Leon Goretzka:
Der Fußball-Star zeigt sich abseits des Spielfelds bemerkenswert feinsinnig und lebensklug. Mit BUNTE sprach er über öffentliche Tränen und das Verhältnis zu seinen Eltern in Bochum
Seine Familie gibt ihm Bodenhaftung
Man muss kein FC-Bayern-Fan sein, um Leon Goretzka, 26, zu mögen: Er ist ungewöhnlich geerdet für einen millionenschweren Profi-Kicker, um den sich die Topvereine Europas reißen und der zum Schlüsselspieler der deutschen Fußball-Nationalmannschaft avanciert ist. Dabei erlebt man ihn abseits des Rasens als feinsinnigen, bemerkenswert lebensklugen jungen Mann. FC-Bayern-Sportvorstand Hasan Salihamidžic nennt ihn einen „richtig guten Jungen mit einem richtig guten Charakter“. Bundestrainer Jogi Löw sagt: „Er hat Persönlichkeit.“Das erkannte auch schon seine frühere Klassenlehrerin Ulla Kaupp vom Alice-Salomon-Berufskolleg in Bochum. Als „ruhigen und zurückhaltenden“Schüler hat sie ihn mal beschrieben: „Alles, was er sagt, ist wohlüberlegt.“Tatsächlich blickt er gern weit über den Tellerrand hinaus und bringt sich in vielfältigen Bereichen ein in die Gesellschaft. Es passt zu seinem brennenden Ehrgeiz auf dem Platz, dass er auch in unserem Land und in den Köpfen der Menschen etwas bewegen und Dinge zum Guten wenden will. Er hat das wöchentliche Börsenmagazin „Der Aktionär“abonniert, liest jeden Morgen das „Handelsblatt“und die Münchner Tageszeitungen, obwohl er als gebürtiger Bochumer eigentlich „Fan der WAZ“ist. „Mir ist es wichtig, informiert zu sein“, sagt er beim Gespräch mit BUNTE.
Sie haben vergangenes Jahr die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer getroffen. Wie kam es zu der Begegnung? Das war für mich eine riesengroße Ehre. Ich bin dem Land NRW wahnsinnig dankbar, dass es mir das Treffen ermöglicht hat. Ich bin mit einer extremen Ehrfurcht zu diesem Termin gefahren. Ich habe in meiner Fußballerkarriere ja schon einigem Druck auf dem Platz standhalten müssen, aber diese Begegnung war für mich eine ganz andere Hausnummer. In ein Stadion mit 80000 Fans einzulaufen, lässt mich mittlerweile kalt, aber vor diesem Treffen war ich extrem nervös und total aufgeregt. Ich habe Hunderte Male überlegt, wie ich was sage und frage. Aber dann war es ganz entspannt, ich habe mich mehrere Stunden mit Frau Friedländer unterhalten dürfen. Es war einfach nur beeindruckend.
Was haben Sie aus diesem Treffen für sich mitgenommen? Sie hat mir eine Aufgabe erteilt und mir gesagt, dass ich und meine Generation die Zeitzeugen sein müssen, die sie und andere Holocaust-Überlebende nicht mehr lange sein können. Für mich ist es eine extrem große Motivation, ihre Botschaft den Leuten weiterzugeben. So etwas darf nie wieder passieren.
Woher rührt Ihr Interesse an der NS-Zeit? Mein Vater hat mich seinerzeit das erste Mal für ein verlängertes Wochenende mit nach München genommen, auch um mit mir das Konzentrationslager in Dachau zu besichtigen. Daran kann ich mich noch heute sehr gut erinnern. Mich hat das total mitgenommen damals: wie real die Geschichte plötzlich wird, die man nur aus Erzählungen kennt. Die Bilder zu sehen, ist das eine, aber dann in den Hof des KZs zu gehen und die Orte abzulaufen, die man von den Fotos kennt, dort hinzugehen, wo sich einst Berge von leblosen Menschenkörpern türmten. Da schäme ich mich auch nicht für meine Tränen, die mir gekommen sind, als ich letztes Jahr wieder dort war. Ich schäme mich nur für unsere Geschichte.
Wie schwierig ist es, die Bodenhaftung zu bewahren, wenn man so umschwärmt wird wie Sie, der eigene Marktwert auf 70 Mio. taxiert wird und man Millionen auf dem Konto hat? Ich finde es okay, wenn man sich aufgrund seines Erfolgs schöne Sachen und Urlaube gönnt und auch manchen Luxus genießt. Ich mache daraus gar keinen Hehl. Für mich schließt das eine das andere nicht aus. Ich habe genug Leute um mich herum, die mich auch schon mal darauf hinweisen, dass ich meine Nudeln mit demselben Wasser koche wie sie. Das mit dem Abheben hat sich dann meist schnell wieder erledigt. Ich sehe es als großes Glück an, dass ich die richtigen Freunde um mich herum habe und auch meine Familie, die mich immer wieder auf den Teppich zurückholen.
Dann sind Sie eher Reisender zwischen den Welten – das Jetset-Dasein des Profi-Kickers einerseits und der Bochumer Junge andererseits? Ja, das trifft es ziemlich genau – ein Reisender zwischen den Welten. Das ist so ein Spagat, den ich da mache.
Welche Werte prägen Ihr Leben? Ich komme ja aus dem Ruhrgebiet, da sind die Menschen bodenständig. Ehrliche Arbeit hat sich da ausgezahlt, das prägt die Leute und auch meine Familie. Mein Vater hat Jahrzehnte bei Opel gearbeitet. Das Werk stand, seit ich denken kann, zigmal vor der Schließung und er damit kurz davor, seinen Job zu verlieren. Die Menschen halten hier zusammen. Man spricht direkt und offen miteinander. Und auch pädagogisch habe ich so ziemlich alles durchlaufen: vom Waldorfkindergarten, Grundschule, Realschule mit hohem Ausländeranteil, dann 2014 mein Abitur am Berufskolleg in Bochum. Zu wem schauen Sie auf, wer inspiriert Sie? Menschlich gesehen auf jeden Fall mein Papa. Er hat mir einfach viel seiner Lebensweisheit mitgegeben. Auch meine Mutter. Überhaupt meine Familie. Die Werte, die sie mir vermittelt haben, prägen mich noch heute. Wenn ich mein Leben mal genauso hinbekomme wie mein Vater und meine Mutter, dann habe ich vieles richtig gemacht.
MEIN VATER HAT MIR VIEL VON SEINER LEBENSWEISHEIT MITGEGEBEN
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