Mit Ovid auf Bunny-Jagd
Patricia Hempels Debütroman
Die Protagonistin von „Metrofolklore“ist Ende 20, Studentin der Ur- und Frühgeschichte, lebt in Berlin, langweilt sich in ihrer Langzeitbeziehung mit ihrer Freundin Anika und verehrt die schöne Helene, die sie zu erobern versucht. Rat holt sie sich dabei ausgerechnet von einem der größten Machos des klassischen Altertums, Ovid.
In seiner „ars amatoria“setzt Ovid Liebe mit Kriegsführung gleich. Für die Ich-Erzählerin, deren Namen man im Roman nicht erfährt, absolut plausibel. „Jeder, der liebt, ist ein Soldat – zumindest in der Welt von Ovid“, schreibt sie und zeigt sich selbst als abgebrühte Kriegerin, die vor kaum einem Mittel zurückschreckt, um ihr Ziel zu erreichen. Das Ziel lautet Helene, oder, wie man als Leser des Romans zuweilen meint, vor allem der Beischlaf mit Helene. So versucht sie etwa, mit Helenes bester Freundin Romy anzubändeln, um über sie an die Angebetete, die mit dem gemeinsamen Dozenten zusammen ist, heranzukommen. Helene erweist sich als uneinnehmbare Trutzburg, doch die Liebessoldatin macht sich mit Ovid-Zitaten Mut:
Patricia Hempel konzipiert in ihrem Debütroman eine machohafte, queere Antiheldin mit einer Leidenschaft für altertümliche Liebeskonzepte. Empört und
amüsiert folgt man ihr durch ein überdrehtes Leben in der Hauptstadt.
Metatexte wie diese findet man immer wieder im Verlauf der Geschichte, die durch einige Wochen eines ziemlich belanglosen Studentinnenlebens führt. Durch Hashtags aufgepimpt und in das urbane Leben von heute gepflanzt. Dazwischen ploppt auch mal der Titel eines lesbischen Pornos auf, oder ein schmachtendes oder zotiges Gedicht aus dem Mittelalter. Die Ich-Erzählerin ist nämlich nicht nur Kriegerin, sie ist auch Minnesängerin, was ziemlich gut zusammenpasst.
Auch, wenn es auf den ersten Blick vielleicht nicht so scheint, liegt dem Minnesang auch Gewaltsames zugrunde. Die geliebte Frau wird, ohne dass sie jemals gefragt wurde, aufdringlich besungen und zum Objekt degradiert. Das findet auch Patricia Hempel, die drei Jahre an dem Roman geschrie- ben hat und in ihm ganz bewusst „pseudohumanistisch“verschiedene Verehrungsprinzipien und Konzepte unerfüllter Liebe mit unseren heutigen in Beziehung setzt: „Natürlich ist die Art und Weise, wie Minne teilweise auch Grenzen überschreitet, ziemlich kunstvolles Stalking. Man kann die Minne oder obsessive Liebe, das Streben nach Idealromantik, quasi als Pathologie begreifen. Also ich würde die Polizei rufen, wenn jemand einmal pro Woche unter meinem Fenster steht und meine Brüste besingt, egal, ob die Person damit einfach nur ihre Liebe zum Ausdruck bringen möchte. Begehren ist ja immer auch ein Grenzgang zwischen der eigenen Wahrnehmung und seiner Außenwelt.“
Sympathisch ist die queere Heldin des Romans also nicht, man kann sich beim Lesen ständig darüber aufregen, wie rücksichtslos sie mit den Frauen umgeht, die in ihrem Leben eine Rolle spielen. Es ist kein Wunder, dass ihr Liebesleben ein einziges Desaster ist. Dennoch folgt man ihr gerne auf ihren Irrwegen. Vielleicht, weil sie so eine unmögliche Mischung aus Klischees verkörpert, die von der Autorin aber auf originelle und erfrischend respektlose Weise zusammengeworfen werden. Die 1983 in Berlin geborene Autorin würde mit ihrer eigenen Figur auch nicht befreundet sein wollen. Gemeinsamkeiten bestünden darin, dass sie, wie sie selbst vor Jahren, in Berlin Archäologie studiert und auf Frauen steht. Und sie teilten „in jedem Fall den Zynismus und den Punk, wenn es um Missstände in der Gesellschaft geht“.
In der Tat, die Ich-Erzählerin kann lästern, was das Zeug hält, und sie beschwert sich auch über Gesellschaftliches. Ihr giftiger Blick fängt dabei vor allem in prägnanten Szenen das überdrehte und neurotische Verhalten von in der Hauptstadt lebenden Großstädtern ein. Sie berichtet davon, wie ihre Langzeitfreundin Anika versucht, durch Beischlaf mit ihrem spießigen Jugendfreund Konrad schwanger zu werden, von Campus-Hierarchien, Drogen-Exzessen, der SMBeziehung ihrer besten Freundin Julie und der Romanze ihres Mitbewohners Julek mit Urs, einem Metalfan aus der Schweiz, der seinen Hund Salomé immer nur mit frischen Croissants füttert. Meistens ist es amüsant, der Ich-Erzählerin zu folgen, manchmal ist das Gift, das sie verspritzt, ein bisschen zu viel. Dann freut man sich über andere Frauenfiguren, wie die gutmütige Romy, die auf den zweiten Blick viel interessanter ist, als eigentlich gedacht. Auch Patricia Hempel mag Romy lieber: „Mit Romy wäre ich gerne befreundet, wenn das jetzt nicht zu schizoid klingt. Auch der Hund Salomé tat mir beim Schreiben immer mal wieder leid. Immer, wenn ich über sie schrieb, musste ich danach erst mal meine Katze in den Arm nehmen oder, haha, mein Croissant mit ihr teilen.“
Fragt man sie nach der Idee, die „Metrofolklore“zugrunde liegt, erzählt sie: Einerseits wollte ich eine (Liebes-)Geschichte erzählen, die den Mainstream und einen gewissen Zeitgeist auf die Schippe nimmt. Andererseits wollte ich unbedingt etwas Satirisches bzw. Humoristisches machen, das sich wiederum Schreibschulregeln entzieht und prätentiösen Erzählgestus hinter sich lässt.“Das ist ihr mit ihrem Debütroman gelungen!