Krimikolumne
Vergessene Autorinnen
Warum sind so viele weibliche Stimmen der Kriminalliteratur des 20. Jahrhunderts vergessen? Ein Plädoyer für hochspannende Feministinnen.
Dies ist die Geschichte von Bella, die eines Morgens beim Erwachen merkte, daß sie es satt hatte.“Manchmal ist es nur ein Satz in einem Buch, der auf ein schmerzliches Fehlen aufmerksam macht, auf eine Sehnsucht, die nur unzureichend gestillt wird. So erging es mir bei diesem Anfangssatz von Helen Zahavis „Schmutziges Wochenende“, das längst nur noch antiquarisch erhältlich ist. Denn ich habe es auch satt mitanzusehen, wie feministische Krimiautorinnen in der Vergessenheit versunken sind.
Helen Zahavis Kriminalromane, mit denen sie weltweite Aufmerksamkeit erregte, liegen noch nicht einmal sonderlich weit in der Vergangenheit: „Schmutziges Wochenende“erschien 1991 und sorgte für einen Skandal, „Donna und der Fettsack“folgte 1998. Sie schreibt von Frauen, die es satthaben, von Männern belästigt und zu Objekten gemacht zu werden, die deshalb Rache nehmen. Das ist kompromisslos, sehr brutal, böse und sehr witzig. Aber natürlich passt es vielen nicht, es ist zu radikal, zu unbequem, zu blutig – für eine Frau! Zumal Männer gar nicht gut wegkommen, in der Regel überleben sie es nicht.
Doch es sind nicht genuine Gründe, die Helen Zahavi in die Vergessenheit drängten, es sind Mechanismen des literarischen Marktes, die seit Jahrhunderten die Genies bei den Autoren und die Unterhaltung bei den Autorinnen suchten. Es sind Legitimationsstrategien, es sind Deutungshoheiten, die sehr lange – und auch weiterhin – vor allem bei Männern liegen. Noch heute stimmt jeder zu, dass man Raymond Chandler und Dashiell Hammett gelesen haben müsse. Doch was ist mit Charlotte Jay, die ein Jahr vor Chandler den neu eingerichteten Edgar Allan Poe Award erhielt? Mit Margaret Millar, deren „Liebe Mutter, es geht mir gut“mal zu den 100 besten Kriminalromanen gezählt wurde? Oder Vera Caspary, die in den 1940er-Jahren vielschichtige Frau- enfiguren hatte, die locker mit James M. Cain mithalten können?
Natürlich gibt es auch Frauen, die man in der Kriminalliteratur lesen sollte – Agatha Christie, beispielsweise. Patricia Highsmith. Oder Dorothy L. Sayers. Doch die, die nicht ins Schema passen, bei denen man nicht sagen kann, ach, Frauen, die schreiben ja die Rätselromane und sind für psychologische Spannung zuständig, fallen heraus. Autorinnen, die unbequem sind. Pieke Biermann zum Beispiel. Wenn ich heute ihre Reihe mit der Berliner Kommissarin Karin Lietze lese, frage ich mich, warum sie innerhalb der deutschsprachigen Kriminalliteratur nicht eine der bekanntesten Autorinnen ist und ihre Art zu schreiben so wenige Nachfolge erfahren hat.
Sobald es um feministische Kriminalliteratur geht, werden stattdessen immer dieselben zwei Autorinnen genannt: Sara Paretsky und Sue Grafton. Ihre Verdienste seien ihnen unbenommen, aber Feminismus beschränkt sich auch in der Kriminalliteratur nicht auf zwei Namen. Vor allem gibt es ausreichend Platz für mehr Frauen. Zum Beispiel für J. M. Redmann, deren lesbische Privatdetektivin Vicky Knight viel mehr Potenzial hat als die Marlowes dieser Welt. Oder Marcia Muller, die mit Sharon McCone eine hinreißende Figur entwickelt hat. Oder Katy Munger und die anderen Autorinnen des Tart Noir. Sie müssen wir dem Vergessen entreißen, damit sich der Kanon verändert, damit sich die Kriminalliteratur verändert. Und damit sich endlich in allen Köpfen festsetzt, dass es bei feministischer Kriminalliteratur nicht nur darum geht, Geschlechterrollen einfach umzukehren.