Er mag die Ehe, aber er interpretiert sie freizügig
Vier tüchtige Töchter und dann gibt es noch Jakob Augstein, den Sohn, der plötzlich in Ihr Leben trat, aber eigentlich als Sohn von „Spiegel“-Verleger Rudolf Augstein galt. Bedeutete die Entdeckung damals Glücksfall oder Schock für Sie? Ich war 80, als ich Jakob kennenlernte, er schon fast 40. Das war spät, aber gerade noch rechtzeitig. Es gab immer Gerüchte, dass er mir ähnlich sieht, der geschwätzige Hellmuth Karasek hat die gern verbreitet. So genau wollte ich das nicht wissen, aber Jakob schrieb mir einen Brief, der mich sehr berührt hat: „Lieber Martin Walser, ich habe mit meiner Mutter jetzt geredet und ich finde, wir sollten uns einmal sehen. Es wäre schön, wenn Ihnen daran läge. Mir liegt daran.“Seine Mutter Maria, die mit Rudolf Augstein verheiratet war, hielt mich dann auf dem Laufenden über seine Entwicklung.
Wie wurde Jakob Augstein in Ihrer Familie empfangen? Überaus herzlich. Meine Frau Käthe hat sich wirklich gefreut, meine Töchter sowieso. Er ist ein gewinnender Bub und hat so schöne Bücher geschrieben.
Trotzdem hat er Ihnen vorgeworfen, die Kinder müssten emotional hinter den Eltern herräumen. Ja, diese Kritik muss ich annehmen, die durfte mir wehtun. Es ist sein Verdienst, dass wir uns in aller befreienden Wahrheit gefunden haben. Wir sind unser eigener Roman. Aber es lag an den damaligen bürgerlichen Umständen, dass er nicht bei uns aufwuchs. Dadurch hatten wir aber auch viele Konflikte nicht, die zwischen Vätern und Söhnen auftauchen.
Eine Gnade der späten Wahrheit, ein Happy End, weil heute alle Beteiligten glücklich sind und es nur Gewinner gibt? Das Wort „Gnade“schenke ich Ihnen. Jakob ist ein Geschenk. Je älter man wird, umso weniger geniert man sich.
Sie beklagen im neuen Roman die sexualisierte Welt, Bilder, die ständig auf Sie eindringen. Ja, die Wirtschaft beutet die weibliche Erscheinung aus. Wir sind von steilen Brüsten umgeben. Ein Bekannter meiner Romanfigur nennt diese Frauen „Anmacharmee“. Und dann, wenn er lichterloh brennt, stellt er fest, dass es die Brandstifterinnen nicht so gemeint haben wollen.
Das klingt nach der #metoo-Debatte. Wo stehen Sie da? Ich hatte glücklicherweise nie Macht, die ich hätte missbrauchen können. Ein Don Juan war ich nie. Meine Helden sind Verführte, nicht Verführer. Mein Held stolpert über einen unglücklichen Satz, so wie
der ehemalige FDP-Chef Rainer Brüderle, der an der Bar einer Journalistin ein Kompliment machen wollte.
Wie oft haben Sie den Vorwurf gehört, dass Sie altersgeil seien? Er ist wohlfeil, ich find ihn immer wieder absurd. Man soll sich als alternder Mensch offenbar schämen für etwas, das jungen Menschen durchaus erlaubt ist. Niemand kann mir den Unterschied zwischen der Geilheit eines 60-Jährigen und der eines 30-Jährigen erklären. Wenn ich dann erkläre, dass Goethe sich mit 72 in eine 19-Jährige verliebte, Schiller zwischen zwei Schwestern stand und Brecht viele Frauen hatte, werden viele ganz ruhig. Ich bin seit über 67 Jahren verheiratet.
Glücklich? Es steht irgendwo: Die Ehe ist eine Hölle, aber als Teufel ist man gern mit einem Engel verheiratet. An meiner Wand hängt ein Bild aus Texas, von Alissa gemalt, da waren meine Frau und ich schön schlank und jung, diesen Glücksmomenten fühle ich mich bis heute ausgeliefert. Und verpflichtet.
Haben Sie die Ehe als Lebensmodell jemals bereut? Sie hätten als gefeierter Literat viele Frauen haben können. Der Typ bin ich nicht. Je früher man heiratet, desto mehr wird die Ehe zum Schicksal. Scheidung kam für mich nicht infrage. Es kann von Frauen verlangt werden, dass sie den Unterschied erkennen zwischen Liebe auf Dauer und einem jähen Moment.
Gönnen Sie Frauen so eine freizügige Sichtweise auch? Ungern, aber ja, natürlich. Wegen der Kinder sind Frauen auf Dauerhaftigkeit angelegt, sie können absolut lieben. Männer haben oft mehrere Pubertäten, wie schon Goethe gewusst hat.
In der wievielten sind Sie? Ich habe nicht mitgezählt. Gut, dass ich mich hinter meinen Romanfiguren verstecken kann. Die erleben vieles stellvertretend für mich. Aber eines ist mir wichtig: Liebe als bloßer Sex ist nur Geschlechtsturnerei. Die Liebe der Körper ist nichts, wenn die Poesie fehlt.
Haben Sie Angst vor dem Tod? Ich habe Angst davor, dass meine Frau, sie ist 88 Jahre alt, vor mir stirbt, das wäre eine Katastrophe. Ohne Käthe hätte ich vieles nicht erreicht. Ich habe meine Unfreiheit nicht nur als Mangel empfunden. Käthe findet es schade, dass ich meine Texte jetzt dank der neuen Technik dem Computer diktieren kann, früher hat sie es gern abgeschrieben.
In Ihrem Buch sind Sie ein charmanter Lügner. Da schreiben Sie: „Was wäre ich lieber als ich? Alles andere als ich.“Ich habe aber das Gefühl, Sie sind ganz gern Martin Walser. Das stimmt nur so lange, als ich es nicht selbst sage.
SEINE GRÖSSTE ANGST: DASS SEINE FRAU KÄTHE VOR IHM STIRBT