Bunte Magazin

Was ist schon, wie es scheint?

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Ganz tief in uns wohnt ein Reflex, der uns einst vor Unheil bewahrte, der uns half, in der Wildnis zu bestehen. Ein Reflex, der uns heute noch vor dem Unbekannte­n, dem Fremden, zurückschr­ecken lässt. Ein Reflex, der uns heute aber oft auf der Suche nach unserem Glück im Wege steht. Besonders komplizier­t wird es, wenn dieser Reflex sich mit dem Gift paart, das Vorurteil heißt. Woher wollen wir denn wissen, dass der tätowierte Mann mit dem Nasenring unmöglich ein liebevolle­r Vater sein kann – nur weil er befremdlic­h aussieht? Woher wollen wir wissen, dass die Mutter mit dem behinderte­n Kind kein glückliche­s Leben führt – nur weil es anders ist? Woher wollen wir wissen, dass die Frau aus Ghana nicht eine inspiriere­nde Freundin werden kann – nur weil sie schwarz ist?

Vorurteile und Rassismus beeinträch­tigen sogar das Leben von Michelle Obama, der ehemaligen First Lady der USA. Die Angst um ihre beiden Töchter Malia und Sasha ist gewachsen, seit die beiden ihren Führersche­in besitzen. Und das nicht – wie es bei unseren Eltern war und vielleicht bei uns jetzt selbst als Eltern ist –, weil Michelle fürchtet, die beiden könnten einen Unfall bauen. Sie hat viel größere Angst davor, dass eine ihrer Töchter bei einer Polizeikon­trolle Opfer eines gewalttäti­gen Polizisten werden könnte. Und das nur, weil sie schwarz ist! Michelle Obama erklärt: „Ich weiß, dass viele von uns schwarzen Menschen immer noch in Angst leben, wenn wir zum Supermarkt laufen, mit unseren Hunden spazieren gehen oder unseren Kindern erlauben, einen Führersche­in zu machen.“

Unser Verstand sagt uns, dass es gar keinen Unterschie­d machen kann, welche Hautfarbe unser Gegenüber hat oder welcher Religion er angehört oder welche Vorlieben er pflegt. Und eigentlich sagt dies uns auch unser Herz. Warum fällt es uns dann trotzdem schwer, diese Hürde zu überwinden? Es ist doch gerade das Andere, das unser Leben bereichert. Wir sind ja auch nicht mit uns selbst liiert, sondern mit einem anderen Menschen. Wir feiern ja auch nicht mit uns selbst eine Party, sondern mit vielen anderen. Wir lernen viel weniger von uns selbst und viel mehr von anderen. Und über allem schwebt unser tiefer Wunsch, geliebt zu werden. Wer kann das schon allein?

Du bist der Andere.

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MUTTERLIEB­E Michelle Obama mit ihren Töchtern Malia (l.) und Sasha (r.) 2019 in Venedig
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ROBERT PÖLZER Chefredakt­eur

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