Es geht um Freiheit
Margarete Stokowskis Feminismus
Mit „Untenrum frei“hat Margarete Stokowski eine fundierte, klare und definitiv die witzigste deutschsprachige Einführung in den Feminismus geschrieben. Eines dieser Bücher, die man Jugendlichen in die Hand drücken möchte, in der Hoffnung, dass sie ein geringfügig besseres Leben leben als wir in ihrem Alter.
Neulich hab ich eine Filterblase platzen sehen. Na ja, fast. Margarete Stokowski arbeitet seit Kurzem für eine Plattform, auf der Journalist*innen besonders gute Texte aus ihren Expertengebieten empfehlen. Noch bevor sie den ersten Artikel verlinkt hatte, verkündeten zwei Leser die Kündigung ihres Abonnements. Stokowski kuratiert zusammen mit zehn Kolleg*innen Inhalte für einen von insgesamt 20 Kanälen, von überwältigender Präsenz kann also kaum die Rede sein. „Ich hab Euch eigentlich abonniert, um Infos jenseits der Filterblase zu bekommen“, schrieb einer der Protestierenden. „Wenn das jetzt in Feminismus- und Gender-Gaga ausartet, seid ihr mich los.“In solchen Momenten wird mir bewusst, wie empfindlich so eine Filterblase ist.
Margarete Stokowski wurde 1986 geboren und wuchs in Neukölln auf – zweisprachig, Polnisch und Deutsch. Als Jugendliche wollte sie Physikerin werden, entschied sich aber nach dem Abitur für „das größere Abenteuer“der Philosophie. Seit 2009 arbeitet sie als freie Autorin, unter anderem für die taz, in der von 2012 bis 2015 ihre Kolumne „Luft und Liebe“erschien. Seit 2015 schreibt sie für Spiegel Online. Ihre Kolumne heißt „Oben und unten“. Sie kennt die Vorurteile, gegen die sie anschreibt. Kaum eine Bewegung wird so exzessiv und lustvoll missverstanden wie der Feminismus. Feministinnen gelten als „hysterische Hexen, die alle Männer kastrieren wollen“, oder als „gierige, faule Gören, die Fördergelder und Vorstandsposten kriegen wollen, obwohl sie ihr Sozialpädagogikstudium abgebrochen haben, weil sie lieber Plüschmuschis stricken wollten, und jetzt nicht wissen, wovon sie die Miete bezahlen sollen.“
DEFINITIONEN & SPRACHKRITIK
Selbst der Begriff ist schwierig: Ginge es wirklich um Gleichberechtigung, heißt es immer wieder, müsste man dann nicht „Equalismus“sagen? Auch darauf geht Stokowski in ihrem 2016 erschienenen Buch „Untenrum frei“ein: „Entschuldigung, aber geht es bei der ‚Anti-Atom-Bewegung‘ nur um Atome oder ‚gegen Atome‘? Der Name ist komplett irreführend, denn es geht der Bewegung ja nicht darum, Atome abzuschaffen, sondern die Nutzung von Atomkraft, aber sagt irgendwer ‚Ich gehe nicht zur Anti-AtomDemo, weil ich selbst aus Atomen bestehe!‘? Eben.“Wohlfeil ist auch die Kritik an gerechter Sprache, an Versuchen also, Frauen und Menschen, die aus der Zweigeschlechtlichkeit herausfallen, in einer auf Männer eingerichteten Sprache sichtbar zu machen. Als Lann Hornscheidt von der Berliner Humboldt-Universität 2014 mit geschlechtsneutralen Formen experimentierte, erhielt „x Profx“Morddrohungen und Vergewaltigungsfantasien. Die ungelenken Schachtelsätze und Rechtschreibfehler lassen vermuten, dass den Verfassern sprachliche Schönheit in jedem anderen Zusammenhang egal ist. Margarete Stokowski vermeidet Begriffe aus dem akademischen Diskurs. Kon- zepte aus dem Bereich der Genderstudies erklärt sie an ihrem Leben entlang, doing gender zum Beispiel daran, wie sie im Kindergarten versuchte, ihren Topfschnitt dadurch auszugleichen, dass sie wie eine Disney-Prinzessin piepste. Ihre Sprache ist einfach und klar. „Ich wollte, dass das Buch auch für Leute verständlich und brauchbar ist, die noch nie ein Buch über Feminismus gelesen haben und am liebsten auch schon für die, die noch zur Schule gehen.“
DER KÖRPER ALS EWIGE BAUSTELLE
Sie spricht über Jugendzeitschriften, die Mädchen raten, „ihren Schwarm“immer „leicht von unten anzugucken“und Frauenzeitschriften, die den weiblichen Körper zur ewigen Baustelle erklären. Sie zeigt, wie wir den nackten weiblichen Körper mit Sex verwechseln, wie er in der Werbung für Sex steht, obwohl der Konsument am Ende keinen Sex bekommt, sondern eben ein Eis am Stiel mit kakaohaltiger Fettglasur. Sie erzählt vom Aufklärungsunterricht in der Schule, in dem viel über den Zyklus gesprochen wurde, aber nie über sexuelle Gewalt oder Respekt vor den Grenzen anderer. Als sie mit 16 vergewaltigt wurde – vom Leiter der Schach-AG ihres Gymnasiums –, wusste sie es zunächst nicht einzuordnen: „Vergewaltigung war für mich damals etwas, das Frauen zustößt, wenn sie spätnachts allein nach Hause laufen und dann dem falschen Fremden begegnen, der dann über sie herfällt. Ich schäme mich (…): Ich bin ja selbst zu ihm ins Auto gestiegen, das war dumm, oder?“Sie spricht von der Abwertung, die ein Berufsfeld erfährt, sobald Frauen es dominieren.
Alles, was sie schreibt, ist wasserdicht, die Quellenlage einwandfrei. Auf die Rezeption ihrer Texte wirkt sich das kaum aus. Die meisten Morddrohungen bekommt sie, wenn sie über Flüchtlinge oder den Islam schreibt. Das liegt auch daran, dass Stokowski sich nicht vereinnahmen lässt. Feminismus bedeutet für sie, dass „alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Sexualität und ihrem Körper dieselben Rechte und Freiheiten haben sollen“– nicht nur die weißen, reichen, heterosexuellen. „Feminismus ist kein Projekt, das man unabhängig von anderen Entwicklungen für sich genommen durchziehen kann: Rassismus, Klassenunterdrückung, alles gehört zusammen – und zusammen weg.“Und: „Nicht alles, was im Namen des Feminismus geschieht, ist gut: Es gibt Frauen, die sich Feministinnen nennen und im selben Atemzug muslimischen Frauen die Fähigkeit absprechen, für sich selbst zu entscheiden.“Es geht um Freiheit. Wenn eine Frau, statt außer Haus zu arbeiten, eine Schar Kinder großziehen möchte, dann sollte sie das tun. Wichtig ist, dass sie die Wahl hat. „Wir wissen nicht, wie wir sein werden, wenn wir mehr oder alle geschlechterspezifischen Beschränkungen abgelegt haben werden“, schreibt Stokowski. „Es ist ein Experiment, und wir werden erst im Nachhinein sagen können, worin unsere Unfreiheit bestand.“