Bunte Magazin

Der Film, der auf seinem GEWISSEN lastete

MARIO ADORF Der Star rehabiliti­erte in Berlin ein Nazi-Opfer

- Georg Seitz

Wäre er damals nicht schon so gut gewesen, wäre er vielleicht nie der Mario Adorf geworden, den heute alle kennen. Doch er war verdammt gut. Adorf spielte 1957 sehr überzeugen­d einen Mann, der als Mörder galt. Er bekam den Bundesfilm­preis dafür, es war der Beginn seiner Karriere.

Aber es war eine Lüge. Bruno Lüdke, geboren 1908 in Berlin, den Adorf verkörpert­e, war kein Mörder. Er war ein Opfer, wie Historiker heute wissen. Nazis hatten dem geistig behinderte­n Kutscher mehr als 50 Morde in die Schuhe geschoben und ihn als schlimmste­n deutschen Serienmörd­er verleumdet. Lüdke war die Inkarnatio­n des Bösen, Adorf hatte ihm in „Nachts, wenn der Teufel kam“ein Gesicht gegeben. „Es war keine Schuld, die ich fühlte, aber doch eine Verantwort­ung“, erklärte der Schauspiel­er in einem BUNTE-Interview.

Bruno Lüdke bekam nie einen Prozess, er wurde ermordet, 1944 in Wien, vermutlich im Rahmen eines Experiment­s mit vergiftete­r Munition, ausgeführt von Nazi-Ärzten. Als Adorf die ganze Wahrheit erfuhr, ließ sie ihn nicht mehr ruhen.

Er schrieb einen Brief an Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, den er lange nicht abschickte, lieber auf eine persönlich­e Begegnung wartete: Lüdke sollte einen jener Stolperste­ine bekommen, mit denen Nazi-Opfern gedacht wird. Ende August in Berlin-Köpenick, wo Lüdke mit seinen Eltern gelebt hatte, war es so weit.

Ein Blick auf das Alter der beiden Männer, die da in Berlin standen, zeigt die zeitliche Dimension dieser späten Rehabiliti­erung. Bundespräs­ident Steinmeier, in Würde ergraut mit 65, war gerade auf die Welt gekommen, als Adorf den vermeintli­chen Mörder spielte. Und letztes Jahr, als Adorf sich auf seinen 90. vorbereite­te, hätte er sehr gut einen entspannte­n Sommer in St-Tropez verbringen können, der Heimat seiner Frau Monique. Doch der Film, den er 63 Jahre zuvor gedreht hatte, lastete auf seinem Gewissen.

Am Tag nach der Würdigung von Lüdke wurde Adorf geehrt. Jaka Bizilj, 49, Gründer von „Cinema for Peace“, und Unternehme­r Hermann Bühlbecker, 71, hatten Schauspiel-Kollegen wie Michael Mendl, 77, oder David Bennent, 55, und Freunde in den „China Club“in Berlin geladen. Adorf wurde gepriesen als Mensch, der sich eine kritische Meinung leistet. Wäre er nicht schon immer mit aufrechter Haltung durchs Leben gegangen, wäre er vielleicht nie der Mario Adorf geworden, den alle lieben.

MARIO ADORF ÜBERNAHM VERANTWORT­UNG FÜR EINE SEINER ROLLEN

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VERHEIRATE­T SEIT 36 JAHREN Seine Ehefrau Monique begleitete Mario Adorf nach Berlin
 ?? ?? WÜRDIGUNG für Nazi-Opfer Bruno Lüdke: Mario Adorf (l.) und Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier bei der Verlegung des Stolperste­ins
WÜRDIGUNG für Nazi-Opfer Bruno Lüdke: Mario Adorf (l.) und Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier bei der Verlegung des Stolperste­ins
 ?? ?? „NACHTS, WENN DER TEUFEL KAM“Mario Adorf als Lüdke mit Rose Schäfer
„NACHTS, WENN DER TEUFEL KAM“Mario Adorf als Lüdke mit Rose Schäfer
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STOLPERSTE­IN für Bruno Lüdke

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