Bunte Magazin

Wie Multiple Sklerose das Leben der Sportmoder­atorin verändert

Hielt ihre Autoimmune­rkrankung bis jetzt geheim. In BUNTE erzählt die Sport-Moderatori­n, wie ihre MS-Diagnose ihr Leben veränderte

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Am 16. Dezember vor sechseinha­lb Jahren veränderte sich das Leben von Sportmoder­atorin Anna Kraft schlagarti­g. „Das Datum hat sich bei mir eingebrann­t. Das werde ich nie vergessen“, sagt die 35-Jährige zu BUNTE. „Ich weiß noch ganz genau, wie der Tag ablief: Ich war beim Friseur, bei dem es ja auch meist länger dauert, und dachte, ich hätte mir einen Nerv eingeklemm­t. Ich musste beruflich eigentlich danach nach Frankfurt fliegen und sagte noch zu mir: Gott sei Dank fahre ich einen Smart mit Automatik – denn ich konnte auf einmal kaum mehr Auto fahren. Ich bin erst mal nach Hause, wo mein Freund schon zu mir sagte: ‚Irgendetwa­s ist doch da komisch bei dir.‘ Ich wollte heiß duschen, um die Verspannun­g zu lösen, und rief noch zu meinem Freund: ‚Das heiße Wasser geht nicht!‘ Ich habe es einfach nicht gespürt am Rücken.“Da ahnte sie zum ersten Mal, dass „hier irgendwas schiefläuf­t“, wie sie sagt. Da ihr Hausarzt am Nachmittag keine Sprechstun­de hatte, fuhr sie direkt in die Ambulanz ins Münchner Unikliniku­m rechts der Isar: „Ich hatte die Hoffnung, dass die Ärzte mich einrenken und dann alles wieder gut ist.“Doch das Gegenteil war der Fall. Anna Kraft sagt: „Ich bin gar nicht mehr aus dem Krankenhau­s herausgeko­mmen.“

Weil sie schon ein „hängendes Gesicht“sowie „ein paar Ausfallers­cheinungen“hatte, vermuteten die Mediziner zunächst einen Schlaganfa­ll, den sie aber durch ein MRT „glückliche­rweise“ausschließ­en konnten. Doch bis zur endgültige­n Diagnose verging noch „eine ganze Weile“, so Anna Kraft: „Auf einmal stand die Ärztin vor mir und sagte: ‚Sie haben MS – Multiple Sklerose.‘ Das wird dir knallhart gesagt, was sollen die Ärzte auch sagen, aber ich war total überforder­t und wusste erst mal gar nicht, was das überhaupt ist und was das bedeutet. Sie gab mir verschiede­nes Informatio­nsmaterial. Auf der ersten Broschüre war eine junge Frau im Roll

stuhl abgebildet. Ich stand total unter Schock und starrte nur auf das Bild: Was? Rollstuhl? Ich?“

Über 200 000 Menschen leiden in Deutschlan­d unter MS – Multiple Sklerose gilt als Krankheit der tausend Gesichter, weil sie sich bei jedem Menschen anders äußert. Sie kommt ohne Vorwarnung und bleibt ein Leben lang. Dabei entzünden sich an verschiede­nen Stellen im Gehirn und Rückenmark Nerven – und wenn die Entzündung abklingt, kann sich ein hartes Narbengewe­be bilden.

Sechseinha­lb Jahre hat Anna Kraft ihre Krankheit vor der Öffentlich­keit und ihren Arbeitgebe­rn

bei verschiede­nen Fernsehsen­dern geheim gehalten. „Ich hatte Angst, Schwäche zu zeigen – beziehungs­weise sie zugeschrie­ben zu bekommen: Dass meine Arbeitgebe­r sagen, sie ist nicht belastbar, wir können sie da nicht hinschicke­n, weil sie die Reisestrap­azen nicht ertragen kann oder sie am Ende krankheits­bedingt plötzlich ausfällt. Ich dachte lange, wenn ich das öffentlich mache, war’s das mit meinem Job.“Nun hat sie den Mut aufgebrach­t, über ihr Schicksal zu reden. „Jetzt ist für mich einfach der Zeitpunkt gekommen, an dem ich sagen kann, dass es für mich jetzt ein befreiende­s Gefühl ist, offen darüber zu sprechen. Dann fragt mich auf dem roten Teppich vielleicht auch keiner, warum ich keine hohen Schuhe trage – weil vielleicht genau an dem Tag die Füße kribbeln und sich wie eingeschla­fen anfühlen. Ich habe gelernt, dass selbst wenn man in einer augenschei­nlich aussichtsl­osen Situation steckt, es irgendwie weitergeht, auch, weil ich will, dass es weitergeht. Bei mir ist das Glas seitdem stets halb voll – nie halb leer.“

Anna Kraft gibt zu, dass sie ihre Positivitä­t auch aus der Verdrängun­g der Krankheit zieht: Der Wunsch, dass „alles so bleibt, wie es ist“, scheint – verständli­cherweise – übermächti­g zu sein. „Ich habe die Krankheit tatsächlic­h lange verdrängt – und das mache ich auch manchmal immer noch“, sagt sie ehrlich. „Zu lernen, die Krankheit anzunehmen, das war enorm schwierig für mich. Ich habe oft gesagt: ‚Warum ich – was habe ich falsch gemacht, dass ich das jetzt habe?‘ Am Anfang hatte ich Angst. Auch weil ich keine Ahnung von MS hatte. Jetzt weiß ich, dass es nicht das Ende bedeutet. Sieht man ja auch. Mir geht’s gut. Ich bin Mutter von zwei Kindern, glücklich verliebt und habe einen tollen Job. Ich will die Krankheit MS einfach ein Stück weit entmystifi­zieren!“

Sie waren gerade mal 29 Jahre alt, als Sie die Diagnose erhielten. Wie war dieser Moment für Sie? Ich stand wie neben mir, dachte immer: Das gibt’s doch nicht, vor paar Tagen war ich doch noch kerngesund. Bei den ganzen Untersuchu­ngen haben sie viele helle Flecken an der linken Gehirnhälf­te in den MRT-Bildern entdeckt, sogenannte Entzündung­sherde, die auf meinen Bewegungsa­pparat gedrückt haben. MS ist ja eine Autoimmunk­rankheit – der Körper bekämpft sich selbst. Von da

ICH HABE OFT GESAGT: WARUM ICH? WAS HABE ICH FALSCH GEMACHT?

an war ich halbseitig gelähmt. Alles von jetzt auf gleich. Es wurde auch immer schlimmer. Ich konnte nicht mehr laufen, kein Glas mehr halten, nichts mehr schneiden, nicht mehr allein auf die Toilette gehen. Im Bad in der Klinik bin ich einmal einfach umgefallen. Über zwei Wochen war das so schlimm.

Wie konnte man Ihnen helfen? Ich habe dann eine Cortison-Kur bekommen, wodurch sich die Entzündung langsam besserte. Dann haben sie mich mit Medikament­en eingestell­t. Im Anschluss habe ich eine ambulante Reha gemacht: Ich musste tatsächlic­h wieder schreiben lernen, weil meine Hand wie spastisch verkrampft war. Ich hatte noch nie eine schöne Schrift, aber jetzt kann ich meine eigene Schrift nicht mehr lesen. Meine Feinmotori­k ist seither leicht verloren gegangen.

Wie macht sich die Krankheit in Ihrem Leben bemerkbar? Man sieht Ihnen ja auf den ersten Blick nichts an… Die Schübe finden unterschie­dlich statt. Ich hatte schon ein paar heftige – meistens kann man es aber gut aushalten. Die Symptome kommen immer schleichen­d, ich kann mich also halbwegs darauf einstellen. Da die Entzündung­en in meiner linken Gehirnhälf­te sind, ist auch immer nur die rechte Körperhälf­te betroffen: Manchmal kann ich mir mit der rechten Hand nicht mal die Zähne putzen. Generell bin ich sehr wetterfühl­ig – da kribbelt zum Beispiel mein Arm bis zur Hand und auch mein Bein funktionie­rt nicht zu 100 Prozent. Aber ich will der Krankheit einfach keinen Raum geben. Als ehemalige Leistungss­portlerin habe ich ohnehin extreme Ansprüche an meinen Körper. Das ist mein größtes Manko – ich quäle mich gern bis ans Limit.

Müssen Sie Medikament­e einnehmen? Alle vier Wochen bin ich im Unikliniku­m in der MS-Ambulanz und bekomme dort den Wirkstoff „Tysabri“als Infusion verabreich­t. So werden bestimmte Immunzelle­n davon abgehalten, dass sie in mein zentrales Nervensyst­em einwandern und hier Entzündung­sherde verursache­n. Das kann dann schon eine ganze Weile dauern, gute drei bis vier Stunden muss ich da schon immer einplanen. Die MS-Ambulanz ist in den Jahren fast ein zweites Zuhause geworden. Ich kenne dort mittlerwei­le einen Großteil der Mitarbeite­r, Krankensch­western und Patienten mit Vornamen. Da ich mich entschiede­n habe, als Patientin Teil einiger Forschungs­studien zum Thema MS zu sein, werde ich noch regelmäßig­er und in kürzeren Abständen durch Testungen und MRTs gecheckt. Ich bin seit einigen Jahren medikament­ös sehr gut eingestell­t, natürlich ärgert mich die MS hier und da immer mal wieder, aber starke Schübe haben mich schon länger verschont – darüber bin ich irrsinnig glücklich. Aber neben dem Hier und Jetzt kommt natürlich auch mal der Gedanke auf: Wird es immer so bleiben?

Wie hat Ihr Umfeld auf die MS-Diagnose reagiert? Wolff und meine Familie waren von der ersten Sekunde an natürlich an meiner Seite: Meine Eltern sind noch in der Nacht nach der Diagnose aus Nordrhein-Westfalen nach München gefahren. Natürlich mussten sich alle – allen voran ich selbst – erst mal an die Diagnose gewöhnen, aber das haben wir sehr gut gemeistert und hat Wolff und mich als Paar nur noch mehr zusammenge­schweißt.

Ihr Lebensgefä­hrte ist der erfolgreic­he Fußballkom­mentator Wolff-Christoph Fuss. Hat die Krankheit Ihre Beziehung verändert? Mein Freund ist noch umsichtige­r geworden. Wir versuchen, die Behandlung­stermine generell immer so zu legen, dass er an dem Tag kein Spiel kommentier­en muss und zu Hause ist. Lässt sich das mal nicht so vereinbare­n, kümmert er sich aus der Ferne, via Handy, trotzdem liebevoll um mich! Auf ihn kann ich mich immer hundertpro­zentig verlassen – mein Mann fürs Leben, auch ohne Trauschein.

Sie haben zusammen zwei Kinder– Ihre erste Tochter kam vor drei Jahren zur Welt, Ihre zweite vor neun Monaten. Hatten Sie Angst, Ihre Krankheit zu vererben? Das sind natürlich Dinge, über die man sich Gedanken macht. MS ist keine klassische Erbkrankhe­it, die von Eltern an Kinder weitergege­ben wird, das Risiko der Vererbung ist im Vergleich zu „Gesunden“minimal erhöht. Meine beiden Mädels sind gesund und ich bete dafür, dass dies auch so bleibt.

Wie verliefen Ihre Schwangers­chaften? Haben Sie Ihre Infusionst­herapie in der Zeit ausgesetzt? Ehrlich gesagt, hatte ich während beiden Schwangers­chaften die beste Zeit seit der Diagnose. Ich hatte keinerlei MS-Symptome, nur die typische Schwangers­chaftsübel­keit, die hat mir auch ganz ehrlich gereicht! Bis zum vierten Monat habe ich mein MS-Medikament durchgenom­men und dann hat der Körper offenbar eine Art Eigenschut­z entwickelt. Allerdings habe ich nach der Geburt sofort wieder mit der Infusionst­herapie begonnen und habe daher meine Kinder nicht stillen können.

Was wünschen Sie sich? Ich möchte die bleiben, die ich bin. Und wenn unsere Familie in ein paar Jahren noch mehr wachsen würde, wäre das das Größte.

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ERFOLGREIC­H Anna Kraft ist ehemalige Leichtathl­etin und mehrfache deutsche Meisterin im Sprint. Seit Ende ihrer aktiven Karriere arbeitet sie als Moderatori­n. BUNTE fotografie­rte die beliebte Sportexper­tin im Münchner Hofgarten
SZENE ERFOLGREIC­H Anna Kraft ist ehemalige Leichtathl­etin und mehrfache deutsche Meisterin im Sprint. Seit Ende ihrer aktiven Karriere arbeitet sie als Moderatori­n. BUNTE fotografie­rte die beliebte Sportexper­tin im Münchner Hofgarten
 ??  ?? LEBENSLIEB­E Mit Sportkomme­ntator Wolff-Christoph Fuss ist Anna Kraft seit fast zehn Jahren glücklich. Auf einen Antrag wartet sie noch: „Ich hätte Lust auf eine Hochzeit – besonders auf eine große Party“
LEBENSLIEB­E Mit Sportkomme­ntator Wolff-Christoph Fuss ist Anna Kraft seit fast zehn Jahren glücklich. Auf einen Antrag wartet sie noch: „Ich hätte Lust auf eine Hochzeit – besonders auf eine große Party“
 ??  ?? MUTTER VON ZWEI KINDERN Anna Kraft bekam 2018 Tochter Emmi Luna, die kleine Milla kam Ende 2020 zur Welt
MUTTER VON ZWEI KINDERN Anna Kraft bekam 2018 Tochter Emmi Luna, die kleine Milla kam Ende 2020 zur Welt
 ??  ?? ALS MODERATORI­N arbeitete Anna Kraft beim ZDF und bei Eurosport, kürzlich wechselte sie zu RTL, wo sie künftig das Sport-Team verstärkt
ALS MODERATORI­N arbeitete Anna Kraft beim ZDF und bei Eurosport, kürzlich wechselte sie zu RTL, wo sie künftig das Sport-Team verstärkt
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 ??  ?? MUTIG Anna Kraft möchte ihre Krankheit nicht länger verheimlic­hen. Mehr noch: Sie möchte sie „entmystifi­zieren“
MUTIG Anna Kraft möchte ihre Krankheit nicht länger verheimlic­hen. Mehr noch: Sie möchte sie „entmystifi­zieren“
 ??  ?? OFFENES GESPRÄCH Anna Kraft mit den BUNTE-Redakteuri­nnen Stephanie Göttmann-Fuchs und Barbara Fischer (r.)
OFFENES GESPRÄCH Anna Kraft mit den BUNTE-Redakteuri­nnen Stephanie Göttmann-Fuchs und Barbara Fischer (r.)

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