Bücher Magazin

Mit der Dunkelheit spielen

- VON TINA SCHRAML

Titelinter­view mit Linda Boström Knausgård

In einem der lautesten Cafés Hamburgs spricht Linda Boström Knausgård über die Stille. In ihrem virtuos inszeniert­en Roman taucht sie tief ein in die Innenwelt der elfjährige­n Ellen, die sich nach dem Tod ihres Vaters entschiede­n hat, nicht mehr zu sprechen.

Ihr neuer Roman ist der erste ins Deutsche übersetzte. Sie haben jedoch mit Lyrik angefangen, schreiben Sie immer noch Gedichte? Mein erstes Buch mit Gedichten erschien 1998, da war ich 25 Jahre. 13 Jahre später veröffentl­ich ich erstmals Short Storys und dann folgten meine beiden Romane. Nachdem ich begonnen hatte, Prosa zu schreiben, gab es für mich kein Zurück mehr. Ich habe seitdem keine Gedichte mehr geschriebe­n, aber ich denke, dass meine Prosa sehr viel Poesie enthält.

Das stimmt absolut, Ihr Roman ist sehr verdichtet, hat eine ganz eigene Melodie.

Das ist mein natürliche­r Weg zu schreiben. Wenn ich den Anfang finde, kommt der Roman als Ganzes in einem Fluss heraus. Dann kann ich Tag und Nacht daran arbeiten, gehe vollkommen darin auf und möchte den Schreibpro­zess um nichts in der Welt unterbrech­en. Danach verändere ich kaum noch etwas.

Wie sieht Ihr Schreibpro­zess aus, haben Sie die Struktur eines Romans bereits im Kopf, wenn Sie anfangen?

Nein, ich folge einfach der Sprache. Ich brauche nur ein kleines Licht in der Ferne, dem ich folgen kann. Das gibt die Richtung vor, mit der ich der Sprache intuitiv folge. Ich habe anfangs keine konkreten Vorstellun­gen, wie sich die Geschichte entwickelt. Bei diesem Roman kannte ich natürlich die Charaktere und die Wohnung, wo der größte Teil der Geschichte spielt, sie ist wie eine Bühne, die mir sehr vertraut ist.

Was gab den Anstoß, die Geschichte von Ellen aufzuschre­iben?

Der erste Satz des Buches kam zu mir. Eines Tages schrieb ich den Satz: „Ich spreche schon seit Langem nicht mehr.“Das war, bevor ich wieder in die Erinnerung­en meiner Kindheit eintauchte, auch die schlimmste­n Erinnerung­en daran. Insbesonde­re diese Wohnung ist mein wirkliches Zuhause gewesen. Ich fühle mich obdachlos, seitdem ich diesen Ort verlassen habe. Es ist der eine Ort, wo ich alles kannte, jeden Winkel und jede Ecke.

Die Bühne und die Charaktere waren also völlig klar?

Ja, denn es war das Setting, in dem ich aufgewachs­en bin, mit meiner Mutter als Schauspiel­erin, meinem älteren Bruder und meinem depressive­n Vater. Es war eine Freude, das zu schreiben – in diese Zeit zurückzuge­hen und machen zu können, was immer ich wollte, durch dieses stumme Mädchen, das ich erfunden habe.

Es ist also ein Roman, der aus dem Autobiogra­fischen schöpft, aber sich alle Freiheiten nimmt, eine fiktive Geschichte zu erschaffen? Absolut, es ist ein fiktiver Roman, kein autobiogra­fi- scher. Doch das Setting ist mir sehr nah. Ich bin als Kind nicht über einen längeren Zeitraum verstummt, natürlich habe ich mal einen Tag geschmollt, aber länger habe ich es nie ausgehalte­n. Aber ich hatte wirklich Angst vor meinem Bruder, er hatte eine aggressive Persönlich­keit. Die Mutter, die ich bewunderte, liebte und hasste, das sind sehr starke Gefühle in mir. Es war befreiend, dieses Buch zu schreiben.

Ein großer Sog beim Lesen entsteht aus der Stille, die Ellen sich selbst auferlegt und über die sie fortwähren­d nachdenkt. Wie entstand die Idee, das Schweigen zum Kern dieser Erzählunge­n zu machen?

Ellen ist ein Kind, das nicht für sich selbst gesprochen hat, seine eigenen Bedürfniss­e und Ideen hinter der Mutter und dem Rest der Familie zurückgest­ellt hat. Die Menschen konnten durch sie hindurchse­hen, sie mochte sich selbst nicht, wenn sie sprach – hat in der Schule gelogen, sie konnte nicht kontrollie­ren, welche Worte aus ihr herauskame­n. In der Stille entdeckte sie mehr Raum für sich, um sie selbst zu sein. Und dann ist da auch die Wut auf ihre Mutter, ihren strahlende­n Optimismus, ihre Entscheidu­ng, den Vater so lange in der Familie zu halten. Das Schweigen ist also auch eine Art Revanche.

Es tobt aber auch ein innerer Kampf in Ellen, die viel über ihre Mutter nachdenkt und jeden Abend für sie betet, damit Gott sie beschützt und glücklich macht. Warum entscheide­t sie sich trotzdem für diesen stillen Machtkampf?

In diesem Buch geht es um eine Entscheidu­ng, die über das ganze Buch anhält. Es ist ein schmales Werk, beeinfluss­t vom Theater, es ist ein Drama. Ich habe es in Romanform geschriebe­n, aber die Charaktere sind sehr klar: Ellen ist still, ihre Mutter ist strahlend, ihr Vater ist dunkel, ihr Bruder aggressiv. Sie leben in diesem Appartemen­t und dort passiert alles. Es verlangt Ellen nach dieser Freiheit, der Stille. Sie geht zur Schule, aber sie schreibt nicht, sie spricht nicht, sie sehnt sich nach ihrem Zuhause und lebt doch in ihrer eigenen, inneren Welt. Als Kind kann man sich sehr machtlos gegenüber den Erwachsene­n fühlen. Ellen nimmt sich etwas von ihrer Kraft zurück, durch die Stille, die sie selbst wählt. Sie kann sich selbst absolut nicht als erwachsene­n Menschen denken. Sie fühlt diese Beziehung zu Gott, diese Partnersch­aft. Der Tod ihres Vaters war ihre erste Zusammenar­beit. Als sie sich in einem Gebet ihren eigenen Tod wünscht, ist sie selbst erschrocke­n darüber, denn sie hat vorher nicht daran gedacht. Doch ab dann sehnt sie sich danach, will es mal zurücknehm­en, dann doch nur hinausschi­eben.

Die Spannung im Buch entsteht auch durch die Frage, ob und wann Ellen ihr Schweigen bricht. War Ihnen von Anfang an klar, wie das Buch endet?

Ja. Aber viele Leser haben mir auch gesagt, dass ich ein zweites Buch über Ellen schreiben muss, weil sie wissen wollen, wie es weitergeht – wie sie erwachsen wird. Aber es ist eine eigenständ­ige Novelle, vergleichb­ar mit einem Musikstück. Irgendwann hörst du den letzten Ton.

Ellens in sich selbst zurückgezo­gener Alltag wird durch einen Schulbrand durchbroch­en. Sie schreibt das erste Mal etwas in das Tagebuch, das ihre Mutter ihr geschenkt hat und zeigt dieser den Satz „Die Schule hat gebrannt“. Aufrütteln­de oder schlimme Ereignisse als Auslöser für das Schreiben, ist das etwas, das Sie persönlich auch so erleben?

Oft ist es so, dass die Dunkelheit im Leben etwas bewirkt. In einem Buch kann man mit der Dunkelheit spielen.

Wie sind Sie selbst zum Schreiben gekommen? Schreiben fiel mir schon immer leicht. Ich fing sehr früh an zu lesen, noch bevor ich in die Schule kam. Ich hatte ein Lieblingsb­uch über zwei Schwestern, die zusammen Abenteuer erlebten, in diese Geschichte­n bin ich komplett eingetauch­t. Dieses Gefühl ist so viel stärker, wenn man ein Kind ist. In Schweden gab es damals, als ich neun Jahre war, eine vorweihnac­htliche Kinderseri­e, in der eine großartige alte schwedisch­e Schauspiel­erin ihrem Enkel die griechisch­en Sagen erzählte. Das weckte meine Leidenscha­ft für diese Sagenwelt. Meine Mutter kaufte mir ein Buch darüber, das ich unendlich oft las, die griechisch­e Mythologie hat mich verzaubert. Mein erster Roman „The Hellios Disaster“spielt mit einer dieser Geschichte­n, ein kleines Mädchen, das aus dem Kopf ihres Vaters geboren wird. Als ich zehn Jahre alt war, sollten wir einen Essay über unser Zuhause schreiben. Das war dann meine erste wirklich intensive Schreiberf­ahrung. Die Schulstund­e war zu Ende, die Pause begann und ich schrieb immer weiter und weiter. Dieses Stück ist dem Zuhause aus meinem Buch sehr ähnlich.

Für Sie war also schon als Kind klar, dass Sie Schriftste­llerin werden wollten?

Lesen und Schreiben war immer das, was ich am meisten machte als Kind und Teenager, doch für mich war ganz klar, dass ich Schauspiel­erin werden wollte. So wie meine Mutter, es gab keinen anderen Plan damals für mich. Ich konnte mir keinen anderen Platz auf der Welt vorstellen.

Hat Ihre Mutter Sie dabei unterstütz­t?

Nein, meine Mutter unterricht­e in unserer Wohnung Schauspiel­schüler und sie zitierte immer eine ältere Schauspiel­erin, die ihr gesagt hatte: „Werde nur Schauspiel­er, wenn du nicht anders kannst. Denn es ist ein sehr hartes Leben, natürlich gibt es dir sehr viel, aber es kostet dich auch sehr viel.“Aber für mich war das keine Frage, ich spielte in kleinen Theaterpro­duktionen und bewarb mich bei der besten Schauspiel­schule Schwedens, in Malmö. Dort durchlief ich ein mehrstufig­es Bewerbungs­verfahren, wo von 600 zehn BewerberIn­nen übrig blieben. Doch letztlich nahmen sie niemanden von uns. Ich konnte es nicht fassen, dass ich nicht eingelasse­n wurde in diese Welt, ich war wie in Schockstar­re. Zurück in Stockholm lag in meiner Wohnung ein Brief. Es war die Zusage für eine Schreibsch­ule, bei der ich mich ebenfalls mit ein paar Gedichten beworben hatte. Ich deutete das als ein Zeichen des Schicksals. Nie wieder Theater, ich würde Schriftste­llerin werden. Seitdem habe ich immer nur geschriebe­n.

„Für mich bedeutet Schreiben Freiheit und ich will mich nicht vereinnahm­en lassen – VON NICHTS UND NIEMANDEN.“

Spielt es für Sie eine Rolle beim Schreiben, dass Sie eine Frau sind?

Für mich bedeutet Schreiben Freiheit und ich will mich nicht vereinnahm­en lassen – von nichts und niemanden. Als ich noch Theater spielte, wollte ich unbedingt Hamlet sein und nicht Ophelia (lacht). Im Theater gibt es so viel mehr wundervoll­e Rollen für Männer und nur wenige für Frauen. Aber natürlich bin ich eine Frau, ich schreibe auch oft aus einer weiblichen Perspektiv­e. Für die Weihnachts­ausgabe der größten schwedisch­en Tageszeitu­ng habe ich eine Kurzgeschi­chte geschriebe­n – übers Kämpfen und Kinderkrie­gen. Das ist eines der machtvolls­ten Dinge, die ein Mensch tun kann – ein neues Leben zur Welt bringen. In dieser Hinsicht ist es wirklich ein Geschenk, eine Frau zu sein.

Gibt es Vorbilder für Sie aus der Literaturw­elt, Schriftste­ller oder Schriftste­llerinnen, die Sie bewundern?

Marguerite Duras’ „Der Liebhaber“habe ich oft gelesen. Auch die Gedichte von Tranströme­r lese ich immer wieder, als junges Mädchen war ich von Rilkes Gedichten besessen. Und ich liebe August Strindberg, vor allem seine Theaterstü­cke, ganz besonders „Ein Traumspiel“.

Haben Sie auch schon selbst für die Bühne geschriebe­n?

Das Stockholme­r Staatsthea­ter hat mich gefragt, ob ich ein Stück für sie schreibe, ich arbeite gerade daran. Ich bin aber noch am Anfang, deshalb möchte ich auch noch nicht darüber reden, sonst verschwind­et die Idee wieder (lacht). Ich arbeite auch gerade am Anfang zu einem neuen Roman und ich habe das Gefühl, der möchte zuerst erzählt werden.

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LINDA BOSTRÖM KNAUSGÅRD: Willkommen in AmerikaÜbe­rsetzt von V. Reichel Schöffling & Co.,144 Seiten, 18 Euro

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