich habe mich erst mit ihrer Biografie beschäftig­t, nachdem ich die Hörbücher gehört hatte. Es war auch so viel Lebensfreu­de und Tatendrang in den Romanen.

Sie beschreibt die Menschen aus ihrem Leben auch mit Humor. Als kleines Mädchen, schon vieles durchschau­end und nach einem ihrer ersten Klinikaufe­nthalte von ihrem behandelnd­en Arzt davor gewarnt, immer wieder abzustürze­n, half ihr das Schreiben, ihr Leben zu ertragen.

Sie sprachen von viel Arbeit, haben den Roman neunmal gelesen. Worin bestand diese Arbeit noch?

Tove Ditlevsen beschreibt in der „Kopenhagen-Trilogie“40 Jahre ihres Lebens. Schon im ersten Teil „Kindheit“beginnt sie zu schreiben, aber in den 1920erJahr­en war es undenkbar, dass ein Mädchen aus dem Arbeitermi­lieu kommend, Schriftste­llerin werden kann. Die junge Tove im zweiten Teil „Jugend“musste sich gegen vieles auflehnen und außer ihrem Bruder gab es niemanden, der sie bestärkt hat. Bis sie dann doch Unterstütz­ung fand, zum Beispiel durch ihren ersten Mann. Im dritten Teil „Abhängigke­it“gibt sie sich fast auf und kann nur noch unter Drogen oder gar nicht mehr schreiben. Für diese drei großen Lebensabsc­hnitte musste ich für jeden Teil einen eigenen Ton finden.

Wie ist es Ihnen gelungen, die nötige Distanz beim Lesen zu finden? Gerade, weil Sie sich so intensiv auf die Texte eingelasse­n haben?

Bei der ersten Lektüre hat mich die Sprache von Tove Ditlevsen, die als Schutz vor der Welt ihr die Kraft zur Selbstbest­immung gab, sehr bewegt. Nach mehrmalige­m Lesen gelingt es dann, davon zurückzutr­eten und als Lesender diese Erfahrung dem Zuhörer zu überlassen.

Eigenes Leben und Kunst sind in Tove Ditlevsens autofiktio­nalem Schreiben vollkommen verschmolz­en. Damit hat sie sich den Lesern total ausgeliefe­rt. Können Sie das als Künstlerin nachempfin­den?

Der Beruf des Schauspiel­ers besteht ja auch darin, bereit zu sein, sich auszuliefe­rn. Vielleicht fühle ich mich gerade deswegen von der radikalen Art, wie Tove Ditlevsen ihr Leben beschreibt, so angezogen. Diese Form des bedingungs­losen Sich-nicht-schonen-Dürfens, um wahrhaftig zu sein, das ist ein Prozess, den ich als Schauspiel­erin auf der Bühne auch erlebe.

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