Ein Implantat ist keine NischenBehandlung mehr, sondern ROUTINE
Welche Optionen haben Betroffene?
Aus dem Klinikalltag weiß Timo Stöver, dass die Hemmschwelle, zum Arzt zu gehen, nach wie vor gewaltig ist: „Wer schlecht sieht, bekommt eine Brille. Wer schlecht hört, schämt sich oft im Stillen. In unserer Gesellschaft wird das SchlechtVerstehen oft gleichgesetzt mit einer verminderten Intelligenz. Und Hörgeräte sind scheinbar noch immer nicht salonfähig.“
Zum Glück gehen immer mehr prominente Vorbilder wie RTL-Moderatorin Tanja Bülter oder TV-Star Christoph M. Ohrt ganz offen mit ihrer Hörhilfe um und zeigen so, dass Hörgeräte durchaus für große Auftritte gemacht sind. Und vor allem, wie die Technik ihren Alltag verändert hat. „Es war wie ein zweites Erwachen“, beschreibt etwa Christoph M. Ohrt seine Erfahrung mit einem Hörgerät. „Ich bin raus auf die Straße, habe die Autos gehört, das Zwitschern der Vögel, Bienensummen. Und habe erkannt, was ich in all den Jahren wohl an Lebensqualität verpasst habe.“
Hörgeräte sind, vereinfacht gesagt, Verstärker und können den Hörverlust einer leicht- bis mittelgradigen Hörminderung ausgleichen (s. S. 80). Moderne Hörgeräte sind mit früheren Generationen nicht zu vergleichen: Sie sind wie stylishe MiniComputer, viele davon mit Bluetooth.
„Es gibt aber auch Patienten, für die ein Hörgerät nicht befriedigend ist. Sie hören zwar besser, aber nicht gut genug“, weiß Stöver. „Womöglich ist die Einstellung des Hörgerätes nicht optimal oder das Hörgerät selbst passt nicht. Dann kann ein Hörakustiker helfen. Es kann aber auch sein, dass es mit dieser Art der Hörversorgung für den Patienten nicht besser geht. Wenn mit dem Hörgerät weniger als die Hälfte verstanden wird, sollte man über einen Methodenwechsel sprechen.“
Die Rede ist von einem sogenannten Cochlea-Implantat (CI), das den Hörnerv direkt stimuliert. „Früher war man nur Kandidat für ein CI, wenn man komplett taub war. Das hat sich inzwischen geändert“, erklärt der Experte für Cochlea-Implantationen. Eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse funktioniert in der Regel problemlos. „Die Versorgung mit einem CI ist keine NischenBehandlung mehr, sondern Routine. Auch das Alter ist kein limitierender Faktor. Wir versorgen auch 90-Jährige, weil sie wieder am sozialen Leben teilhaben wollen“, betont Stöver.
Allerdings müssen die Patienten nach dem Eingriff lernen, mit den neuen Höreindrücken und dem ungewohnten Klang von Stimmen und Geräuschen umzugehen. „Woran das liegt, ist noch nicht so richtig klar. Womöglich kommt den Patienten nach vielen Jahren mit Schwerhörigkeit das normale Hören komisch vor“, vermutet Stöver. „Es muss zunächst ein Gewöhnungs- oder Erinnerungsprozess stattfinden.“
Bei der Rückeroberung des Hörens hilft intensive Reha mit systematischem Hörtraining. Der Lernprozess dauert individuell unterschiedlich lange. „Viele Schicksale hörgeschädigter Patienten haben mir gezeigt, wie enorm die Steigerung der Lebensqualität durch ein CI ist“, bilanziert Stöver. „Auch nach zehn oder 20 Jahren der Gehörlosigkeit gibt es eine faire Chance, das Hören wieder zu erlangen. Das müssen die Betroffenen erfahren.“
AUCH EIN 90-JÄHRIGER WILL AM SOZIALEN LEBEN TEILHABEN