Bunte Magazin

Maribel Todt: Vollwaise mit 15! Ein Unfall nahm ihr ihre Liebsten

- Stephanie Göttmann

An einem wunderschö­nen Sommertag bemächtigt­e sich das Grauen des Lebens von Maribel Todt. 15 Jahre alt war die Schülerin aus Bad Zwischenah­n (Niedersach­sen) und auf dem Weg ins Kino mit Freundinne­n, als sie im Juli 2016 eine letzte WhatsAppNa­chricht ihrer Mutter erhielt: Sie solle sich eine schöne Zeit machen, die Familie käme wohl erst am Abend zurück.

Doch Maribels Eltern, der renommiert­e Zahnarzt Ante Majic-Todt, seine Frau Beatrix sowie ihre Schwester Aurelia kamen nie zurück: Sie sind auf der Rückreise aus dem KroatienUr­laub, als sich auf der Autobahn 7 südlich von Kassel bei Guxhagen ein Stau bildet. Das Wohnmobil reiht sich hinten an. Wenige Sekunden später donnert nach Augenzeuge­nberichten nahezu ungebremst ein Lkw von hinten in das Fahrzeug. Vater († 53), Mutter († 53) und die 11jährige Tochter sind auf der Stelle tot. Auch die drei Hunde der Familie können nur noch leblos aus dem Trümmerfel­d geborgen werden. Die Autobahn wird über Stunden gesperrt bleiben.

Maribel war mit ihrer Familie im Sommerurla­ub gewesen, kehrte aber mit einer Jugendgrup­pe früher nach Hause zurück – auch weil sie Sehnsucht nach ihren Pferden hatte. Großmutter Beatrix Todt sen. war extra aus Mülheim an der Ruhr angereist, um auf ihre Enkelin aufzupasse­n. Sie war es, die am Abend, 300 Kilome ter vom Unfallort entfernt, den Polizisten die Tür öffnet: „Da standen vor mir fremde Leute und meinten, sie müssten uns etwas sagen. Ob ich zur Familie gehören würde“, erinnert sich die heute 84jährige elegante Dame an den dramatisch­en Unfalltag. „Ich erwiderte, ich sei die Mutter, meine Enkeltocht­er sei noch im Kino. Dann erzählten sie von dem Unfall und dass alle tot seien.“Wie in Trance habe sie den Abend verlebt.

Ein Seelsorger wartet, bis Maribel nach Hause kommt: „Als ich die Tür aufschloss und meine Oma da sitzen sah, neben meiner Tante und meinem Onkel, die auch angereist waren, und diesem anderen Mann, wusste ich sofort, dass irgendetwa­s nicht stimmt. Ihre Gesichter waren so leer“, schildert die heute 17Jährige die Ereignisse.

Von einer Sekunde auf die andere ist Maribel Vollwaise. „Ich habe das Wichtigste in meinem Leben verloren. Auf meine Eltern und meine kleine Schwester konnte ich mich immer verlassen. Aurelia und ich waren so eng, wir wollten später mal zusammenzi­ehen. Sie hatte in ihrem WhatsApp-Status stehen: ‚Meine Schwester ist meine beste Freundin.‘ Und so war es auch. Mein Vater sagte einmal zu mir: ‚Egal was ist, Bella: Mama und Papa sind immer für dich da.‘ Doch jetzt bin ich allein“, sagte sie beim Gespräch mit BUNTE.

Es ist das erste Mal seit dem Unfalltod ihrer Familie, dass Maribel über ihren schweren Verlust spricht. Ungeheuer tapfer und stark wirkt sie bei unserem Treffen, auch wenn sie hin und wieder mit den Tränen kämpfen muss.

Auf ihrer Instagram-Seite gibt sie immer wieder Einblicke in ihr Gefühlsleb­en. Hunderte wunderschö­ner Fotos von sich und ihren Pferden hat sie dort über die Jahre im Internet veröffentl­icht, über 160 000 User folgen ihren Beiträgen – manch ein Influencer kann von solchen Zahlen nur träumen.

Der Unfalltag am 12. Juli 2016 hat das Leben von Maribel Todt komplett auf den Kopf gestellt: Nur zwei Wochen später musste sie ihr Elternhaus und ihre Heimat verlassen, ihre Wurzeln und Freunde hinter sich lassen und zu ihrer Großmutter ins drei Autostunde­n entfernte Mülheim an der Ruhr ziehen. Die rüstige Dame hatte sich schon vor einigen Jahren auf Bitten ihrer Tochter und ihres Schwiegers­ohns bereit erklärt, „die Vormundsch­aft für die Kinder zu übernehmen, sollte den Eltern mal etwas zustoßen“, erinnert sich Beatrix Todt sen.

Es vergeht kein Tag, an dem Maribel nicht an ihre Eltern und ihren „kleinen Engel“Aurelia denkt. „Ich versuche, mich immer nur an schöne Dinge zu erinnern“, sagt sie. „Die furchtbare­n Erlebnisse wie die Beerdigung blende ich eher aus.“Ihre Eltern und ihre Schwester wurden nahe des Wohnorts der Großmutter beigesetzt. Bis heute schafft Maribel es nicht, regelmäßig auf den Friedhof zu gehen. „Zu wissen, dass da in der Erde ihre leblosen Körper liegen, das kann ich nicht ertragen. Meine Oma geht aber fast jeden Tag auf den Friedhof.“

Regelmäßig besucht sie eine Therapeuti­n und spricht auch mit einer Beraterin der Jugendbehö­rde, die helfen soll, sie auf ein Leben in der Selbststän­digkeit vorzuberei­ten. Heilt die Zeit alle Wunden? „Überhaupt nicht. Bei mir ist eher das Gegenteil der Fall“, erklärt Maribel Todt. „Eigentlich geht es mir eher von Tag zu Tag schlechter. Manchmal frage ich mich, wie ich mein Leben ohne die drei überhaupt zu Ende leben kann. Dass Gott sich die drei Besten ausgesucht hat und mich hier gelassen hat, ist so unfair“, sagt sie. „Manchmal denke ich, dass alles nur ein Traum oder ein böser Scherz ist und ich im Wohnzimmer sitze und alle drei reinkommen und alles wieder gut ist.“

Der 51-jährige tschechisc­he Fahrer des Unfall-Lkws musste sich Ende 2017 wegen fahrlässig­er Tötung vor Gericht verantwort­en: Fünf Monate vor dem Todes-Crash war er wegen Herzproble­men krankgesch­rieben worden. „Die Fahrt, in der er meine Kinder tötete, war seine erste seit seiner Krankschre­ibung“, sagt Beatrix Todt sen. Weder sie noch ihre Enkeltocht­er Maribel nahmen am Prozess teil.

Der Fahrer wurde freigespro­chen. Er hatte alle Lenk- und Pausenzeit­en eingehalte­n. Beatrix Todt sen. ist enttäuscht: „Für mich wäre seine Verurteilu­ng eine Genugtuung gewesen.“Ihre Enkelin zuckt mit den Schultern: „Mir war das egal. Das bringt mir meine Familie ja doch nicht zurück.“

ICH GEHE FAST NIE AUF DEN FRIEDHOF. ZU WISSEN, DASS DA IHRE LEBLOSEN KÖR‑ PER LIEGEN, KANN ICH NICHT ERTRAGEN „ICH HABE DAS WICHTIGSTE IN MEINEM LEBEN VERLOREN“

 ??  ?? RETTUNGSAN­KER Maribel Todt lebt nun bei ihrer 84-jährigen Großmutter Beatrix. Sie spenden sich gegenseiti­g Trost und Kraft. Vor ihnen liegen Fotos ihrer verstorben­en Familie
RETTUNGSAN­KER Maribel Todt lebt nun bei ihrer 84-jährigen Großmutter Beatrix. Sie spenden sich gegenseiti­g Trost und Kraft. Vor ihnen liegen Fotos ihrer verstorben­en Familie
 ??  ?? BILDERBUCH­FAMILIE Dieses Foto von Beatrix (l.), Ante und Aurelia Todt befindet sich auf ihrem Grabstein. Mutter Beatrix hatte einige Jahre zuvor eine schwere Brustkrebs­erkrankung überlebt
BILDERBUCH­FAMILIE Dieses Foto von Beatrix (l.), Ante und Aurelia Todt befindet sich auf ihrem Grabstein. Mutter Beatrix hatte einige Jahre zuvor eine schwere Brustkrebs­erkrankung überlebt
 ??  ?? UNFALLSTEL­LE AUF DER A7 In diesen Trümmern starb Familie Todt mit ihren drei Hunden. Alle waren sofort tot
UNFALLSTEL­LE AUF DER A7 In diesen Trümmern starb Familie Todt mit ihren drei Hunden. Alle waren sofort tot
 ??  ?? IHRE PFERDE SPENDEN IHR TROST Maribel Todt mit Lucky im Stall bei Mülheim an der Ruhr. Sie kümmert sich auch um drei weitere Pferde der Familie
IHRE PFERDE SPENDEN IHR TROST Maribel Todt mit Lucky im Stall bei Mülheim an der Ruhr. Sie kümmert sich auch um drei weitere Pferde der Familie
 ??  ?? „Lasst uns einen Platz in euren Herzen“steht in der Traueranze­ige für Beatrix Todt, ihren Mann Ante Majic-Todt und ihre Tochter Aurelia
„Lasst uns einen Platz in euren Herzen“steht in der Traueranze­ige für Beatrix Todt, ihren Mann Ante Majic-Todt und ihre Tochter Aurelia

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