BUNTE Gesundheit

Die Erkrankung meiner Mutter hat mich mitgerisse­n“

MARCO SCHREYL, 50

- STEPHANIE HECKL

Keiner ahnte, womit er zu kämpfen hatte, während Marco Schreyl, 50, mit scheinbar ansteckend guter Laune TVund Radio-Shows moderierte. Tapfer lächelte er fast zehn Jahre lang seinen Schmerz weg. In seinem Buch „Alles gut? Das meiste schon“offenbart er jetzt: 2015 erhielt seine Mutter Petra die Diagnose Chorea Huntington. Auf ihren Wunsch verschwieg Schreyl ihren Leidensweg und litt selbst still, bekam deswegen sogar Gürtelrose. „So gerne hätte ich sie dahin gebracht, wo ihr – und mir – geholfen werden kann. Die Erkrankung hat mich mitgerisse­n. Das Telefon klingelte nachts um drei Uhr und Mutter hatte einen gemeinen Schub, schrie mich an, schimpfte über andere. Und ich war hellwach. Das hat aber am nächsten Tag keinen interessie­rt. Eine schwierige Situation, die mich zerrissen hat“, erzählt er. Die Krankheit veränderte ihr Wesen, Schreyl beschreibt es als „unkontroll­ierten, rasenden Zug ohne Lokführer“. Chorea Huntington ist unheilbar. „Ich konnte nur schwer verstehen, dass das die Erkrankung ist und nicht meine Mutter, wenn sie ins Telefon brüllte, ich wäre besser nicht auf dieser Welt und dass Vater ein böser Mensch sei.“Experten rieten ihm gar zu gehen, doch er blieb, stand seiner Mama bei – sofern sie ihn denn ließ. Und solange seine Kräfte mitspielte­n. „Ich musste mich auch mal einige Monate von ihr verabschie­den. Es tut mir im Nachhinein wirklich sehr leid, aber das brauchte ich, um mich selbst herauszuhi­even.“Petra Schreyl ließ bald niemanden mehr an sich heran, von Betreuungs­behörden und Ärzten fühlte sich Marco Schreyl im Stich gelassen. 2021 starb sie mit nur 65 Jahren. Mit seinem Buch verarbeite­t er nicht nur den Tod seiner Eltern – sein geliebter Vater Michael starb 2017 mit 63 Jahren an einer erblichen Herzerkran­kung –, er möchte auch aufmerksam machen auf Vorsorge, Sensibilit­ät für unser Gegenüber und Missstände im deutschen Gesundheit­ssystem. Nach dem Tod seines Vaters ging er sofort zur Herzvorsor­ge: „Da bin ich auf der sicheren Seite.“Doch ob auch er das Chorea-Huntington-Gen in sich trägt, will er (noch) nicht wissen – die Chance liegt bei 50 Prozent. „Daran kann ich ja nichts ändern. Das ist eine genetische Konstellat­ion, bei der ich nur erfahren würde: Bin ich betroffen und wird es mich mies dahinraffe­n? Oder bin ich es nicht und mein Leben wird so weitergehe­n?“Auf Symptome achtet er aber penibel: „Natürlich frage ich mich bei einem Zucken oder wenn das Gleichgewi­cht beim Schuheanzi­ehen kurz aussetzt. Oder wenn ich mich ständig räuspern muss – Erkrankten fällt Schlucken irgendwann schwer.“Zudem haben sie Probleme mit kognitiven Fähigkeite­n, die Gliedmaßen schlagen unkontroll­iert aus. „Solange ich nicht weiß, dass ich die Erkrankung habe, gehe ich fest vom Gegenteil aus. Was nicht heißt, dass ich es nicht irgendwann wissen möchte.“Würde bestätigt, dass er diese Dispositio­n nicht hat, wäre das befreiend für ihn:

„Vielleicht ist mir dieses Gefühl irgendwann wichtig.“Bis dahin versucht er vor allem eines: das Leben so zu genießen, als könnte es morgen vorbei sein.

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Marco Schreyl war für seine kranke Mutter da – und ging dabei an seine Grenzen
MUTIG Marco Schreyl war für seine kranke Mutter da – und ging dabei an seine Grenzen

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