Der hohe Preis für ein Lebenswerk
Ein liebender Vater hat einmal seine Tochter gefragt, was sie sich am meisten wünscht. „Ich möchte gern herausfinden, was mein verborgenes Talent ist“, antwortete das Mädchen, „ich möchte gern etwas Besonderes leisten und ich möchte, dass die Menschen an mir Freude haben“.
Wir wissen nicht, ob Helmut Kohl von seinen Eltern eine solche Frage gestellt bekam. Wir wissen aber, dass er ein besonderes Talent hatte. Und wir alle wissen, was er Besonderes geleistet hat.
Helmut Kohl war überwältigend willensstark. Helmut Kohl war visionär. Und er stand immer wieder auf, wenn er auf seinem Weg einmal stürzte. Ihm gelangen Dinge, die selbst der größte Optimist nicht für möglich gehalten hätte: Er einte ein konkurrierendes Europa. Und er führte ein geteiltes Deutschland wieder zusammen. Millionen Menschen – durch Mauer, Stacheldraht und vernagelte Politiker voneinander getrennt – leben heute wieder Seite an Seite. Dies ist mittlerweile so alltäglich, dass man fast schon vergessen hat, dass es einmal anders war. Millionen Familien verdanken es Helmut Kohl, dass sie heute gemeinsam Weih nachten feiern, wo sie früher nur über ein Westpaket Kontakt miteinander hatten.
Doch der Preis, den Helmut Kohl für dieses Glück zahlte, ist immens. Das, was er anderen geben konnte, war ihm selbst nicht vergönnt.
Wie so viele hart arbeitende Menschen fand er kein Gleichgewicht zwischen seiner politischen Aufgabe – der Familie Deutschland – und der eigenen Familie – der Familie Kohl. Seiner eigenen Familie konnte er nicht die Aufmerksamkeit, Liebe und Hingabe schenken, die er seinem Land und Europa schenkte. Es spielten sich bei ihm privat Tragödien und Schicksale ab, vor denen Helmut Kohl gern jeden in seinem Land beschützt hätte. Und – das ist so unfassbar traurig – Helmut Kohl hatte keinen Kontakt zu seinen Enkelkindern! Zu tief der Graben zwischen ihm und seiner zweiten Frau auf der einen Seite und seinen beiden Söhnen auf der anderen. Vielleicht reißt Helmut Kohls Tod diese familiäre Mauer ein. Doch eines lässt sich nicht mehr rückgängig machen: Von ihrem Opa werden diese Enkelkinder nicht mehr die Frage aller Fragen hören: „Was ist dein größter Wunsch?“
Alles geben Götter, die unendlichen, Ihren Lieblingen ganz, Alle Freuden, die unendlichen, Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz.