SAWSAN CHEBLI & Ehemann Nizar Maarouf
Die SPD-Politikerin hat einen beeindruckenden Aufstieg geschafft. In BUNTE spricht sie über ihre Kindheit, eigenes Geld und das Glück, gerade Mutter geworden zu sein
Sie hat Aufruhr produziert in den vergangenen Wochen. Die SPD-Politikerin Sawsan Chebli tritt im Berliner Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf als Bundestagskandidatin an – so wie auch Michael Müller, Regierender Bürgermeister und ihr Chef. „Soll ich als Frau den Platz räumen, nur weil ein Mann Anspruch auf das Amt erhebt?“, fragt die 42-Jährige beim BUNTE-Interview in Berlin – natürlich eine rhetorische Frage.
Einige Kritiker meinen, gegen seinen Chef trete man nicht an. Erfordert es Mut, es trotzdem zu tun? Die Bundestagswahl ist ein demokratischer Wettstreit. Und dass ich mich für eine Kandidatur in meinem Heimatwahlkreis bewerbe, ist seit einem Jahr bekannt. Ich habe das offen kommuniziert. Zudem haben mir viele Gespräche gezeigt, dass ich Rückhalt und Unterstützung habe. Es gibt also keinen Grund für einen Rückzug. Da ich meinen Chef als sportlichen, fairen Menschen kenne, freue ich mich auf diese Wahl. Wie auch immer sie ausgehen wird.
Was treibt Sie in die politische Arena? Ich bin vor 20 Jahren in die SPD eingetreten, weil ich mithelfen wollte, die Welt ein bisschen besser zu machen. Ich habe erlebt, welchen Einfluss Politik auf ein Leben haben kann. Die Tatsache, dass meine Eltern ihre Heimat verlassen mussten, dass sie 20 Jahre im Flüchtlingslager gelebt haben, dass wir staatenlos waren – all das war das Resultat von verfehlter Politik. Als ich die deutsche Staatsbürgerschaft bekam, wusste ich, ich will mich engagieren.
Gibt es ein Erlebnis in Ihrer Kindheit, das Sie stark geprägt hat? Ich war vielleicht acht, als mein Vater abgeschoben werden sollte und ich ihn in Abschiebehaft besucht habe. Ich wusste nicht, ob ich ihn je wiedersehen werde. Dieses Erlebnis hat mich sehr stark geprägt, das Gefühl von Hilflosigkeit werde ich nie vergessen.
Ihre Familie hat lange als Staatenlose in Deutschland gelebt. Wie haben Sie diesen Status gespürt? Ich habe die ständige Unsicherheit gespürt, weil wir ja lange nicht wussten, ob wir abgeschoben werden. Der Tag, als wir eingebürgert wurden, war der Tag, der mir Freiheit brachte. Ich war endlich Deutsche. Ich konnte endlich reisen. Die Mauern um mich herum, die Grenzen waren weg.
Erinnern Sie sich, als Sie das erste Mal Ihren Pass an der Grenze vorgezeigt haben? Das war unbeschreiblich! Ich war so dankbar und so stolz, Deutsche zu sein.
Hatten Sie als Kind den unbedingten Ehrgeiz zum Aufstieg? Ja, ich wollte nie so arm und abhängig sein wie meine Eltern. Ich wollte eigenes Geld verdienen, um nicht von Sozialhilfe leben zu müssen. Ich habe es schon als Kind als demütigend empfunden, wenn ich meine Eltern zum Sozialamt begleiten musste. Ich musste mit, weil meine Eltern kaum Deutsch sprachen.
Wie wichtig ist Ihnen eigenes Geld? Ich würde mich wohl unfrei fühlen, wenn ich kein eigenes Geld verdienen würde. Ich brauche das Gefühl von Unabhängigkeit.
Sie werden oft angegriffen, weil Sie sich angeblich zu chic und zu teuer kleiden. Wie empfinden Sie diese Diskussionen? Das erlebe ich in der Tat immer wieder, aber ich werde mich deshalb nicht verändern. Ich maße mir ja auch nicht an, jemanden für seinen Kleidungsstil zu kritisieren. Diese Debatten zeugen davon, dass jemand inhaltlich nichts vorzubringen hat.
Gehen Sie Kompromisse ein? Was meine Kleidung angeht? Nein. Aber in meinem Job muss ich immer wieder Kompromisse eingehen, um das Bestmögliche rauszuholen.
Sie sind vor vier Monaten Mutter geworden. Ist alles nicht gerade ein bisschen viel? Vor allem ist es ein großes Glück. Es war nicht selbstverständlich, dass es klappt. Ich bin sehr froh, dass ich einen Mann habe, der modern, aufgeschlossen und liberal ist. Wir teilen uns die Hausarbeit und die Betreuung des Kindes zu Hause, sodass ich meinen beruflichen Weg weiter verfolgen kann.
Gönnen Sie sich keine Auszeit mit Baby? Ich habe bis einen Tag vor der Geburt gearbeitet. Und eigentlich wollte ich nur in den Mutterschutz gehen und danach sofort zum Job zurückkehren. Nun habe ich doch noch Urlaub angehängt. Ich habe unterschätzt, wie wenig planbar das Leben mit Baby ist. Der Kleine wirbelt meine ganzen Pläne durcheinander.
Plagt Sie manchmal das schlechte Gewissen? Man wird als Mutter ständig zerrieben. Obwohl ich weiß, dass Elias bei meinem Mann in allerbesten Händen ist, denke ich ständig: Was macht er jetzt, weint er, geht’s ihm gut?
Was möchten Sie Ihrem Sohn in diese Welt mitgeben? Ich wünsche mir, dass er empathisch und sensibel ist, einen Sinn für Gerechtigkeit entwickelt und vielleicht mal ein großer Kämpfer für die Rechte von Frauen wird. Aber wir sollten nicht darauf warten, dass seine Generation das erledigt. Wir sind ja schon ziemlich weit vorangekommen und dürfen jetzt nicht nachlassen.
OHNE EIGENES GELD WÜRDE ICH MICH WOHL UNFREI FÜHLEN