Was wir alle Helmut Kohl VERDANKEN
ROLAND KOCH Der frühere hessische Ministerpräsident und Ex-CDU-Politiker würdigt exklusiv in BUNTE die Lebensleistung seines einstigen Ziehvaters Helmut Kohl
Dies ist eine großartige Geschichte. Wie kein Zweiter hat Helmut Kohl geprägt, wie unser Land und unser europäischer Kontinent in das 21. Jahrhundert gestartet sind.
Es ist zugleich aber auch in den letzten Jahren eine schmerzvolle Geschichte gewesen. Wie oft wird vielen von uns in kritischen Situationen oder an schwierigen Wegmarken durch den Kopf gegangen sein, was Helmut Kohl wohl sagen würde oder getan hätte. Und er hätte sicher vieles beitragen können und wollen, doch er hatte leider die Macht des gesprochenen Wortes verloren.
Zugleich hörte er aber mit spürbarem Stolz zu, wenn seine Frau Maike seinen Gefühlen und Gedanken eine Stimme gab.
Ich lernte Helmut Kohl Ende der 70erJahre kennen. Er interessierte sich für den damals mit 21 Jahren jüngsten Kreisvorsitzenden seiner Partei. Es begann ein nicht endendes Miteinander des vertrauensvollen gemeinsamen Arbeitens und der Freundschaft. In all den Begegnungen kam er stets schnell zu den großen Linien, den historischen Zusammenhängen. Die Kleinigkeiten des tagespolitischen Streites wusste er zu bewältigen und zu nutzen, die Sorgen der Einzelnen interessierten ihn, aber er ordnete alle Vorgänge ein in das Bild der historischen Entwicklung, wie er sie sah, wie er sie mitgestalten wollte.
Kohl vertraute MENSCHEN – das war sein Erfolgsgeheimnis
Kohl sah in dem Verlust der Regierungsmehrheit der Union 1969 das Ende der alten CDU. Er wartete mit Ungeduld, sie von der behäbigen Nachkriegspartei zur modernen Volkspartei umzugestalten. Er suchte starke Helfer und fand sie mit Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler. Nach den Wellen der 68erGeneration führte er Deutschland in den Achtzigerjahren zurück zu bürgerlichen Mehrheiten.
Zu meinen prägenden Erlebnissen gehören bis heute die nächtelangen Diskussionen des Bundesvorstandes der Jungen Union mit Helmut Kohl im Bonner Kanzlerbungalow. Natürlich starteten wir mit Tagespolitik, aber sehr schnell zog er uns mit seiner Vision des freien und geeinten Europa in seinen Bann.
Umrahmt von den ihn prägenden Kriegserinnerungen entwarf er vor seinem und unser aller geistigem Auge ein neues friedliches Europa ohne Grenzen, mit einer Währung und mit einer gemeinsamen internationalen Verantwortung. Er schwärmte von dieser Vision und sprach doch zugleich über ganz praktische Schritte, über europäische Räte und die Partner, die er in Europa fand.
Dieses Fundament erblühte in der Nacht, als die Mauer fiel. Helmut Kohl erkannte sofort, dass seine Träume jetzt und nur jetzt in dieser einmaligen Situation wahr werden konnten. Die Skizze Deutschlands und Europas war längst fertig, als er den Mantel der Geschichte mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit ergriff und seine Linien Wirklichkeit werden ließ.
Visionen ohne handwerkliche Umsetzung wären Schall und Rauch.
Kohl war ein begnadeter politischer Führer. Er versammelte starke Köpfe um sich, ließ auch uns als junge Generation sich entwickeln, aber er sicherte immer zugleich seine Position, scheute dafür kaum einen sachlichen oder personellen Konflikt.
Er war gelegentlich schon sehr früh morgens am Telefon, wenn er wissen wollte, was gerade vorging, er hörte zu, aber er knallte auch den Hörer auf – um später weiterzureden. Spätestens in den Tagen der Wiedervereinigung erwies sich, dass Kohls Weg, Menschen zu vertrauen und selbst unbedingte Zuverlässigkeit zu leben, der wahre Grund seines Erfolges war.
Sicher hat genau diese Art von Treue das schwierigste Kapitel seiner Bilanz mit geschrieben. Er verstieß gegen die Regeln der Parteienfinanzierung und zahlte lieber dafür, als sein wohl leichtfertig gegebenes Wort zu brechen. So schwer dieser Fehler auf ihm lastete, in seiner historischen Bilanz wird er ohne Bedeutung sein.
„Wir brauchen wieder die Tugenden der Klugheit, des Mutes und des Maßes für die Zukunft unseres Landes.“Diesen Satz formulierte Helmut Kohl in seiner ersten Regierungserklärung als Bundeskanzler 1982 im Deutschen Bundestag. Danach hat er gelebt. Ein großer Christdemokrat, ein großer Deutscher und Europäer ist von uns gegangen.
Seine Partei, die Menschen im vereinten Deutschland und im vereinten Europa haben ihm viel zu verdanken!
KOHL KNALLTE AUCH DEN HÖRER AUF – UM SPÄTER WEITERZUREDEN