„Die Natur gibt uns so viel!“
Dass der Wald mein Lebensthema wird, wurde mir als junger Förster klar: Als ich 1992 alte Bäume absägen ließ, weil man das in diesem Job so macht, fiel eine Buche donnernd vor mir zu Boden. Diese Szene hat sich mir eingebrannt – und mich nachhaltig verändert. Seitdem kämpfe ich für die Erhaltung unseres Waldes.
Bäume sind nicht stumm, sie haben Gefühle und ein Gedächtnis, kümmern sich um Nachwuchs und ältere Verwandte. Studien belegen, dass Eichen mit Duftstoen Meisen anzeigen, wenn sie von Raupen befallen sind. Und im Wurzelbereich können die sanften Riesen das Wasser, das für sie so wichtig ist wie für Menschen Blut, hören.
Die Natur gibt uns so viel: Bäume kühlen, unter ihnen ist es bis zu zehn Grad kälter. Weil Bäume auch keine Wärme mögen. Deshalb sollten wir in den Städten auch viel mehr Bäume pflanzen: Es gibt Jahr für Jahr mehrere Tausend ältere Menschen, die an Hitze sterben. Bei einem Waldspaziergang reduziert sich der Blutdruck. Schon allein der Anblick der Farbe Grün entspannt, die Gerüche des Waldes auch. Bäume sind nicht nur Deko. Bäume sind eine hochwnirkdsame Arznei. Wir können unsere Wahrnehmung wieder trainieren – und empfinden danach intensiver. Wie nach einem Heilfasten. Der Geschmack des guten Lebens.
Manche glauben, es gibt auf der Erde den Menschen und die Natur. Irrtum. Wir sind ein Teil der Natur. In uns steckt im Kern noch das Tierische. Wir sind instinktgeleitet, zum Beispiel beim Essen oder Schnellfahren auf der Autobahn. Wären wir nur vernünftig, würden wir anders handeln – und hätten keine Probleme wie Fettleibigkeit oder Ressourcenverbrauch.
Auch das Artensterben geht uns an. Weil wir in der Natur alle im selben Boot sitzen. Alles hängt mit allem zusammen. In zwei Esslöeln Waldboden sind 40 000 Bakterienarten, deren Funktionen wir gar nicht auf dem Schirm haben. Selbst Zecken haben eine Funktion, weil sie das Ökosystem immer wieder herausfordern und stärker machen. Sie sind genauso wichtig wie niedliche und legendäre Tiere, die eine bessere Lobby haben: Auerhahn, Weißstorch, Luchs oder Wolf.
Die Natur ist ein Wunder an Widerstandskraft. Am Hamburger Hauptbahnhof habe ich auf Gleis 14 einmal einen kleinen Kirschbaum ausgraben lassen, der in einem Schotterbett blühte. Jetzt steht er im Garten meiner Waldakademie in der Eifel. Als kleines Symbol der Unverwüstlichkeit. Die Natur braucht uns nicht, aber wir brauchen sie.
Alte Bäume nenne ich gerne „Pflanzenelefanten“. Oder „Pflanzenwale“. Diese beiden Arten wurden gerettet. Weil wir hingeschaut haben. Das muss uns auch mit dem Wald gelingen. Ich bin kein Pessimist und glaube nicht an die Apokalypse. Die Zukunft ist gestaltbar, wenn wir nicht zaghaft sind.