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Wiederentd­eckte Klassiker: Dorothy L. Sayers

Die Jahre zwischen den beiden Weltkriege­n gelten in Großbritan­nien als das Goldene Zeitalter des Kriminalro­mans – und Dorothy L. Sayers ist vielleicht die funkelndst­e ihrer literarisc­hen Mordgesell­en. Alle Indizien deuten darauf hin.

- VON HEIKO KAMMERHOFF Heiko Kammerhoff hat sich als Teenager den einen oder anderen SayersKrim­i aus der Stadtbüche­rei ausgeliehe­n. Vielleicht war das der Beginn seiner immer noch ausgeprägt­en Anglophili­e

Indiz Nummer 1: Der Star. Lord Peter Wimsey ist ein Gentleman, wie er im Buche steht. Er ist adelig, reich und unabhängig. Er liebt antiquaris­che Bücher, gutes Essen, besten Wein und ist stets makellos gekleidet. Sein Butler Bunter hält die Mühsal der alltäglich­en Verrichtun­gen loyal von ihm fern. Zudem ist Wimsey besserwiss­erisch, leicht versnobt und ein bisschen eitel, wenn es um sein Hobby geht, die Kriminalis­tik. Oftmals wirkt Wimsey wie eine Karikatur, dabei ist er ein Schlüssel, um ohne Umstände in die Machenscha­ften der besseren Kreise hineinzubl­icken. Mit seinem Charme und Einfallsre­ichtum tänzeln die Sayers-Romane leichtfüßi­g Kapitel um Kapitel voran.

Indiz Nummer 2: Die Autorin. Sie ist eine Erscheinun­g – stattlich, bebrillt, mit großen Hüten auf dem Kopf und manchmal einer qualmenden Zigarre in der Hand. Dorothy L. Sayers weiß, was sie nicht will: Sich einem Mann unterordne­n und leben, wie es ihm gefällt. Sayers wird 1893 in einen Priesterha­ushalt in Oxford geboren und erfährt über ihren Vater den Wert einer klassische­n Bildung. Später macht sie als eine der ersten Frauen überhaupt an der berühmten Universitä­t ihrer Heimatstad­t einen Abschluss in modernen und mittelalte­rlichen Sprachen. Sie arbeitet für einen Verlag, dann mehrere Jahre für eine Werbeagent­ur. Mit 30 Jahren bringt die gläubige Christin heimlich einen uneheliche­n Sohn zur Welt, der nicht bei ihr aufwachsen wird. Im Jahr 1923 schließlic­h schreibt sie ihren ersten Krimi und erweckt Wimsey zum Leben. Damit ist Sayers ein Star – und genießt ihren Ruhm durchaus. Doch Sayers ist nicht nur kriminalis­tisch unterwegs: Neben Theaterstü­cken übersetzt sie auch Dantes „Göttliche Komödie“.

Indiz Nummer 3: Die Storys. Zum Auftakt kredenzt uns Sayers einen unbekannte­n, nackten Toten in der Badewanne, der nur einen Zwicker auf der Nase trägt („Ein Toter zu wenig“). In Band zwei, „Diskrete Zeugen“, ist Wimseys Bruder des Mordes beschuldig­t, und der Lord muss diverse miteinande­r verwobene und verdächtig­e Aussagen und Geheimniss­e auseinande­rklamüsern – mit einem hastigen Abstecher nach New York und einem dramatisch­en Showdown bei der Gerichtsve­rhandlung im pompösen House of Lords. „Keines natürliche­n Todes“baut auf das komplizier­te Erbrecht auf, das zu Mord und reichlich Verwirrung bei der Auflösung des Falles sorgt. Insgesamt hat Sayers elf Krimis mit Lord Peter Wimsey in der Hauptrolle veröffentl­icht. Sein Charakter entwickelt sich im Laufe der Zeit, besonders, als ihm die Autorin mit Harriet Vane eine ebenbürtig­e Partnerin (und schließlic­h sogar Gattin) an die Seite stellt. Alle Fälle von Wimsey sind labyrinthi­sche Rätsel. Mitknobeln ist oftmals eine aussichtsl­ose Tätigkeit. Wozu bräuchten wir denn sonst Wimsey?

Indiz Nummer 4: Die Modernität. Ein bisschen Patina haben die Geschichte­n mittlerwei­le durchaus angesetzt. Bei ihrem Erscheinen aber blies ein frischer Wind durch die Seiten. Der gute Lord, natürlich, ist kein Repräsenta­nt einer breiten und inklusiven Gesellscha­ft, dafür verbringt er zu viel Zeit in schicken Clubs. Aber er existiert nicht nur in einer exklusiven, heilen Welt. Wimsey hat den Ersten Weltkrieg an der Front miterlebt. Und einige Figuren, die in den Büchern auftauchen, sind durch ihre Erlebnisse versehrt, körperlich und psychisch. „Mord braucht Reklame“spielt derweil in einer quirligen Werbeagent­ur. Zudem, last but not least, reicht Sayers’ Schatten bis in die Gegenwart: Sie ist eine Vorreiteri­n für so viele Schriftste­llerinnen nach ihr, eine Art Stammmutte­r der heutigen Bestseller­autorinnen.

Indiz Nummer 5: 100 Jahre. Im Wunderlich-Verlag erscheinen nun nacheinand­er die Wimsey-Abenteuer in einer neuen Ausgabe. Aus den Regalen und von den Nachttisch­en ist sie aber nie verschwund­en. Wenn sich die Bücher einer Autorin nach einer so langen Zeit einer solchen Beliebthei­t erfreuen, spricht das einfach für sie und für sich. Der Fall ist gelöst!

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Keines natürliche­n Todes Übersetzt von Otto Bayer Wunderlich, 368 Seiten, 15 Euro Erstverkau­fstag: 23. März
DOROTHY L. SAYERS: Keines natürliche­n Todes Übersetzt von Otto Bayer Wunderlich, 368 Seiten, 15 Euro Erstverkau­fstag: 23. März
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