Die Erkrankung meiner Mutter hat mich mitgerissen“
MARCO SCHREYL, 50
Keiner ahnte, womit er zu kämpfen hatte, während Marco Schreyl, 50, mit scheinbar ansteckend guter Laune TVund Radio-Shows moderierte. Tapfer lächelte er fast zehn Jahre lang seinen Schmerz weg. In seinem Buch „Alles gut? Das meiste schon“offenbart er jetzt: 2015 erhielt seine Mutter Petra die Diagnose Chorea Huntington. Auf ihren Wunsch verschwieg Schreyl ihren Leidensweg und litt selbst still, bekam deswegen sogar Gürtelrose. „So gerne hätte ich sie dahin gebracht, wo ihr – und mir – geholfen werden kann. Die Erkrankung hat mich mitgerissen. Das Telefon klingelte nachts um drei Uhr und Mutter hatte einen gemeinen Schub, schrie mich an, schimpfte über andere. Und ich war hellwach. Das hat aber am nächsten Tag keinen interessiert. Eine schwierige Situation, die mich zerrissen hat“, erzählt er. Die Krankheit veränderte ihr Wesen, Schreyl beschreibt es als „unkontrollierten, rasenden Zug ohne Lokführer“. Chorea Huntington ist unheilbar. „Ich konnte nur schwer verstehen, dass das die Erkrankung ist und nicht meine Mutter, wenn sie ins Telefon brüllte, ich wäre besser nicht auf dieser Welt und dass Vater ein böser Mensch sei.“Experten rieten ihm gar zu gehen, doch er blieb, stand seiner Mama bei – sofern sie ihn denn ließ. Und solange seine Kräfte mitspielten. „Ich musste mich auch mal einige Monate von ihr verabschieden. Es tut mir im Nachhinein wirklich sehr leid, aber das brauchte ich, um mich selbst herauszuhieven.“Petra Schreyl ließ bald niemanden mehr an sich heran, von Betreuungsbehörden und Ärzten fühlte sich Marco Schreyl im Stich gelassen. 2021 starb sie mit nur 65 Jahren. Mit seinem Buch verarbeitet er nicht nur den Tod seiner Eltern – sein geliebter Vater Michael starb 2017 mit 63 Jahren an einer erblichen Herzerkrankung –, er möchte auch aufmerksam machen auf Vorsorge, Sensibilität für unser Gegenüber und Missstände im deutschen Gesundheitssystem. Nach dem Tod seines Vaters ging er sofort zur Herzvorsorge: „Da bin ich auf der sicheren Seite.“Doch ob auch er das Chorea-Huntington-Gen in sich trägt, will er (noch) nicht wissen – die Chance liegt bei 50 Prozent. „Daran kann ich ja nichts ändern. Das ist eine genetische Konstellation, bei der ich nur erfahren würde: Bin ich betroffen und wird es mich mies dahinraffen? Oder bin ich es nicht und mein Leben wird so weitergehen?“Auf Symptome achtet er aber penibel: „Natürlich frage ich mich bei einem Zucken oder wenn das Gleichgewicht beim Schuheanziehen kurz aussetzt. Oder wenn ich mich ständig räuspern muss – Erkrankten fällt Schlucken irgendwann schwer.“Zudem haben sie Probleme mit kognitiven Fähigkeiten, die Gliedmaßen schlagen unkontrolliert aus. „Solange ich nicht weiß, dass ich die Erkrankung habe, gehe ich fest vom Gegenteil aus. Was nicht heißt, dass ich es nicht irgendwann wissen möchte.“Würde bestätigt, dass er diese Disposition nicht hat, wäre das befreiend für ihn:
„Vielleicht ist mir dieses Gefühl irgendwann wichtig.“Bis dahin versucht er vor allem eines: das Leben so zu genießen, als könnte es morgen vorbei sein.