Interpretationssache: Ein Gedicht
Für das BÜCHERmagazin ist Dr. Björn Hayer stets auf der Suche nach der poetischen Kunst des Augenblicks und interpretiert in jeder Ausgabe ein ausgewähltes Gedicht.
SEHT HER, ICH BIN DER GOTT!
Das lyrische Ich per se mit seinem Schöpfer gleichzusetzen, kann leicht in die Irre führen. So zu sehen an dem wunderbar spöttelnden Gedicht „Hybris“aus Helmut Kraussers kongenialer, neuer Kompilation „Glutnester“. Wer hier spricht, ist ein veritabler Narzisst, einer, der sich gemäß dem Titel des Poems nur allzu gern an die Stelle Gottes setzt. Generös deutet er zu Beginn an, dass das mit der Musik schon noch hinkäme und Rom ja schließlich auch von ihm erbaut worden sei – wenn auch nicht an einem Tag. Und dann kommt die Selbstbeweihräucherung richtig in Fahrt. Denn außer ihm, dem größten aller – ähem – Schriftsteller, nein, noch besser, Weltenerschaffer, braucht es sonst keine anderen Autoren. Kein Schmierfink kann dem Titan das Wasser reichen. Er verkörpert die Spitze der Evolution, sodass jedweder sonstige Geltungsanspruch einer Anmaßung, eben einer frechen Hybris, gleichkäme. Doch was bietet uns der Poeta laureatus, dessen vermeintliche Meisterschaft allenfalls noch Rilke und Hölderlin nahekommen? Zugegeben, kläglich wenig. Statt Sprachartistik wird uns, man denke an die geflügelten Worte zu Rom, Wortmaterial aus der Mottenkiste angedreht. Nicht einmal die Bilder stimmen. Wie soll man wohl mit Schritten das Meer zum Erzittern bringen? Da der Scheinpoet nicht durch seine Kunst an sich überzeugen kann, gibt er sich umso mehr als Werbefachmann in eigener Sache, der die Leserschaft direkt anspricht und für sich zu gewinnen sucht. Süffisant nimmt Helmut Krausser in „Hybris“sich selbst und seine Zunft auf die Schippe und erteilt dem Geniekult mit ironischer Verve eine Absage. So manche Dichter entlarven sich letztlich als Blender. Nun denn, jetzt haben auch sie ein Denkmal erhalten.