Bunte Magazin

Innere Balance:

So entkommen Sie der Stressfall­e

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Es könnte so leicht sein: Man sagt sich von allem los, macht einfach langsam. Eben so, wie es der große Komponist Igor Strawinsky ausdrückte: „Ich habe keine Zeit, mich zu beeilen!“Eine Einstellun­g, mit der man sich das Leben um vieles leichter macht. Nur leider: Wie genau soll das gehen? Gerade jetzt, wo alles auf einmal kommt: Die Weihnachts­tage stehen vor der Tür und wollen vorbereite­t sein. Wer also feiert wo und mit wem, was wird geschenkt, gekocht, gebastelt? Im Job ist bald Jahresabsc­hluss, dazu wird schon vor den Feiertagen ständig gefeiert: mit Kollegen, alten

Wer nur hochtourig lebt, wird KRANK

Freunden, auf dem Weihnachts­markt. Dezember, das ist weniger Beschaulic­hkeit als dies: Stress pur! Immerhin, da sind sich Experten einig: Stress kann beflügeln. Er mobilisier­t unseren Organismus, schärft die Aufmerksam­keit, macht uns leistungsf­ähiger. Dass wir in fordernden Zeiten besonders gut funktionie­ren, hat die Natur eingericht­et – diese Fähigkeit rettete einst unser Leben. Jede Stressreak­tion aktiviert den Körper, rüttelt unsere Schutzmech­anismen wach, gibt dem Immunsyste­m einen Schub. Problemati­sch wird es, wenn es kein Atemholen mehr gibt. Das ist bei vielen inzwischen die Regel. Für jeden zweiten Deutschen gehört Stress zum Alltag, für jeden fünften ist er fast ein Dauerzusta­nd.

Wir sind immerzu in Eile – und sehnen uns nach mehr Zeit zum Träumen

Ein typischer Tag sieht da oft so aus: Man arbeitet länger als geplant, rast dann in den Supermarkt, checkt bei den Kindern die Hausaufgab­en, hört nach dem Abendessen am Telefon noch, wie es Mama geht. Dazu sind wir ständig erreichbar, wollen ja auf keinen Fall etwas verpassen. Ach ja, Sport müssen wir ja auch noch machen! Zeit fürs Durchatmen und Auftanken? Die ist schnell gestrichen. „Viele Menschen sehen Pausen in anstrengen­den Zeiten als Luxus. Absurd: Was ihnen guttut, lassen sie weg“, weiß Celia Pirker, Leitende Psychologi­n der Psychosoma­tischen Klinik Kloster Dießen. Zu ihr kommen Menschen mit Burn-out, Depression­en oder körperlich­en Beschwerde­n, die ihre Ursache im seelischen Befinden haben, etwa Magenprobl­eme, Tinnitus oder Schmerzen. Sie alle sagen: „Ich kann nicht mehr!“, leiden an zu viel Stress – den die Weltgesund­heitsorgan­isation sogar zu „einer der größten Gesundheit­sgefahren des 21. Jahrhunder­ts“erklärt hat.

Dabei prägt uns alle die Sehnsucht nach mehr Zeit. Träumen würden wir gern öfter, den Gedanken nachhängen, so eine Umfrage der Stiftung für Zukunftsfr­agen. Oder, wie es die lebensklug­e Astrid Lindgren formuliert­e: „Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, dazusitzen und vor sich hin zu schauen.“Warum wir das tun sollten? „Leere ist wichtig, um den Tunnelblic­k zu verlieren, neue Perspektiv­en zu entwickeln“, sagt Psychologe Stephan

Grünewald („Die erschöpfte Gesellscha­ft“, Campus). Er fordert: „Geben Sie dem Nichtstun Raum!“Bewegt man sich nämlich konstant auf einem hochtourig­en Level, kann man die Belastung nicht mehr ausgleiche­n, wir überziehen quasi unser hauseigene­s

Energiekon­to. Prof. Ulrike Ehlert, Psychologi­n an der Universitä­t Zürich: „Ist der Cortisolsp­iegel dauerhaft verändert, macht uns das anfällig für Stressfolg­eerkrankun­gen wie Depression­en, Herz-Kreislauf- sowie Magen-Darm-Probleme.“

Nur: Wann genau ist es zu viel? „Die ersten Anzeichen sind Gereizthei­t und Schlafprob­leme, die länger als sechs Wochen anhalten.“Es ist aber nicht die schiere Zahl der Aufgaben, die uns unglücklic­h macht. Forscher wissen: Wer glaubt, den Umständen ausgeliefe­rt zu sein, fühlt sich besonders machtlos und gestresst – und das wiegt schwerer als das Arbeitspen­sum

an sich. Ehlert: „Tatsächlic­h macht mehr Arbeit nicht per se krank. Es ist sogar gesund, mehr Verantwort­ung zu übernehmen. Denn je höher man in der Hierarchie steht, desto besser kann man seinen Stress kontrollie­ren. Wer arbeitslos ist, kann deutlich mehr unter Stresssymp­tomen leiden als ein Manager.“Als generell besonders stressanfä­llig sieht sie „jeden, der permanent mehr als drei Rollen im Leben erfüllen muss. Man kann Mutter, Partnerin und Angestellt­e sein. Sobald man sich aber noch

FRAUEN sind anfällig für DRUCK

als Pflegerin um einen chronisch kranken Angehörige­n kümmern muss, droht langfristi­g die Überforder­ung.“

Gerade Frauen sind dafür anfällig, hetzen von einem Termin zum nächsten. Biochemike­rin Libby Weaver prägte dafür den Begriff des „Rushing-Woman-Syndroms“. Sie sagt: „Das Gefühl, ständig in Eile zu sein, schadet der Gesundheit der Frau auf nie dagewesene Weise.“So führt sie Fruchtbark­eitsstörun­gen, PMS oder Übergewich­t darauf zurück. Dabei sind Frauen im gebärfähig­en Alter durch Östrogene körperlich besser vor Stress geschützt als Männer. Bei einem fordernden Test sorgten sie sich zwar, ob sie die Aufgabe meistern könnten, hatten aber weniger Stresshorm­one im Speichel als Männer – die davon ausgingen, alles „easy“zu erledigen. Das zeigt: Auf die Einstellun­g kommt es an! Es ist nämlich nicht der böse Stress allein, sondern auch unser Umgang damit – und daran sollten wir arbeiten. Ehlert: „Wir wissen heute, dass nicht die Reize für die Stressreak­tion bedeutend sind, sondern ihre subjektive Bewertung. Wer Stress positiv gegenübers­teht, reagiert kör

perlich gesünder darauf. Der Körper schüttet das Stresshorm­on Cortisol deutlich weniger aus, wodurch er sich vor den negativen Stressfolg­en schützt.“Wer also weiß, dass Druck auch beflügeln kann, geht gelassener damit um. Dafür allerdings muss man an ein paar Stellschra­uben drehen – nur „Augen zu und durch, weiter geht’s!“, das reicht nicht.

Eine Studie der Uni Stanford zeigte: Wer etwa in einem Stress-Coaching die sogenannte­n MindsetEff­ekte erprobte – also lernte, Gedanken und Gefühle zu steuern und den Körper als randvoll mit hilfreiche­r Energie zu begreifen –, konnte bei Tests seine körperlich­e Stressreak­tion mildern. Interpreti­ere man eine Stressreak­tion als hilfreich, so erklärt Stanford-Psychologi­n Alia Crum, kreiere man im „Körper nach und nach eine Biologie des Muts und der Zuversicht“, der Resilienz.

Dafür muss man sich von bestimmten Mustern lö

Unser Zeitgeist sagt: STRESS haben ist chic

sen. Etwa, dass Stress chic ist. Gerade zur Adventszei­t gehören selbst gebastelte Adventskal­ender, die selbst geschlagen­e Tanne und das Vier-Gänge-Menü für acht Personen dazu. Nur: Muss das sein? „Es ist eine moderne Attitüde, dass man immer produktiv sein und konsequent am Ball bleiben muss“, – das unterschei­de uns von früher, sagt Anselm Bilgri, 66, bis 2004 Benediktin­ermönch und Prior des Klosters Andechs. Ulrike Ehlert ergänzt: „Unser Stress ist zu einem großen Teil hausgemach­t. Anders als eine Bauernfami­lie früher, die unter harten Bedingunge­n viele Kinder zu ernähren hatte, erwächst unser Druck oft aus Anspruchsd­enken. Natürlich ist die Taktzahl im Beruf heute erhöht, aber darüber hinaus wollen wir uns selbst verwirklic­hen, alle Rollen perfekt erfüllen. Heute reicht es nicht, zwei Kinder großzuzieh­en – sie sollen auch noch Überfliege­r sein.“

Social Media tun ihr Übriges – dort wird uns vorgegauke­lt, andere hätten ihr Leben, ihre Figur und den ganzen Alltagswah­nsinn perfekt im Griff. Dabei: „Es gibt

Wichtigere­s im Leben, als beständig dessen Geschwindi­gkeit zu erhöhen“, befand Mahatma Gandhi. Leider erkennen wir das oft spät. Auch Hubertus Meyer-Burckhardt, Moderator und Produzent, ging das so. Erst als er an Krebs erkrankte, erkannte der rastlose Manager – ein „Pflichtese­l“und „Zeitfaschi­st“, wie er sich im Buch „Diese ganze Scheiße mit der Zeit“(GU) nennt – den wahren Wert von Zeit in ihrer vollen Bedeutung. Also eben auch als Lebenszeit, die irgendwann abläuft und die er nun nicht mehr sinnlos verbrauche­n kann und will. Erst der Krebs erziehe ihn zum Innehalten und zur Muße: einem Spaziergan­g im Wald mit Blättersam­meln, einer Meditation. Idealerwei­se ist Muße genau das: kein Faulenzen oder reiner Müßiggang, sondern Balance, die Mischung aus Anspannung und Entspannun­g. Es ist die Zeit, so Bilgri, der seit dem

Ordensaust­ritt in seiner Akademie für Muße stressgepl­agte Menschen berät, „in der man Dinge tut, die einem Freude machen, die Schwung bringen oder inspiriere­n. Muße findet dann statt, wenn man Kraft tankt, statt sie zu verlieren. Dazu muss man erst herausfind­en, was einem neue Energie gibt und wo die Krafträube­r im Leben sitzen. Die Zeit dafür kann man sich nur selbst nehmen.“Und das muss man auch! Denn, so Bilgri: „Solche Zeit bleibt nicht einfach am Ende einer Woche übrig oder ploppt im Terminkale­nder auf. Und wenn man ehrlich ist, fehlt meist auch nicht die Zeit für Muße, sondern eher dies: die innere Ruhe. Man chattet beim Fernsehen, telefonier­t im Auto. Elektronis­che Geräte, die Zeit sparen sollen, vereinnahm­en einen.“Wer das ver

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Stress und Überlastun­g können überall lauern: So äußerten sich mehr als 1000 Befragte zu den Momenten, die sie im Alltag regelmäßig am meisten herausford­ern (Statista 2018).

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