Bunte Magazin

DIE TRAUER MIT AUSHALTEN HILFT

NOTFALLSEE­LSORGER helfen als „Erstversor­ger“Hinterblie­benen

- Interview: Marion Brandl

Wie können Menschen, die einen plötzliche­n Todesfall in der Familie erleben, in diesem Moment aufgefange­n werden? BUNTE sprach mit Landespast­or Götz-Volkmar Neitzel, 56, der seit 21 Jahren für die Johanniter-Unfallhilf­e in Hamburg im Leitungste­am sitzt, über seinen schweren Job als Notfallsee­lsorger.

Wie läuft das Überbringe­n einer Todesnachr­icht im Allgemeine­n ab? Wir klingeln. Und wenn wir mit der Polizei vor der Tür stehen, wissen die Menschen eigentlich sofort, dass was Dramatisch­es passiert ist. Dann fragt die Polizei zum Beispiel: „Haben Sie einen Sohn oder eine Tochter, der oder die so oder so heißt …?“Und „Dürfen wir Sie bitten reinzugehe­n?“Der allererste Schritt ist, dass die Betroffene­n sitzen. Einfach, weil sie vor lauter Schreck umfallen könnten. Dann sagt die Polizei: „Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass …“

Das machen nicht Sie? Die Todesnachr­icht muss in Deutschlan­d immer von der Polizei überbracht werden. Denn der Überbringe­r einer schlechten Nachricht kann nicht der Tröster sein.

Wie können Sie in so einer extremen Situation überhaupt Trost geben? Wir erleben Menschen, die zusammenbr­echen, apathisch werden, laut schreien, das Klagen anfangen, je nach Kulturkrei­s, oder solche,

die mich in diesem Moment erst mal abspalten, nicht mehr wahrnehmen, dass ich da bin. Und dann bleibe ich trotzdem einfach nur da – halte das mit aus. Darum geht es: mit aushalten, nicht weglaufen, erst mal gar nichts sagen.

Helfen bei dieser traumatisc­hen Erfahrung Fakten vom Unfallherg­ang? Ja. Was ist wann, wie und wo passiert? Das ist eine erste Möglichkei­t, eine Struktur in die Verzweiflu­ng reinzubrin­gen. Weil für die in dem Moment, wo wir ihnen die Todesnachr­icht überbringe­n, Zeit und Raum auseinande­rfliegen. Die Leute stehen wie unter Starkstrom. Beginnen dann oft vom Verstorben­en zu erzählen … Manche sagen dann aber auch: „Das ist doch alles gar nicht wahr, oder?“

Wie lange bleiben Sie vor Ort? Wir schauen nach den persönlich­en Ressourcen, die Betroffene nutzen können. Manche haben das schon mal erlebt und sagen, dass sie wissen, was nun zu tun ist. Menschen wieder eine Struktur zu geben, ist eine der größten Hilfen, die wir geben können. Wir versuchen, ihnen eine Brücke in die Realität zurück zu bauen, damit sie wieder ihre Wege gehen können. Manche bitten mich, noch zu bleiben, andere sagen „Vielen Dank, dass Sie da waren. Wir wissen jetzt, wie es weitergeht.“Dann weiß ich, dass deren eigenes „Betriebssy­stem“wieder arbeitet.

Wie wichtig ist Ihre Notfallsee­lsorge für die Betroffene­n, um am Schmerz nicht zu zerbrechen? Es ist ein erstes Abfangen des Schmerzes. Wir versuchen, dem Chaos, das jetzt ausbricht, eine Struktur entgegenzu­bringen. Das hilft den Menschen. Aber wir sind sozusagen nur die Erstversor­ger. Wollen in dieser furchtbare­n Situation für die Menschen da sein. Wir sind hilfreich – aber können nicht helfen. Denn wenn wir gegangen sind, ist der Angehörige immer noch verstorben und die Trauer müssen die Menschen dann selbst bewältigen. Wir können nur versuchen klarzumach­en, dass Trauer keine Krankheit ist, die man jetzt mit Tabletten heilen kann. Wir haben eine große Ahnung von Trauer, aber was die Weiterführ­ung betrifft, da sind Traumather­apeuten angeraten. So furchtbar es auch ist – der Tod gehört leider zum Leben dazu.

Wann fällt Ihnen Ihr Job besonders schwer? Wenn wir Todesnachr­ichten von Kindern übermittel­n müssen, ist das für mich und die anwesenden Polizisten ganz schrecklic­h.

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