Alice Schwarzer: Deutschlands bekannteste Feministin spricht über ihr spätes Eheglück
Die Publizistin zählt zu Europas bekanntesten Feministinnen und hat das Leben von Frauen einfacher gemacht. In BUNTE spricht sie über ihr Burn-out, die Ehe mit Gattin Bettina, ihre Vorliebe für High Heels und den „Bergdoktor“
INZWISCHEN SIND ALLE DIVERS UND QUEER, DA FALLE ICH NICHT MEHR SO AUF
Ohne Alice Schwarzer, 77, so viel steht fest, sähe Deutschland heute (vor allem für Frauen) anders aus. Die Journalistin und Publizistin (u. a. Herausgeberin der Frauenzeitschrift „Emma“) ist eine der bekanntesten Feministinnen Europas. 2011 veröffentlichte sie den ersten Teil ihrer Biografie, „Lebenslauf“, darin schildert sie in unterhaltsam-emotionaler Weise ihre Herkunft, Kindheit und Jugend. Nun erschien der zweite Teil: „Lebenswerk“. Auf fast 500 Seiten berichtet Alice Schwarzer über die großen Themen ihres Lebens und ihrer Arbeit, mit denen sie über Jahrzehnte ein ganzes Land prägte. Ihre Kämpfe gegen Gewalt an Frauen und Kindern, gegen die Männerjustiz, das Abtreibungsverbot, Sexismus, Prostitution bis hin zu MeToo und der Kritik am politischen Islam.
Auf der letzten Seite bedankt sie sich u.a. bei Bettina Flitner, 59, „für alles“. Die erfolgreiche Fotografin ist seit dem 2. Juni 2018 mit Alice Schwarzer verheiratet. Damals, es war Mitte Juni, hatte Alice Schwarzer ihre Hochzeit auf ihrer Website verkündet, bis dahin war nicht öffentlich bekannt gewesen, dass die Frauen ein Paar sind.
BUNTE trifft Alice Schwarzer an einem sonnigen Herbsttag im Oktober in ihrem Kölner Büro zum Gespräch. Es macht den Eindruck, als sei sie, kurz vor ihrem 78. Geburtstag am 3. Dezember, ruhiger geworden. Sie schmunzelt: „Ich weiß nicht, wie meine Umgebung das sieht. Aber ich würde sagen: ,Ja!‘ Ich bin gelassener geworden. Ich lasse auch mal drei gerade sein, wo ich mir vorher den Kopf eingerannt hätte. Ich unterscheide heute stärker zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem.“
Wissen Sie, wer Meghan Markle ist? Ob ich weiß, wer Meghan ist? Machen Sie Witze?! Ich verfolge die Geschichte mit angehaltenem Atem.
Die Herzogin von Sussex und ihr Mann, Prinz Harry, engagieren sich für Frauenrechte. Kann ein Mann Feminist sein? Selbstverständlich kann ein Mann Feminist sein! Harry nehme ich das sogar ab. Doch ich fürchte: Meghan hat es zwar gut gemeint – aber das wird schiefgehen. Einen englischen Prinzen kann man nicht nach Hollywood verpflanzen.
Würden Sie Donald Trump gern einmal die Meinung sagen? Nein. Das wäre doch völlig sinnlos. Der tut, was er will. Aber seiner Partei, den Republikanern, würde ich gern die Meinung sagen. Wie können die so einen pathologischen Narzissten in eine solche Position kommen lassen?
Sie sind genauso alt wie US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden. In Rente zu gehen, scheint für Sie beide nicht infrage zu kommen, oder? So ist es. Ich bin ja keine Beamtin, sondern eine frei flottierende Kreative.
Welche Gefühle löst der Blick zurück in Ihnen aus? Ich lebe, ehrlich gesagt, immer so sehr im Jetzt, dass ich mein Leben selten Revue passieren lasse. Ich stehe ja auch noch mittendrin. Zum „Lebenswerk“musste ich mich regelrecht zwingen. Aber ich bin froh, es getan zu haben. Es ist der richtige Moment, auch feministisch Bilanz zu ziehen. Denn die Enkelinnen von uns Pionierinnen leben in der Illusion, die errungenen Rechte für selbstverständlich und gesichert zu halten – die sind aber wieder in Gefahr. Es wäre darum gut, sie würden sich auf unsere Schultern stellen und nicht wieder bei null anfangen.
Immer wieder standen Sie selbst im Mittelpunkt heftiger medialer Auseinandersetzungen und doch scheinen Sie vor Lebenslust zu strotzen. Wie schaffen Sie das? Ich bin einfach ein positiver Mensch und habe die Tendenz, das Negative zu vergessen. Und ich will mich auch nicht erinnern. Ich lese auch nicht alles, was über mich geschrieben wird. Bei manchen Medien weiß ich doch schon im Vorhinein, was kommt. Die sind seit Jahrzehnten unerschütterlich voreingenommen und gehässig gegen mich. Und da rede ich keineswegs nur von Rechten oder Boulevardmedien, im Gegenteil. Doch archiviert wird alles! Damit nicht vergessen wird, wie mit einer Feministin wie mir verfahren wird. Sie wurden schon so oft beleidigt. Womit kann man sie heute überhaupt noch verletzen? Nicht mit Differenzen in der Sache. Aber mit persönlicher Diffamation. Immer.
Hinterließ das stete öffentliche Kämpfen bei Ihnen seelische oder körperliche Spuren? Die beginnenden Zipperlein sind eher altersbedingt.
Waren Sie je in Therapie oder dem Burn-out nah? Einmal. 1980. Da kam es von allen Seiten. Ich machte bei meiner leider verstorbenen späteren Freundin, der Analytikerin Margarete Mitscherlich, eine Kurztherapie von drei Monaten. Hat tatsächlich geholfen. Vor allem zur Selbsterkenntnis.
Wann hörten Sie zuletzt den Satz: „Sie sind doch gar keine richtige Frau, Frau Schwarzer“? Ewig her. Inzwischen sind ja alle divers und queer. Da falle ich nicht mehr so auf. Ich halte mich für weiblich und männlich zugleich. Was Vorteile hat, aber auch anstrengend sein kann. Das ist einfach die doppelte Arbeit: Kochen und Kämpfen.
OB ICH WEISS, WER MEGHAN IST? ICH VERFOLGE DIE GESCHICHTE MIT ANGEHALTENEM ATEM
Wie reagieren Sie sich ab, wenn Sie sich ärgern? Ich gehe essen. Oder ins Kino. Oder in den Wald. Ich bin die Anti-Sport-Generation. Aber ich bewege mich gern. Ich bin als Kind sehr frei aufgewachsen, auf dem Land und am Waldrand.
Anonym geäußerter Hass über Politiker*innen, Schauspieler*innen, Aktivist*innen wird immer schlimmer. Das ist bedrückend. Ich kenne das aus eigener Erfahrung schon lange. Aber es ist jetzt so explodiert durch das Internet und die Möglichkeit zur Anonymität. Sexistische Äußerungen im Internet müssten ebenso streng verfolgt werden wie rassistische und antisemitische – oder die islamistische Hetze, wie sie jetzt, nach dem Schock des enthaupteten Lehrers, in Frankreich geahndet wird.
Mit Ihrer Frau, der Fotografin Bettina Flitner, führen Sie eine Ehe zwischen Paris, Köln und Berlin. Ja. In Corona-Zeiten ist unser Leben aber nicht ganz so kosmopolitisch, wie wir es gern hätten. Ehrlich gesagt verbringen wir zurzeit die meiste gemeinsame Zeit auf dem Land, kochen zusammen, laden Freunde und Freundinnen ein.
Ihre Frau scheint ein besonderer Mensch zu sein. Sie waren, mit Verlaub, immerhin schon 75 Jahre alt, als Sie zum ersten Mal geheiratet haben. Nach über 30 Jahren Beziehung kann man das schon mal riskieren.
Ist es heutzutage einfacher, öffentlich gleichgeschlechtlich zu lieben? Zweifellos. Zumindest in unseren Breitengraden. In islamischen Ländern können Sie dafür gesteinigt werden. Zumindest aber werden Sie gesellschaftlich geächtet.
Sprechen junge Frauen Sie auf der Straße an? Ja, neuerdings wieder verstärkt. Ganz wie von meiner Generation. Ich merke allerdings, dass die ganz Jungen mich weniger erkennen als die Älteren. Aber das ist ja auch okay.
Sie twittern nicht, haben weder einen Facebooknoch Instagram-Account. Warum nicht? Eine große Reichweite wäre Ihnen gewiss.
Ich weiß. Aber irgendwo muss man eine Linie ziehen. Ich mache alle zwei Monate „Emma“, schreibe Bücher, trete in Veranstaltungen und ab und an im Fernsehen auf. Das sollte reichen. Ich finde auch nicht, dass jede und jeder permanent seinen Senf zu allem geben muss. Vor allem keinen erwartbaren Senf. Das vermüllt nur die Köpfe.
Besitzen Sie überhaupt ein Smartphone?
Nein. Ich habe ein nicht internetfähiges Handy, das ich meistens vergesse zu laden. Das nutze ich nur auf Reisen. Ich habe einfach keine Lust, permanent verfügbar zu sein. Aber ich habe mein geliebtes iPad. Das finde ich sehr praktisch. Meine Artikel und Bücher tippe ich allerdings immer noch auf der Schreibmaschine, eine Triumph Adler. Das bin ich einfach so gewöhnt.
Sie schreiben: „Erfolgreiche Frauen tragen gern zum Hosenanzug High Heels, um den Männern zu signalisieren, keine Sorge, ich bin trotz alledem auch nur eine Frau.“Was hat ein halbes Jahrhundert Frauenbewegung wirklich gebracht? Gebracht hat es, dass die Welt uns Frauen endlich offensteht, zumindest theoretisch. Jetzt müssen wir nur noch rausgehen und die Hälfte der Welt erobern, gegen alle Widerstände. Und die Männer müssen die Hälfte des Hauses übernehmen. Da ist allerdings noch viel Luft nach oben.
Besitzen Sie eigentlich ein Paar High Heels? Na klar, ich habe mehrere Paar High Heels im Schuhschrank stehen: schwarze, rote, tigergemusterte. Aber ich ziehe sie nur noch sehr selten an. Einfach zu unbequem.
Sie sind immer wieder für eine Überraschung gut und outeten sich kürzlich als Fan der ZDF-Serie „Der Bergdoktor“. Wegen des Hauptdarstellers oder der schönen Landschaft? Na ja, zugegebenermaßen wegen beidem. In dieser wirklich guten Unterhaltungsserie ist der Feminismus angekommen. Die Männer sind nachdenklich und versuchen, Beruf und Familie zu vereinbaren. Und die Frauen haben gern mal einen jüngeren Liebhaber. Ist doch gut, oder?
Auf jeden Fall. Was bereuen Sie, nicht getan zu haben in Ihrem ereignisreichen Leben? Ich habe nicht genug getanzt. Zu viel gearbeitet. Aber kann ich ja noch nachholen.
Schmerzt es Sie, keine Kinder zu haben? Nein, nicht eine Sekunde. Für Kinder muss eine Mutter in unserer Gesellschaft – in der Väter und Vater Staat noch zu oft abwesend sind – mindestens 20 Jahre lang 24 Stunden am Tag verfügbar sein. Als Mutter hätte ich keine „Emma“machen können. Und das wäre doch schade. Nicht nur für mich, sondern auch für viele Töchter.
ICH HABE MEHRERE HIGH HEELS IM SCHRANK: SCHWARZE, ROTE, TIGERGEMUSTERTE DIE WELT steht uns Frauen endlich offen. Theoretisch …