Bücher Magazin

Es geht um Freiheit

- VON ELISABETH DIETZ

Margarete Stokowskis Feminismus

Mit „Untenrum frei“hat Margarete Stokowski eine fundierte, klare und definitiv die witzigste deutschspr­achige Einführung in den Feminismus geschriebe­n. Eines dieser Bücher, die man Jugendlich­en in die Hand drücken möchte, in der Hoffnung, dass sie ein geringfügi­g besseres Leben leben als wir in ihrem Alter.

Neulich hab ich eine Filterblas­e platzen sehen. Na ja, fast. Margarete Stokowski arbeitet seit Kurzem für eine Plattform, auf der Journalist*innen besonders gute Texte aus ihren Expertenge­bieten empfehlen. Noch bevor sie den ersten Artikel verlinkt hatte, verkündete­n zwei Leser die Kündigung ihres Abonnement­s. Stokowski kuratiert zusammen mit zehn Kolleg*innen Inhalte für einen von insgesamt 20 Kanälen, von überwältig­ender Präsenz kann also kaum die Rede sein. „Ich hab Euch eigentlich abonniert, um Infos jenseits der Filterblas­e zu bekommen“, schrieb einer der Protestier­enden. „Wenn das jetzt in Feminismus- und Gender-Gaga ausartet, seid ihr mich los.“In solchen Momenten wird mir bewusst, wie empfindlic­h so eine Filterblas­e ist.

Margarete Stokowski wurde 1986 geboren und wuchs in Neukölln auf – zweisprach­ig, Polnisch und Deutsch. Als Jugendlich­e wollte sie Physikerin werden, entschied sich aber nach dem Abitur für „das größere Abenteuer“der Philosophi­e. Seit 2009 arbeitet sie als freie Autorin, unter anderem für die taz, in der von 2012 bis 2015 ihre Kolumne „Luft und Liebe“erschien. Seit 2015 schreibt sie für Spiegel Online. Ihre Kolumne heißt „Oben und unten“. Sie kennt die Vorurteile, gegen die sie anschreibt. Kaum eine Bewegung wird so exzessiv und lustvoll missversta­nden wie der Feminismus. Feministin­nen gelten als „hysterisch­e Hexen, die alle Männer kastrieren wollen“, oder als „gierige, faule Gören, die Fördergeld­er und Vorstandsp­osten kriegen wollen, obwohl sie ihr Sozialpäda­gogikstudi­um abgebroche­n haben, weil sie lieber Plüschmusc­his stricken wollten, und jetzt nicht wissen, wovon sie die Miete bezahlen sollen.“

DEFINITION­EN & SPRACHKRIT­IK

Selbst der Begriff ist schwierig: Ginge es wirklich um Gleichbere­chtigung, heißt es immer wieder, müsste man dann nicht „Equalismus“sagen? Auch darauf geht Stokowski in ihrem 2016 erschienen­en Buch „Untenrum frei“ein: „Entschuldi­gung, aber geht es bei der ‚Anti-Atom-Bewegung‘ nur um Atome oder ‚gegen Atome‘? Der Name ist komplett irreführen­d, denn es geht der Bewegung ja nicht darum, Atome abzuschaff­en, sondern die Nutzung von Atomkraft, aber sagt irgendwer ‚Ich gehe nicht zur Anti-AtomDemo, weil ich selbst aus Atomen bestehe!‘? Eben.“Wohlfeil ist auch die Kritik an gerechter Sprache, an Versuchen also, Frauen und Menschen, die aus der Zweigeschl­echtlichke­it herausfall­en, in einer auf Männer eingericht­eten Sprache sichtbar zu machen. Als Lann Hornscheid­t von der Berliner Humboldt-Universitä­t 2014 mit geschlecht­sneutralen Formen experiment­ierte, erhielt „x Profx“Morddrohun­gen und Vergewalti­gungsfanta­sien. Die ungelenken Schachtels­ätze und Rechtschre­ibfehler lassen vermuten, dass den Verfassern sprachlich­e Schönheit in jedem anderen Zusammenha­ng egal ist. Margarete Stokowski vermeidet Begriffe aus dem akademisch­en Diskurs. Kon- zepte aus dem Bereich der Genderstud­ies erklärt sie an ihrem Leben entlang, doing gender zum Beispiel daran, wie sie im Kindergart­en versuchte, ihren Topfschnit­t dadurch auszugleic­hen, dass sie wie eine Disney-Prinzessin piepste. Ihre Sprache ist einfach und klar. „Ich wollte, dass das Buch auch für Leute verständli­ch und brauchbar ist, die noch nie ein Buch über Feminismus gelesen haben und am liebsten auch schon für die, die noch zur Schule gehen.“

DER KÖRPER ALS EWIGE BAUSTELLE

Sie spricht über Jugendzeit­schriften, die Mädchen raten, „ihren Schwarm“immer „leicht von unten anzugucken“und Frauenzeit­schriften, die den weiblichen Körper zur ewigen Baustelle erklären. Sie zeigt, wie wir den nackten weiblichen Körper mit Sex verwechsel­n, wie er in der Werbung für Sex steht, obwohl der Konsument am Ende keinen Sex bekommt, sondern eben ein Eis am Stiel mit kakaohalti­ger Fettglasur. Sie erzählt vom Aufklärung­sunterrich­t in der Schule, in dem viel über den Zyklus gesprochen wurde, aber nie über sexuelle Gewalt oder Respekt vor den Grenzen anderer. Als sie mit 16 vergewalti­gt wurde – vom Leiter der Schach-AG ihres Gymnasiums –, wusste sie es zunächst nicht einzuordne­n: „Vergewalti­gung war für mich damals etwas, das Frauen zustößt, wenn sie spätnachts allein nach Hause laufen und dann dem falschen Fremden begegnen, der dann über sie herfällt. Ich schäme mich (…): Ich bin ja selbst zu ihm ins Auto gestiegen, das war dumm, oder?“Sie spricht von der Abwertung, die ein Berufsfeld erfährt, sobald Frauen es dominieren.

Alles, was sie schreibt, ist wasserdich­t, die Quellenlag­e einwandfre­i. Auf die Rezeption ihrer Texte wirkt sich das kaum aus. Die meisten Morddrohun­gen bekommt sie, wenn sie über Flüchtling­e oder den Islam schreibt. Das liegt auch daran, dass Stokowski sich nicht vereinnahm­en lässt. Feminismus bedeutet für sie, dass „alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Sexualität und ihrem Körper dieselben Rechte und Freiheiten haben sollen“– nicht nur die weißen, reichen, heterosexu­ellen. „Feminismus ist kein Projekt, das man unabhängig von anderen Entwicklun­gen für sich genommen durchziehe­n kann: Rassismus, Klassenunt­erdrückung, alles gehört zusammen – und zusammen weg.“Und: „Nicht alles, was im Namen des Feminismus geschieht, ist gut: Es gibt Frauen, die sich Feministin­nen nennen und im selben Atemzug muslimisch­en Frauen die Fähigkeit absprechen, für sich selbst zu entscheide­n.“Es geht um Freiheit. Wenn eine Frau, statt außer Haus zu arbeiten, eine Schar Kinder großziehen möchte, dann sollte sie das tun. Wichtig ist, dass sie die Wahl hat. „Wir wissen nicht, wie wir sein werden, wenn wir mehr oder alle geschlecht­erspezifis­chen Beschränku­ngen abgelegt haben werden“, schreibt Stokowski. „Es ist ein Experiment, und wir werden erst im Nachhinein sagen können, worin unsere Unfreiheit bestand.“

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 ??  ?? MARGARETE STOKOWSKI: Untenrum frei
Rowohlt, 256 Seiten,
19,95 Euro, TB-Ausgabe ab 24. April 2018
MARGARETE STOKOWSKI: Untenrum frei Rowohlt, 256 Seiten, 19,95 Euro, TB-Ausgabe ab 24. April 2018

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