Es ist nie zu spät, die Hand zu reichen
Allzu oft, wenn wir uns über einen anderen Menschen ärgern, entfährt uns dieser eine unversöhnliche Satz: „Das verzeih ich dir nie!“Dem Kollegen, der sich über eine Dienstanordnung einfach hinwegsetzt und sein Team leichtfertig vor Probleme stellt. Der Freundin, die zum wiederholten Mal eine Verabredung platzen lässt, obwohl es diesmal um ein großes Problem geht, das man allein nicht zu lösen glaubt. Dem Nachbarn, der sich mit einer dreisten Lüge einen größeren Geldbetrag ausleiht, wohl wissend, dass er ihn nicht zurückzahlen kann. Wir sind schnell dabei, unsere Mitmenschen zu verdammen. Doch machen wir uns dadurch das Leben wirklich leichter?
Allen Grund, unversöhnlich zu sein, hätte die Jüdin Margot Friedländer. Die fast hundertjährige Berlinerin lebte im Dritten Reich 15 Monate lang im Untergrund, versteckte sich vor den Nazis an manchmal täglich wechselnden Orten, unter kaum vorstellbaren Bedingungen.
Bis man sie im April 1944 aufspürte und in das Konzentrationslager Theresienstadt verschleppte. Nach der Befreiung wanderte sie mit ihrem Mann, den sie im Konzentrationslager heiratete, nach New York aus. Jetzt lebt sie wieder in ihrer alten Heimat Berlin. Kann sie denn jemals vergeben? „Ich denke anders“, sagt Margot Friedländer, „ich glaube, dass in jedem Menschen etwas Gutes steckt. Ich bin zurückgekommen, um mit den Menschen hier zu reden und ihnen die Hand zu reichen. Ich bin nicht verbittert. Ich bin voller Hoffnung.“
Darin liegt die wahre Stärke eines Menschen. In der Fähigkeit, zu vergeben. Wut, Hass und Verbitterung fressen unsere Seele auf. Und sie haben keine Wirkung – außer der zersetzenden Wirkung auf uns selbst. Die Person, der diese starken und negativen Gefühle gelten, nimmt diese gar nicht wahr. Nur wir selbst. Eigentlich wollen wir doch in Ruhe, Frieden und Freude leben. Unbeschwert! Warum reichen wir dann nicht dem anderen die Hand? Es nimmt eine Last von uns. Und es kann sogar der Anfang einer wahren Freundschaft sein.
Der Gelassene nimmt das Leben ernst, nicht schwer.