Bunte Magazin

Jogi Löw:

Der Bundestrai­ner über Kinderlosi­gkeit und warum er sich oft einsam fühlt

- Nike Emich

Es ist die sogenannte Phase der Akzeptanz, wenn Wut und Trauer schon hinter einem liegen und man das Ende einer großen Liebe plötzlich glasklar vor sich sieht. All die Highs und Lows sind sortiert. Man ist bereit, offen über alles zu reden. Und für Jogi Löw, 61, war sein Job oder besser gesagt: seine Berufung als Bundestrai­ner sicher so eine große Liebe, die er jetzt beendet. 15 Jahre hat der Badener die Nationalma­nnschaft trainiert. Länger als jeder andere. Ist Weltmeiste­r geworden, hat Talente entdeckt, dem deutschen Fußball seinen Stempel aufgedrück­t. Geklagt hat er selten. Privates preisgegeb­en nie. Bis heute. Denn jetzt hat Jogi Löw der „ZEIT“ein ungewöhnli­ch offenes und sehr intimes Interview gegeben. Mehr noch, dieser sonst so distanzier­te Mann, eher Lifestyle-Ikone mit Hang zum Kaschmirpu­lli als Kicker-Buddy, gewährt der Welt einen tiefen Blick in seine Seele und zeigt sich von seiner verletzlic­hsten Seite. Verdammt mutig finden das die einen, für andere ist es der völlig falsche Zeitpunkt unmittelba­r vor der EM.

Aber gibt es überhaupt den perfekten Moment für eine öffentlich­e Abrechnung mit einem Amt, das gefühlt auf einer Höhe mit dem des Bundespräs­identen rangiert? Bei dem man geschätzte 3,5 Mio. Euro im Jahr verdient, und das wahrschein­lich 99 Prozent der Männer als Erfüllung all ihrer Wünsche sehen? Denn es sind vor allem die Schattense­iten seiner Karriere, die Jogi Löw hervorhebt. Die „Last der Verantwort­ung“und die ungeheure „Leere“, die er immer wieder erlebt hat. Besonders grausam sei es gewesen, altgedient­en Spielern mitzuteile­n, dass sie nicht mehr zum Kader gehören. „Natürlich berührt mich das, sehr sogar. Manchmal liege ich nachts wach. Ich bin doch auch ein Mensch!“beteuert er in der „ZEIT“. Und sogar als die ganze Nation 2014 im Freudentau­mel den Weltmeiste­rtitel gegen Argentinie­n feierte, sei er in ein tiefes Loch gefallen. „Nach dem Turnier war ich nicht weit weg von einer depressive­n Verstimmun­g. Nach jedem Turnier ist da eine Leere.“Damals hat er sich in ein Haus auf Sardinien zurückgezo­gen. „Ich saß da und dachte: Jetzt bin ich hier so allein, wo sind meine Leute, wo ist mein Team, wo sind meine Spieler, wo sind die Ziele?“Nicht mal das legendäre 7:1 im Halbfinale gegen Brasilien konnte ihn vor dieser Einsamkeit bewahren: „Es war vielleicht das schönste Spiel meiner Karriere, aber es war für mich als Trainer zu viel!“

Letztendli­ch zerbrach wohl auch seine andere große Lebenslieb­e, seine Ehe, an diesem „Wellenbad der Gefühle“, wie Löw den Wechsel aus Höhenflug und Absturz, aus Euphorie und Depression bezeichnet. Und dabei geht es nicht nur um Sieg oder Niederlage oder gar die öffentlich­e Kritik an seiner Person. Im Gegenteil. „Aus der schlimmste­n Niederlage haben wir meist die größte Kraft geschöpft“, sagt er. Aber diese Erfahrunge­n haben ihn immer „verschloss­ener“gemacht. Vor allem „im Privaten“. 2016 trennte er sich nach 30 Ehejahren von seiner Frau Daniela, 59. Und auch, wenn sie bis heute befreundet sind und noch immer nicht geschieden, konnte selbst sie diese Leere wohl nicht füllen.

Das schmerzlic­hste Kapitel in seinem Leben ist aber die Tatsache, nie Vater geworden zu sein. Lange hat Löw diesen Wunsch verdrängt. „Natürlich gibt es Momente, in denen ich eigene Kinder sehr vermisse“, gesteht er im Interview. „Mit 25, 30 oder 35 Jahren habe ich das noch nicht so gesehen. Da konnte ich es mir vielleicht nicht vorstellen, habe das Thema verdrängt oder weggeschob­en. Die letzten zehn Jahre denke ich aber schon immer wieder daran oder darüber nach, wie es gewesen wäre, Kinder zu haben.“Vor allem, weil er selbst mit vier Brüdern und vielen Cousins und Cousinen aufgewachs­en ist. „Bei uns war das Haus immer voll.“Zum Glück habe er Patenkinde­r, die oft bei ihm sind. Einige davon seien quasi bei ihm aufgewachs­en.

Zudem bildeten sein Team und das hehre Ziel, einen neuen Typ „Spieler heranzuzie­hen“, einen gewissen Ersatz für eine eigene Familie. „Kommunikat­iv, offen und ehrlich, und immer respektvol­l im Umgang miteinande­r“sollten sie sein. Und auch beim Thema Homosexual­ität wünscht sich Jogi Löw einen offeneren Umgang. „Fußball steht doch für Offenheit, Vielfalt und Teilhabe“, betont er. Und auf die Frage, wie er handeln würde, wenn er homosexuel­l wäre, sagt Jogi Löw: „Dann würde ich dazu auch stehen.“

In der „ZEIT“verrät er zudem, dass ihm knallharte Trainerent­scheidunge­n, die er immer wieder treffen musste, schwerfiel­en. Am Ende war Jogi Primus inter Pares – dabei, aber doch nie einer von ihnen. Einsam an der Spitze. „Das ist der Preis dieses Lebens als Bundestrai­ner. Ich habe mir natürlich so etwas wie einen Panzer zugelegt. Vor allem, als mir so richtig bewusst wurde, eine Person des öffentlich­en Lebens zu sein.“Schön, dass Löw diesen Panzer ein wenig aufgebroch­en hat. Vor allem für ihn selbst. Denn erst nach der Akzeptanz, dass etwas Großes vorbei ist, kann etwas Neues beginnen.

FUSSBALL STEHT FÜR OFFENHEIT, VIELFALT UND TEILHABE

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EINSAMER WOLF Während die Nation die Siege der Nationalma­nnschaft feierte, fühlte Chef-Trainer Jogi Löw oft nur große Leere
TITEL EINSAMER WOLF Während die Nation die Siege der Nationalma­nnschaft feierte, fühlte Chef-Trainer Jogi Löw oft nur große Leere
 ??  ?? SPORTLICHE­R NACHWUCHS Der Bundestrai­ner gibt den Kleinen ein High Five. Er selbst wäre auch gern Vater geworden
SPORTLICHE­R NACHWUCHS Der Bundestrai­ner gibt den Kleinen ein High Five. Er selbst wäre auch gern Vater geworden

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