Die transsexuelle Politikerin will in den Bundestag
Die Grünen-Politikerin aus Bayern, die ihr Geschlecht wechselte, möchte Geschichte schreiben und das Parlament in Berlin bunter machen
Sie will es wissen: Tessa Ganserer, 44, die erste transsexuelle Landtagsabgeordnete in Deutschland, will jetzt in den Bundestag einziehen. Die Chancen stehen gut, die Nürnbergerin hat einen sicheren Listenplatz bei den Grünen und traut sich sogar zu, das Direktmandat zu holen. Eine Transsexuelle im Deutschen Bundestag, das wäre historisch, so etwas hat das Hohe Haus noch nie erlebt. BUNTE sprach mit Tessa Ganserer, deren Vorbild die Nürnberger GrünenIkone Petra Kelly ist. Beim Termin war auch Ehefrau Ines Eichmüller, 41, dabei. Seit 2013 sind die beiden verheiratet und glücklich. Das Comingout hat die beiden nicht etwa getrennt, sondern noch inniger verbunden.
Sie sind eine geachtete Politikerin im Bayerischen Landtag. Warum wollen Sie jetzt in den Bundestag? Weil dort die Gesetze gemacht werden, die uns Transsexuelle angehen, Parlamente müssen außerdem auch die Vielfalt der Gesellschaft abbilden. Wir sind ungefähr ein Prozent der Bevölkerung, Menschen, die sich im falschen Körper geboren fühlen. Da, wo über unser Schicksal entschieden wird, wollen wir nun endlich selbst unsere Stimme erheben. Ich bin ja nicht allein. Neben mir haben auch zwei andere transsexuelle grüne Politikerinnen gute Chancen, ins Parlament in Berlin zu kommen. Wir brauchen eine sichtbare Präsenz. Wie in den USA: Präsident Joe Biden hat dort die transsexuelle Rachel Levine zur VizeGesundheitsministerin ernannt. In Belgien ist die stellvertretende Ministerpräsidentin Petra De Sutter eine Transsexuelle. Wir verstecken uns nicht mehr.
Was stört Sie an der bisherigen gesetzlichen Regelung? Dass wir zum Beispiel ein entwürdigendes Gerichtsverfahren über uns ergehen lassen müssen und zwei psychologische Gutachten benötigen, die wir selbst bezahlen müssen, bevor die behördliche Personenstandsänderung erfolgt. Nicht jeder will oder kann diese Tausende Euro aufbringen. Es ist absurd: Psychologen sollen einem bestätigen, was wir ein Leben lang unter Qualen erfahren haben. Keiner macht das ja aus Jux und Tollerei. Gegenüber der Krankenkasse musste ich ein Jahr lang quasi nachweisen, dass ich es ernst meine, bevor ich einen Anspruch auf medizinische Leistungen hatte, für viele ist das ein Spießrutenlauf. Für mich war mein Auftreten als Frau existenziell, ich wäre fast daran kaputtgegangen, nicht mein wahres Wesen leben zu dürfen.
Wie schaut es in Europa aus? Andere Länder wie Belgien, Dänemark oder Malta sind da fortschrittlicher. Dort genügt es, einfach zum Standesamt zu gehen, die eigene Erklärung ist entscheidend. In Berlin geht nichts voran, die geplante Neuregelung des Gesetzes haben Psychotherapeutinnen und Juristinnen in der Luft zerrissen. Dabei ist die Gesellschaft der Politik längst weit voraus. Wir Transsexuellen sind ja nicht krank, nur anders.
Wir wurden lange als psychische Störung eingeordnet, das wird jetzt geändert. Ich bin befreit, nicht gestört.
Wie waren denn die Reaktionen nach Ihrem Outing? Wunderschön, aber auch übel. Im Netz gab es Aufforderungen zum Selbstmord, auch an meine ganze Familie gerichtet. Oder man wünschte mir tödliche Unfälle. Aber die positiven Reaktionen überwiegen ganz klar. Liebe ist stärker als der Hass. Die Landtagspräsidentin Ilse Aigner hat mich sehr gut behandelt. Ich werde dort als Frau angesprochen, mittlerweile auch auf der Homepage, das ist mir sehr wichtig. Die Abgeordneten sind freundlich und wertschätzend, nur die von der AfD sind scheinheilig. Sie grüßen mich, aber im Internet schütten sie Spott und Häme aus. Das ist menschlich ganz klein.
Sie haben sich Anfang 2019 geoutet. Was wäre passiert, wenn Sie es früher getan und beim Gericht eine offizielle Namensänderung beantragt hätten? Bis 2011 hätte ich mich sterilisieren lassen müssen, auch eine genitalangleichende Operation wäre für ein Leben als Frau verpflichtend gewesen. Meine beiden Söhne, auf die ich sehr stolz bin, wären gar nicht auf die Welt gekommen. Es gibt so viele Schikanen. Kein Wunder, dass viele Transsexuelle leiden und 40 Prozent selbstmordgefährdet sind.
Wie weit sind Sie auf dem Weg Ihrer Verweiblichung? Was unter meinem Rock oder in meiner Hose ist, geht niemanden was an. Nur so viel: Ich mache eine Hormonersatztherapie, bei der sich Muskelmasse und Fettverteilung verändern. Aber der Bart verschwindet nicht so einfach, dafür brauche ich Behandlungen mit Laser. Weiße Barthaare bleiben dann immer noch, da hilft dann eine Nadelepilation. Mit Bartschatten im Gesicht nimmt einen keiner als Frau ernst. Auch an meiner Stimme arbeite ich. Am Telefon werde ich meist noch als Mann einsortiert. Aber ich weiß nicht, ob ich mich an den Stimmbändern operieren lassen soll. Alles hat seine Grenzen.
Was erhoffen Sie sich in Berlin? Dass das Transsexuellengesetz reformiert wird und auf meinem amtlichen Ausweis Tessa Ganserer steht. Ich war einmal im Bundestag zu Besuch, da war es sehr entwürdigend, dem Einlasspersonal an der Pforte zu erklären, dass ich eine Frau bin – auch wenn in meinem Pass etwas anderes steht. Das war allen peinlich.
SIE NIMMT HORMONE UND KÄMPFT MIT LASER GEGEN DEN BART