Eine HEILE Welt mit tiefen RISSEN
HANNELORE KOHL Sie war liebevolle Mutter und Kanzlerfrau. Doch am Ende erlosch ihr Lebensmut …
Helmut Kohl und seine Hannelore. Der Kanzler der Einheit und diese blonde, zierliche Frau mit den klugen Augen – über Jahrzehnte war dies das Bild, das die Deutschen in ihren Köpfen trugen. Entweder sah man den Politiker im Kreise von Männern: Gleichgesinnte aus seiner Partei oder andere Mächtige der Welt. Nur zu besonderen Anlässen begleitete ihn seine Frau. Hannelore Kohl galt als die „diplomatische Geheimwaffe“des Kanzlers. Sie war sein emotionales Band in die Welt außerhalb von Macht und Intrigen. Ihre Auftritte verliehen jedem Ereignis – und auch dem Kanzler selbst – Eleganz und Warmherzigkeit. Ohne sie, so hat es Helmut Kohl oft betont, wäre seine große Karriere nicht möglich gewesen. Und auch die beiden Söhne Walter und Peter sehen ihre Mutter als „das wichtige Korrektiv“im Leben ihres Vaters. „Sie gab ihm Halt, war seine Ratgeberin, denn ihre Empfehlungen hingen nie an ideologischen Interessen. Sie war seine menschliche Seite, seine Intuition, seine emotionale Brücke in die Welt.“Mit diesen Worten beschrieb Peter Kohl in einem BUNTE-Interview im Jahr 2013 den Einfluss seiner Mutter auf den Vater.
Als sich Helmut Kohl und Hannelore ineinander verlieben, ist er 18 Jahre alt, sie 15. Ihm fiel die modebewusste, „kesse Person“beim Tanztee im Gasthaus „Zum Weinberg“in Ludwigshafen auf. Johanna Klara Eleonore Renner – so ihr Geburtsname – war mit ihren Eltern aus Leipzig geflohen, nachdem die Russen die Heimatstadt eingenommen hatten. Die Tochter aus gutem Hause und der groß gewachsene, dunkelhaarige Helmut galten bald als unzertrennlich.
Als das Paar im Juni 1960 zum Traualtar schreitet, heiratet Hannelore einen jungen CDU-Landtagsabgeordneten mit Kar-
Krank und einsam: Hannelore hatte ihren LEBENSMUT verloren
riereträumen und Ehrgeiz. „Wenn ich die Bilder aus den 50er-Jahren betrachte, sehe ich einen jungen, dynamischen Helmut Kohl und daneben meine strahlende Mutter. Man spürt die ungeheure Energie und Liebe: Gemeinsam wollen sie die Welt erobern. Ich glaube, sie haben sich im tiefsten Herzen geliebt“, sagte Peter Kohl.
Die Welt schien heil und geordnet, dennoch hatte es Hannelore Kohl nicht immer leicht: Nach dem frühen Tod ihres Vaters musste sie ihr Sprachstudium abbrechen und lernte Fremdsprachenkorrespondentin, dann Heirat, zwei Kinder, 1963 und 1965 geboren, und einen Mann, der die Politik oft über die Familie stellte. Wäh rend er Erfolge feierte und seinen Machtapparat aufbaute, saß sie allein zu Hause, organisierte Kinder und Alltag und wartete geduldig, bis der Gatte irgendwann „wie ein Gast“auftauchte – so wie es viele Frauen dieser Generation getan haben.
Helmut Kohl war kein Mann, der eine Frau mit Rosen und Liebesschwüren verwöhnte. Er war auch kein Vater, der mit seinen Söhnen herumtollte oder am Lagerfeuer grillte. Die Politik prägte auch das private Leben: pausenlose Erreichbarkeit, ständig Besucher, Termine am Wochenende. „Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass die öffentliche Tätigkeit meines Vaters bis in die letzten Bereiche des Privatlebens der Familie Kohl spürbar war“, schreibt Sohn Walter in seinem Buch „Leben oder gelebt werden“. Und manchmal wirkte es sogar, als instrumentalisiere der Politiker seine Familie für den Aufstieg. So erschienen jeden Sommer idyllische Fotos aus dem Urlaub: Hannelore, im weißen Sommeranzug und mit Strohhut, füttert ein Rehkitz, Helmut trägt den roten Futtereimer. Andere Fotos zeigen die strahlenden Urlauber auf einem Steg am Wolfgangsee – das inszenierte Glück eines erfolgreichen Mannes und seiner Familie.
Helmut Kohl war der Boss, er erwartete Loyalität und reibungsloses Funktionieren – auch von seiner Frau, mit der er bis zu ihrem Tod im Juli 2001 eine skandalfreie Ehe führte. „Ich habe nur selten erlebt, dass meine Mutter einen Konflikt mit meinem Vater bis zum Ende austrug, instinktiv begab sie sich in die Rolle der Schwächeren“, erinnert sich Walter Kohl in seinem Buch. Je höher Helmut Kohl aufstieg in Anerkennung, Ruhm, Würde und Unantastbarkeit, desto mehr wuchs der „innere Schmerz“seiner Frau. „Wenn ich alles richtig mache, wird alles gut“, so ihr jahrelanges Credo. Doch irgendwann versiegte wohl ihr Lebensmut. Sie litt an Lichtallergie, einer seltenen Krankheit, die sie zwang, den Tag zu meiden. Der Kanzlerbungalow, in den sie sich zurückgezogen hatte, erschien wie eine düstere Burg um ihre Einsamkeit. Die heruntergelassenen Jalousien verdunkelten das Innere. Nachts ging Hannelore Kohl manchmal allein spazieren.
In der Nacht zum 5. Juli 2001 nimmt sich Hannelore Kohl das Leben. Die Qualen um ihre schmerzhafte Krankheit und die Schmach, die die CDUSpendenaffäre über den Namen Kohl brachte, hatten ihr offensichtlich Kräfte und Optimismus geraubt. In Abschiedsbriefen hinterließ die damals 68Jährige ihr Vermächtnis: „Vertragt Euch!“, gab sie ihren drei Männern mit auf den Weg. Ihr letzter Wunsch erfüllt sich nicht.
„VERTRAGT EUCH!“, SCHRIEB SIE AN IHREN MANN UND DIE SÖHNE