Ski-Held Thomas Dreßen
Die Tragödie hinter seinem Sieg in Kitzbühel
Ees war ein Schrei, den man in Kitzbühel nicht mehr vergessen wird. Ein Urschrei, ein Freudenschrei, ein Schicksalsschrei. „Gott, wie geil“, brüllte Thomas Dreßen, 24, als er im Zielraum des berühmtesten Skirennens der Welt realisierte, dass er die Bestzeit auf der Streif hingelegt hatte. Danach kniete sich Deutschlands neuer Skistar in den Schnee. Ein intimer Moment vor 20000 Zuschauern, der ihm ganz allein gehörte. Er blickte in den Himmel, dahin, wo er seinen Vater Dirk vermutete, der ihn zum Skifahren auf höchstem Niveau gebracht hatte und den Triumph seines Sohns nicht mehr erleben konnte. Dirk Dreßen war am 5. September 2005 bei einem Seilbahnunglück in Sölden gestorben. Es ist die große Familientragödie im Leben von Thomas Dreßen, aber er hat aus
einer Wunde ein Wunder gemacht. Das Wunder von Kitzbühel.
Bei dem Thomas Dreßen übernatürliche Kräfte im Spiel wähnte: „Wer weiß, vielleicht hat mir oben jemand zugeschaut und die Sonne ein bisschen mehr scheinen lassen“, so erklärt es sich der Sensationssieger. Der Himmel war kurz aufgerissen, gute Sicht entscheidet über die Zehntelsekunden Vorsprung, die am Ende den Sieg ausmachen. Mutter Martina umarmt ihren Sohn im Ziel. Auch sie glaubt an magische Mächte: „Mein Mann hat Thomas das Sonnenfenster geschickt.“
Familie Dreßen hat nie aufgegeben nach der Tragödie, die ihr Leben zerriss. Dirk Dreßen, Vater und erster Trainer von Thomas, gerade mal 35 Jahre alt, war in einer der Todesgondeln, die 2005 in Sölden abgestürzt waren, weil ein Hubschrauber einen 750 Kilo schweren Betonkübel verlor, der auf die Seilbahn fiel. In BUNTE hatte Martina Dreßen, die von einem Moment auf den anderen zur Witwe und alleinerziehenden Mutter von zwei Buben wurde, das Un glück so beschrieben: „Ich versuchte Dirk auf dem Handy anzurufen, immer wieder. Doch es klingelte durch. Ich spürte sofort, dass etwas passiert ist. Es zog mir den Boden unter den Füßen weg. Ich fing an zu schreien …“In der Dorfkirche von Sölden nahm sie Abschied von ihrer Jugendliebe, legte ihm ihre Kette und Ringe in den Sarg: „Ich hatte das Gefühl, als würde er mich ansehen und mir eine riesige Last abnehmen. Ich spürte seine Kraft von oben. Wenn ich morgens aufwache, habe ich nicht das Gefühl, dass er gegangen ist. Das Einzige, was mich tröstete, ist, dass wir jeden Tag bewusst erlebt haben. Uns war nicht viel Zeit gegeben, aber wir haben sie gemeinsam verbracht.“
Thomas Dreßen war damals elf Jahre alt und an der Skihauptschule im österreichischen Neustift, eine Idee seines Vaters, der den Sohn optimal fördern wollte. Der Lockenkopf wollte seinen Traum vom Skistar weiter leben. Seine Mutter half ihm. „Du hast keinen Druck, aber wenn du was machst, mache es gescheit“, meinte sie. Thomas Dreßen motivierte sich mit dem Gedenken an seinen Vater. „Ich habe weitergemacht, für ihn. Das war mein Ansporn. Ich weiß, dass er immer zuschaut, wenn ich
fahre“, davon ist er bis heute überzeugt. Auf seinen Helm ließ er die 44 gravieren, weil das D in Dirk Dreßen der vierte Buchstabe im Alphabet ist. Der Vater fährt so immer mit. Es ist Medizin für die Seele, für die Bewältigung des schmerzhaften Verlustes. Aber Thomas Dreßen, ein Mann wie ein Baum (100 Kilo), ist zugleich ein fröhlicher Naturbursche, der wegen seiner Schulzeit in Österreich Tiroler Dialekt spricht und das Leben genießt. Im österreichischen Scharnstein lebt er mit seiner Freundin Birgit, ab und zu cruist er auf seiner Harley. Deutlich langsamer als die 140 Stundenkilometer auf den Skiern. Dirk Dreßen hat auf so einer Maschine Ausflüge mit Thomas gemacht. Die wunderbaren Erlebnisse hat Thomas Dreßen gespeichert. Sportliche Niederlagen sind für ihn kein Drama, weil er die wahren Werte des Lebens kennt: Gesundheit. Familie. Liebe. „Im Vergleich dazu sind Weltcuprennen ein Kindergeburtstag. Ich weiß, wie schnell was passieren kann und dass du manches nicht in der Hand hast.“Diese brutale Erkenntnis trägt Thomas Dreßen durchs Leben. Mut und Demut, das sind seine Pole. Und das ist viel wichtiger, als sauber auf dem Außenski zu stehen.
Seit dem Verlust des Vaters sind SKIRENNEN für ihn „Kindergeburtstage“