Gabriele von Arnim Das Leben ist ein
vorübergehender Zustand (Buch/Hörbuch)
Sie hatte ihrem Mann mitgeteilt, sich von ihm zu trennen. Als er kurz darauf einen Schlaganfall erleidet und zehn Tage später den zweiten, entscheidet sich Gabriele von Arnim, an seiner Seite zu bleiben, zehn Jahre lang bis zu seinem Tod.
Die Autorin sitzt vor ihrem Laptop am Schreibtisch. Im Hintergrund sind die weißen Balken ihrer Berliner Dachwohnung zu sehen. Dort hat sie „Das Leben ist ein vorübergehender Zustand“geschrieben, ein kluges und aufwühlendes Buch, das bis an die Schmerzgrenze geht. Auf meine Frage, warum sie ihren Mann, den ehemaligen Fernsehjournalisten Martin Schulze, nicht beim Namen nenne, sogar ihre Widmung lautet nur: „für ihn“, erwidert die Autorin: „Weil es mir nicht um ihn und mich ging, sondern wie es ist, mit einer Krankheit zu leben.“
Frau von Arnim, 2004 erlitt Ihr Mann zwei schwere Schlaganfälle, die ihn aus allem herauskatapultierten, was er bis dahin gelebt hatte. Sie haben ihm Ihr Buch gewidmet – das jetzt sieben Jahre nach seinem Tod erscheint. Wann war Ihnen klar, dass Sie es schreiben würden?
Schreiben über unsere Geschichte wollte ich von Anfang an. Während der zehnjährigen Zeit habe ich immer Tagebuch geschrieben, es war die einzige Zeit, in der ich ein bisschen ruhiger war, weil ich eine Distanz herstellen konnte zwischen der Wirklichkeit und mir, einen Wall aus Worten und Sätzen, der sich zwischen das schob, was gerade passierte und mir. Weil die Angst weniger wurde, während ich schrieb.
Sie haben Ihre Tagebücher, die Sie geschrieben haben, binden lassen. Brauchten Sie Mut, um sie wieder zu lesen? Ich zitiere: „Es tut weh, sich wieder hineinzufühlen in die Zeit. Der alte Schmerz kommt zurück.“
Ja, ich hatte große Angst, wieder hineinzuschauen, mich wieder hineinzufühlen in die Not. Es waren drei sehr dicke Bände. Und dann gab es Dutzende von kleinen Notizheften, von Schreibheften, von Zetteln. Nach dem Lesen und Notieren von Tagebuchsätzen, die ich vielleicht verwenden wollte, habe ich das Manuskript lange liegen lassen. Es hat gedauert, bis beim Schreiben das Handwerk wieder wichtiger wurde als der Schmerz. Ich hatte schon einmal, wenige Jahre nach seinem Tod, angefangen zu schreiben. Und habe nach 60, vielleicht 70 Seiten das Manuskript mutlos beiseitegelegt. Ich war noch nicht so weit. Ich brauchte mehr Distanz, vor allem mehr innere Freiheit. Musste erst mehr bei mir sein, bevor ich über uns schreiben konnte. Ich wollte kein selbsttherapeutisches Buch schreiben. Meist lese ich so etwas nicht gern und warum dann selbst so etwas herauspusten?
„Wie liebt und hütet man einen Mann“, so fragen Sie sich selbst, „der an dem Tag zusammenbricht, an dem man ihm gesagt hat, man könne nicht mehr leben mit ihm?“Sie wollten sich ja trennen, wie haben Sie wieder zueinandergefunden?
Manchmal wundert man sich ja über sich selbst, über die Kraft, die man entwickelt, wenn man gefordert wird. Und über die Entwicklung ungeahnter Gefühle. Ich hätte es einfach unethisch gefunden, einen so kranken Mann zu verlassen. Aber ich wollte ihn auch nicht verlassen. Denn es entstand in dem ganzen Elend auch etwas Neues zwischen uns, eine Innigkeit, die wir schon lange nicht mehr gelebt hatten. Wenn jemand, den man einmal geliebt hat, todkrank ist, werden alte Verbindungen wieder elektrisiert. Es fließt wieder Strom zwischen den beiden Menschen. Liebe muss sein, stand in meinem Tagebuch. Denn wie soll man jemanden umhegen und pflegen, wenn man nicht liebt? Und wie soll der Kranke die Zumutung, die er ist und die Zuwendung, die er braucht, ertragen, ohne zu lieben. Wieder zu lieben, war vielleicht auch eine bewusste Entscheidung, auf jeden Fall war es eine unvermutete Entwicklung.
Nach dem ersten Schlaganfall kam zehn Tage später der zweite. „Gefangen. Zerstört. Eingesperrt.“So beschreiben Sie seinen Zustand, denn er konnte nicht mehr verständlich sprechen, er konnte nicht lesen. „Er brauchte ständige Aufmerksamkeit, Pflege, Therapien. Er musste gewaschen und gesalbt, an- und ausgezogen, in den Rollstuhl gesetzt und unterhalten werden.“Was hat Ihnen Kraft gegeben?
Das waren andere Menschen – und ich musste immer wieder aufpassen, sie nicht zu überfordern. Und Momente der Ruhe, die man sich klaut und die nur einem selber gehören. In denen man den Kranken für eine kleine Weile rabiat aussperrt und nur mit sich ist. Das muss man üben. Es ist unglaublich schwierig. Und fühlt sich unverschämt selbstsüchtig an. Aber man muss ja Kraft tanken – und Krankheit zu leben, erfordert sehr, sehr viel Kraft. Und für mich war es die Arbeit. Das Lesen, die Literatur, das Schreiben.