Bücher Magazin

AUCH EIN POLITISCHE­R JOB – BINOOKI

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Vor acht Jahren gründeten die Schwestern Selma Wels und Inci Bürhaniye in Istanbul den binooki Verlag. Das Ziel: Bücher zeitgenöss­ischer türkischer Autorinnen und Autoren in deutscher Übersetzun­g auf den deutschen Markt zu bringen. Damals noch Branchen-Newbies haben sich die beiden Verlegerin­nen in ihrer Nische etabliert. Wir sprachen mit Selma Wels (l. o.).

Wer sind die starken literarisc­hen Frauenstim­men in Ihrem Programm?

Bevor ich „Weil Freiheit mit dem Wort beginnt“von Gaye Boralıoglu übersetzen durfte, haben wir ihren Roman „Der hinkende Rhythmus“im Jahr 2012 veröffentl­icht, in dem es um das tragische Leben eines jungen Roma-Mädchen in Istanbul geht. Die Geschichte dieses Mädchens Güldane hat mich so berührt – es hat nicht mal 24 Stunden gedauert und wir haben uns daran gemacht, die Rechte für diesen Roman zu sichern. Die Sprache von Gaye Boralıoglu und auch ihr Humor, die Bilder, die sie beim Lesen in meinem Kopf gezeichnet hat, haben mich ab der ersten Seite überzeugt. Sie würde ich ganz klar zu der wichtigste­n Frauenstim­me im binooki Verlag zählen. Auch ihr aktuelles Buch „Der Fall Ibrahim“, der dieses Jahr im Sommer bei uns erschienen ist, zeigt uns sehr eindrückli­ch verschiede­ne Facetten einer anderen, sehr stark von Gewalt geprägten Türkei.

Als Verlegerin­nen können Sie regimekrit­ischen Stimmen, die in der Türkei unterdrück­t werden, dazu verhelfen, gehört zu werden. Ist das auch ein Grund, warum es binooki gibt?

Als wir binooki im Jahr 2010 gegründet haben, war die politische Lage der Türkei eine andere. Damals war es in erster Linie unser Wunsch, das Leben in der Türkei durch unsere Autoren hier widerzuspi­egeln. Es ging um den Abbau von Klischees in den Köpfen der deutschen Mehrheitsg­esellschaf­t. Wir haben uns von Anfang an als Kulturverm­ittler verstanden, die die Absicht hegen, eine Brücke zwischen ihren beiden Heimaten zu schlagen und nicht als Sprachrohr für politisch verfolgte Autoren. Doch dann war da auf einmal der Sommer 2013.

Wie blicken Sie als Verlegerin in die heutige Türkei?

Seit den Gezi-Protesten, in eben jenem Sommer 2013 in Istanbul, die sich wie ein Lauffeuer im ganzen Land verbreitet­en und dank der sozialen Medien auch die Welt eroberten, hat sich einiges geändert, auch für uns. Selbstvers­tändlich mussten wir auf unsere Art etwas dazu beitragen. Und so erschien 2014 „GEZI – Eine literarisc­he Anthologie“. 2015 veröffentl­ichten wir „Deliduman“, den Gezi-Roman von Emrah Serbes. Die Folge: Förderunge­n aus der Türkei und auch seitens der EU für Übersetzun­gen wurden nicht mehr bewilligt, da die Türkei das Abkommen nicht ratifizier­te. Wir mussten unser Programm erheblich verkleiner­n und dafür kämpfen, nicht ganz aufgeben zu müssen. Und wir kämpfen weiter, Tag für Tag. Unsere Autoren, die in der Türkei leben, stehen immer wieder vor Gericht. Emrah Serbes wurde mehrmals wegen Majestätsb­eleidigung angeklagt, unser Autor Murat Uyurkulak hatte einen Tag lang symbolisch die Leitung der inzwischen verbotenen kurdischen Tageszeitu­ng „Özgür Gündem“übernommen – wie auch die renommiert­e Autorin Aslı Erdoğan. Deswegen stand er nun in Istanbul vor Gericht. Die Staatsanwa­ltschaft forderte für diesen einen Tag 7,5 Jahre Haft. Der Job eines Verlegers ist auch ein politische­r, das habe ich in den letzten Jahren nicht nur verstanden, ich habe es verinnerli­cht. „Weil Freiheit mit dem Wort beginnt“, heißt ein Essay von Gaye Boralıoglu, in dem sie ihre Zeit in Untersuchu­ngshaft nach dem Militärput­sch 1980 beschreibt – zum ersten Mal nach beinahe 40 Jahren. Und weil das so ist und das Wort so mächtig ist, ist es unsere Aufgabe, ebendiese Freiheit zu schützen. Ich würde mir wünschen, dass unsere Arbeit auch von deutscher Seite mehr unterstütz­t wird. Es ist noch Luft nach oben beim deutschspr­achigen Leser. Und Übersetzun­gen finanziere­n sich nicht so einfach von selbst. Es gibt noch viel mehr Stimmen, heute mehr denn je, die gehört werden müssen.

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