„Nur die ersten 100 JAHRE sind schwierig“
Lucca. High Noon, 12 Uhr mittags, Piazzale Giuseppe Verdi. Die Sonne hat ihren höchsten Stand, es ist für die Jahreszeit sehr heiß, doch ich sitze im Schatten des Tourismusbüros und warte auf Wolfgang Reitzle. Wir sind um 12 Uhr verabredet. Mir stellt sich als Autofan die Frage: „Mit welchem Auto wird er mich abholen?“Ich tippe auf den BMW Z8 Alpina, Cabriolet, und liege damit richtig. Schließlich wurde das Auto von ihm konzipiert und unter seiner Regie heimlich (ohne Wissen der Konzernleitung) in kleiner Auflage von nur 555 Exemplaren gebaut. Mit offenem Verdeck starten wir Punkt zwölf in Richtung „Villa Santo Stefano“, sein Weingut, das er 2001 von der bekannten Familie Bertolli erwarb und seither bewirtschaftet.
Entspannt sitzt er am Steuer, ihm ist nicht anzumerken, dass er das gestresste Leben eines erfolgreichen deutschen Wirtschaftsmanagers führt. Der Weg führt uns durch sanfte Hügel, vorbei an gepflegten Weinbergen und Olivenhainen. Silbrig schimmern die Blätter der uralten, knorrigen Bäume in der gleißenden Mittagssonne. Wir kommen an der kleinen Kirche Santo Stefano aus dem 9. Jahrhundert vorbei. „Wir haben das Anwesen nach dem Erwerb umbenannt: von ,Villa Bertolli‘ in ,Villa Santo Stefano‘ – nach unserer kleinen Kirche hier.“
Das schmiedeeiserne Tor öffnet sich und wir fahren langsam die von Zypressen gesäumte Auffahrt entlang zum authentisch restaurierten Haupthaus aus dem 18. Jahrhundert. Mit freudigem Gebell begrüßen uns Lupo und Vroni, die beiden Schweizer Sennenhunde, die das wunderschöne Anwesen bewachen. Ich fühle mich wie in einem Rosamunde-Pilcher-Film, der ausnahmsweise nicht in England, sondern in der Toskana spielt. Im Film hätte jetzt eine Baronessa oder Comtessa ihren Auftritt, in unserem Drehbuch ist es die Hausherrin Nina Ruge, die uns herzlich begrüßt und die Rolle der Comtessa übernimmt. Seit 2001 ist die bekannte Fernsehmoderatorin mit Wolfgang Reitzle verheiratet. Er gibt jetzt den Zeitplan vor: „Wenn Sie gut zu Fuß sind, zeige ich Ihnen unsere Gärten, um 13 Uhr können wir dann essen, danach zeige ich Ihnen die Kellerei und den Gästetrakt. Bis 15 Uhr habe ich Zeit, dann muss ich nach Pisa auf den Flieger.“
Okay, ich liebe klare Ansagen und bin gut zu Fuß. Wir starten in die Zeit der Gärten der italienischen Renaissance und des französischen Barocks, passieren einen kurzen Durchgang, der akkurat in eine Hecke geschnitten ist. Wie das Bühnenbild einer großen Oper von Giacomo Puccini (der in Lucca geboren ist) liegt das Meisterwerk eines kultivierten Gartens vor uns. Ich bin begeistert und sehe von nun an diese Harmonie der Farben und Formen fast nur noch durch den Sucher meiner Kamera. Vor uns liegt ein kleiner Lotusblumenteich, der dem Premium-Wein seinen Namen gab: „Loto“, Sinnbild für Wiedergeburt und Auferstehung. Nina Ruge öffnet für mich die Türen zu ihrer Limonaia, einem historischen Gewächshaus, quasi ihre „Denkfabrik“. Hier schreibt die erfolgreiche TV-Moderatorin, BuchAutorin und Journalistin ihre Bücher, recherchiert Texte und bereitet ihre Moderationen vor. Nach wie vor steht Nina Ruge bei wichtigen Kongressen und Gala-Veranstaltungen auf der Bühne.
Mittlerweile ist es 13 Uhr, wir sitzen unter der Pergola am schönsten Platz des Weingutes. Der Blick geht über den Tellerrand hinaus in die weite Hügellandschaft bis an die zehn Kilometer entfernte ligurische Küste. Der Tisch ist gedeckt, die Weine sind entkorkt. Nadia, Köchin und Haushälterin in Personalunion, serviert einen köstlichen Salat mit Kräutern aus dem eigenen Garten und Tagliatelle mit Steinpilzen und cremiger Parmigiano-Sauce. Die Weine verkosten wir aus den filigranen Gläsern „Denk’Art“der österreichischen Glasmanufaktur Zalto – und diskutieren über die Weine und die Vinifizierung:
DIE HARMONIE VON FARBEN UND FORMEN IST ÜBERWÄLTIGEND
Wie wurde der erfolgreiche Wirtschaftsmanager Wolfgang Reitzle ambitionierter Winzer?