DIE ZUKUNFT DER HÖRFORSCHUNG
Wer unter einer Schallempfindungsschwerhörigkeit leidet, kann derzeit nur mit einer Hörprothese behandelt werden. Hauptursache für diese Hörstörung ist der Verlust der Haarzellen im Ohr. „In der innenohrbiologischen Forschung arbeiten wir deshalb daran, die Sinneszellen durch verschiedene Methoden zu
schützen oder wieder zu regenerieren“, erklärt Prof. Hubert Löwenheim, Leiter der Arbeitsgruppe Regenerative Medizin am Hörforschungszentrum Tübingen.
Wie weit ist die aktuelle Forschung? Es gibt drei Ansätze, um das Hörvermögen durch Regeneration von Sinneszellen wiederherzustellen: durch Medikamente, Gentherapie und Stammzellen. Der medikamentöse Ansatz ist am weitesten fortgeschritten und wird bereits in klinischen Studien am Patienten erprobt. Das ist ein enormer Fortschritt. Sind die Studien erfolgreich, könnte die Therapie womöglich in drei bis vier Jahren Patienten zur Verfügung stehen.
Wie können Medikamente den Hörsinn reparieren?
Sie werden direkt ins Ohr injiziert. Ein Mittel soll die noch verbliebenen Stützzellen, welche die Haarzellen normalerweise umgeben, dazu anregen, sich zu teilen und neue Haarzellen hervorzubringen. Ein anderes Mittel soll die Stützzelle direkt in eine Haarzelle umwandeln. Ob die Therapien erfolgreich sind, hängt von vielen Faktoren ab. Ebenfalls in der klinischen Erprobung sind Pharmaka, die nach einem Lärmtrauma zum Einsatz kommen könnten, nach einer Explosion oder einem Hörsturz.
Wie kann das Ohr nach einem erfolgten Schaden noch geschützt werden? Eine Haarzelle stirbt in der Regel nicht sofort zum Zeitpunkt der Schädigung ab, sondern ist noch mehrere Tage oder sogar Wochen vorhanden. Man versucht durch entsprechende Pharmaka, die Haarzelle vor dem Zelltod zu bewahren. So könnte sich das Gehör nach einer akuten Schädigung wieder erholen. Auch hier müssen wir uns aber noch gedulden,
bis die Studien abgeschlossen sind.
Sie haben auch die Gentherapie erwähnt. Wie funktioniert dieser Ansatz?
Etwa die Hälfte der Patienten mit einer Innenohrschwerhörigkeit hat eine spezifische genetische Ursache. Pharmaka würden vermutlich nicht helfen, weil die Sinneszellen nicht verloren gegangen, sondern in ihrer Funktion durch einen Gendefekt eingeschränkt sind. Um diesen Patienten zu helfen, muss zunächst der genetische Defekt festgestellt werden. Das ist sehr komplex. Es sind mehr als 200 Schwerhörigkeits-Gene mit Hunderten Varianten bekannt. Man hat Tausende verschiedene Diagnosen und jede benötigt eine spezifische Therapie. Das wird aktuell von verschiedenen Biotechnologiefirmen angegangen. Zunächst mit den Gendefekten, die am häufigsten vorkommen oder sich technologisch besonders gut eigenen. Ich kann mir vorstellen, dass in etwa zehn Jahren Gentherapien zur Verfügung stehen. Das ist eine realistische und aus meiner Sicht zeitnahe Perspektive.
Und wie vielversprechend ist die Stammzellen-Therapie? Das ist der Forschungsansatz mit den größten Herausforderungen. Dahinter steckt die Idee, dem Innenohr Stammzellen zuzuführen in der Hoffnung, dass diese sich in Haarzellen umwandeln. Stammzelltherapie funktioniert in anderen Organsystemen zum Teil bereits recht gut. Aber wer sagt der Stammzelle im kompliziert aufgebauten Innenohr, wo genau sie sich niederlassen soll und wie sie sich dann zu einer Haarzelle umwandeln soll? Da kann man nur hoffen, dass die Stammzellen im Innenohr-Milieu so viele sinnvolle Signale bekommen, dass sie das tun. Aber das ist eine gewagte Hypothese.
Trotz vieler Fortschritte müssen Patienten sich somit weiterhin gedulden und auf Hörprothesen setzen?
Leider ja. Das Thema darf aber nicht unterschätzt werden. Auch die Politik ist hier gefragt und sollte die Forschung mehr fördern, um im Rahmen einer alternden Gesellschaft gewappnet zu sein.