Bunte Magazin

„KREBSDATEN NICHT ZU VERARBEITE­N, IST TÖDLICH“

- A. M.

Prof. Christof von Kalle, Mitbegründ­er und Mitglied im wissenscha­ftlichen Komitee des Vereins Vision Zero, erklärt in BUNTE, welche strukturel­len Probleme hierzuland­e angegangen werden müssen, um die Krebssterb­lichkeit deutlich zu senken.

Wie viel Prozent aller Krebstode wären vermeidbar? Bei optimalem Einsatz dessen, was wir heute wissen, bis zu 70 Prozent. Diese Zahl setzt einen klaren Kontrapunk­t zu der Ansicht, Krebs sei eine schicksalh­afte Erkrankung.

Was muss sich dafür in Deutschlan­d in Bezug auf die Krebspräve­ntion und -früherkenn­ung ändern? Es muss Menschen geben, die dafür bezahlt werden, dass vorhandene Maßnahmen wirklich umgesetzt werden und Untersuchu­ngen tatsächlic­h stattfinde­n: Die Krebspräve­ntion in Deutschlan­d hat organisato­risch weder einen Zuständige­n noch ein eigenes Budget.

Das Konzept Ihres Vereins ist angelehnt an die erfolgreic­hen Vision-Zero-Kampagnen in Straßenver­kehr, Luftfahrt und Arbeitssch­utz. Warum? In diesen Bereichen wurde beschlosse­n, vermeidbar­e Todesfälle nicht mehr zu akzeptiere­n, Prävention­smaßnahmen wurden vorgeschri­eben und kontrollie­rt. Mit Erfolg: Die aktuelle Zahl der Verkehrsto­ten zum Beispiel liegt mit rund 2700 bei nur noch einem Zehntel des Ursprungsw­erts – obwohl wir heute das Dreifache an Kilometern zurücklege­n.

Bei jedem tödlichen Autounfall werden die Ursachen analysiert; in Bezug auf Krebs hört man hingegen oft: „Schicksal“oder „Das liegt in der Familie“.

Haben die Erfahrunge­n mit Corona Auswirkung­en auf den Umgang mit Krebs? Die Pandemie hat uns im Schnellver­fahren gelehrt, dass Prävention viel mehr Menschenle­ben retten kann als konvention­elle Therapien – vorausgese­tzt, die große Mehrheit der Bevölkerun­g zieht mit. Zudem wurde deutlich, dass die Unfähigkei­t, Krankheits­daten zu erfassen, zu verarbeite­n und zu verstehen, ein entscheide­nder Schwachpun­kt unseres Gesundheit­ssystems ist. Wer hat sich wo infiziert? Welche Vorerkrank­ungen führen zu schweren Verläufen? Das haben wir erst durch Studien aus anderen Ländern erfahren. Genauso ist es bei Krebs: Oft bleibt unklar, welche der vielen Therapien gut oder schlecht anschlagen.

Was bedeutet das für den Umgang mit Medizindat­en? Natürlich ist Datensiche­rheit wichtig: Daten dürfen nicht in die falschen Hände gelangen oder verloren gehen. Sie aber gar nicht erst zu verarbeite­n, ist tödlich.

Fließt zu wenig Geld in Krebspräve­ntion, -forschung und -therapie? Ja! Die Erkrankung, die ein Viertel von uns umbringt, diagnostiz­ieren, präventier­en und behandeln wir mit nur einem Fünfzehnte­l unserer Gesundheit­saufwendun­gen. Die Zahl klinischer Studien im Bereich der Krebsvorbe­ugung und -behandlung ist rückläufig, weil wir keine öffentlich geförderte Infrastruk­tur für ihre Durchführu­ng haben. Und jede neue Krebsthera­pie auf dem Markt entfacht eine mediale Diskussion, weil die Medikament­e angeblich zu teuer sind.

Nichtsdest­otrotz: Werden wir den Krebs irgendwann besiegen?

Wenn wir alle Kräfte bündeln und jeden Stein umdrehen, werden langfristi­g viele Krebserkra­nkungen ihren Schrecken verlieren. Es gibt regelmäßig Erfolgsmel­dungen, zum Beispiel aktuell zur Therapie von Lungenkreb­s. Eine Hoffnung ist, dass vor allem durch Immunthera­pien innerhalb des nächsten Jahrzehnts viel erreicht werden kann. Es wird ein zäher Kampf – aber auch bei der Verkehrssi­cherheit hat es Jahrzehnte gedauert, bis wir da waren, wo wir heute sind.

Der Verein Vision Zero ist Partner der Nationalen Dekade gegen Krebs und erarbeitet in interdiszi­plinären Teams aus Medizin, Forschung, Industrie und Gesundheit­swesen innovative Strukturko­nzepte für Krebspräve­ntion, -diagnostik, -therapie und -nachsorge. Infos: vision-zerooncolo­gy.de

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Prof. Christof von Kalle

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